Abschlussbericht zur Berliner Staatsoper: Politischer Druck und Fehler bei der Planung führten zu Staatsopern-Desaster
Wer ist Schuld am Staatsopern-Desaster? Wie die Parteien um den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses ringen.
Sie haben sich wirklich Mühe gegeben, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Staatsoper. Am 26. März 2015 vom Abgeordnetenhaus eingesetzt, wurden seit der konstituierenden Sitzung vom 8. Mai 2015 ein Jahr lang riesige Aktenberge gewälzt und in endlosen Sitzungen 33 Zeugen befragt, um herauszufinden, wer denn nun die Schuld haben könnte an den Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen bei der Kernsanierung des historischen Opernhauses Unter den Linden.
Wolfgang Brauer von der Linken, Sabine Bangert von den Grünen, Ülker Radziwill von der SPD, Matthias Brauner von der CDU sowie Wolfram Prieß von den Piraten sitzen an diesem Freitag um 13 Uhr im Saal 190 des Berliner Parlamentsgebäudes und erklären als Sprecher ihrer Fraktionen, dass sie jetzt eigentlich noch gar nichts sagen können. Weil sie den Entwurf des 191 Seiten umfassenden Abschlussberichts erst am späten Nachmittag werden beschließen können. Aufgrund der 150 Änderungsanträge, die von den Parteien eingereicht wurden und die alle einzeln beraten und abgestimmt werden müssen.
Am 23. Juni diskutiert das Plenum den Abschlussbericht
Trotzdem sei zu erwarten, sagt der Vorsitzende Brauer, dass es Gegenstimmen geben werde. Das wiederum eröffnet den Fraktionen den Weg, bis zum 8. Juni sogenannte Minderheiten-Voten einzubringen, also eigene Interpretationen zu einem oder mehreren Punkten des Entwurfs. Die werden dann der Vorlage beigefügt, die das Plenum in der letzten Sitzung vor der Sommerpause am 23. Juni diskutieren wird. Was Karl Valentin über die Kunst gesagt hat, trifft eben auch auf die Demokratie zu: Sie ist schön, macht aber viel Arbeit.
Eigentlich könnten jetzt alle wieder auseinandergehen, die Journalisten in ihre Redaktionen, die Volksvertreter in ihre unterbrochene letzte Untersuchungsausschuss-Sitzung. Doch dann fällt die mit höflichen Danksagungen an die fleißigen Helfer im Ausschussbüro und die konstruktive Arbeitshaltung der Kollegen zusammengehaltene Fassade der überparteilichen Höflichkeit doch noch in sich zusammen.
Als Erstes platzt es aus Sabine Bangert von den Grünen heraus: Allein 95 der 150 Änderungsanträge seien von der Regierung gestellt worden, mit dem Ziel nämlich, „die Kernaussage zu verfälschen und von den Verantwortlichen abzulenken“. SPD und CDU suchten die Ursache für das Desaster allein im sandigen, von mittelalterlichem Müll durchsetzten Baugrund und in der maroden Substanz des historischen Baus, anstatt die Schuldigen beim Namen zu nennen. Das sehen auch der Pirat Prieß und Wolfgang Brauer nicht anders, wobei Letzterer es wegen seiner Doppelrolle als Linker wie Vorsitzender diplomatischer formuliert.
Keiner hat bedacht, welche Zusatzkosten der Denkmalschutz verursacht
Er zählt die vier fatalen Faktoren auf. Neben den Naturgegebenheiten seien das die endlosen Diskussionen um das Bedarfsprogramm, also die Wünsche der Künstler, mit Daniel Barenboim an der Spitze. Des Weiteren die populistische Entscheidung Klaus Wowereits, den Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs auf den Müll zu werfen, weil ein Häuflein einflussreicher Bürger gegen den geplanten modernen Saal Sturm lief.
Was, viertens, die politisch motivierte Entscheidung nach sich zog, das gesamte Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Ein Schritt, dessen finanzielle Konsequenzen keiner richtig bedachte. Denn die Kulturgutbeschützer taten nun, was sie für ihre edelste Aufgabe halten – sie begannen, um jeden Verputzkrümel zu kämpfen. Auch um jene an den Außenwänden des Bühnenturms. Eines Gebäudeteils, der nicht das Geringste mit dem Original von 1742 zu tun hat, weil er diverse Male erweitert wurde, um den Anforderungen des sich entwickelnden Genres gerecht zu werden. Die jetzige Form stammt aus den 1930er Jahren und wurde im Krieg zweimal zerbombt.
Dennoch erscheint der Bühnenturm den Denkmalschützern ebenso bewahrenswert wie der Marmorboden im Knobelsdorff’schen Apollo-Saal. Mit kostspieligen Folgen: Um aus der bislang viel zu kleinen Hinterbühne eine zu machen, die den Maßen der Hauptbühne entspricht, soll eine Rückwand entfernt werden. Weil die aber mehrere Obergeschosse trägt, müssen seitlich neue Treppentürme errichtet werden, über die man anschließend eine gigantische Stahlkonstruktion legt, an der künftig die oberen Stockwerke hängen. Für eine winzige Veränderung „im Bestand“ waren letztlich 46 verschiedene „Bauhilfsmaßnahmen“ nötig – damit die denkmalgeschützten Außenmauern nicht einstürzen. Dagegen fallen die 4200 kleinen und kleinsten Eisenteile, die auf Wunsch der Denkmalschützer Stück für Stück aus den Wänden herausoperiert werden mussten, kaum ins Gewicht.
In Zukunft soll alles besser werden
So unterschiedlich die Interpretationen bezüglich der konkreten Versäumnisse der Beteiligten auch sein mögen, eines wollen die Abgeordneten tatsächlich parteiübergreifend: aus dem Casus Staatsoper lernen. Zum Beispiel, dass ein Parlament auch mal Stopp! sagen kann, wenn absehbar wird, dass ein Großprojekt aus dem Ruder läuft. Bei der Lindenoper wäre im Frühjahr 2011 der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Als sich nach dem Auszug der Operntruppe nämlich herausstellte, dass die Substanz der Bühne noch sehr viel maroder ist als ohnehin befürchtet.
Als Herrscher über den Etat haben die Volksvertreter alle Machtmittel in der Hand. In der Praxis aber winkte der Hauptausschuss den Haushaltstitel für die Opernsanierung durch, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. Weil keine geprüften Bauplanungsunterlagen für das Gesamtprojekt vorlagen, sondern nur für Teilbereiche.
Bei der nächsten Renovierung eines Berliner Symbol-Altbaus soll nach dem Willen sämtlicher Mitglieder des Staatsopern-Untersuchungsausschusses also alles besser werden. Ein konkretes Objekt dafür haben sie auch schon ausgemacht: das ICC.