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Einstandskonzert. Vladimir Jurowski dirigiert das RSB.
© Kaim Bienert.

Musikfest Berlin: Politik und Schicksal

Musikfest Berlin: Vladimir Jurowski gibt sein Debüt beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin – und Isang Yun wird zum 100. Geburtstag geehrt.

Mit drei starken Statements und einer Skurrilität beginnt die Ära von Vladimir Jurowski beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Da ist beim Antrittskonzert am Sonntag in der Philharmonie zunächst die Verbeugung vor dem Koreaner Isang Yun, mit dessen „Dimensionen“ von 1971. Suggestive Tonmalerei lässt Bilder im Kopf entstehen, wenn die schwebenden, atmenden Klangflächen des Beginns von Paukengewitter und Orgel-Clustern zerrissen werden – als würde die Natur durch eine Katastrophe aus dem Gleichgewicht geworfen.

Bei Arnold Schönbergs Violinkonzert werden anschließend zwei Dinge klar: wie unerreicht modern das Stück auch nach 80 Jahren noch ist. Und dass es gelingen kann, dem Publikum die Angst vor dieser alle klassischen Gewissheiten hinter sich lassenden Musik zu nehmen, wenn der Solist das Werk so leidenschaftlich verteidigt wie Christian Tetzlaff, als Tänzer mit dem Geigenbogen, als Liebender, der noch in den schroffsten Passagen melodische Restsüße entdeckt.

Nach der Pause lässt Vladimir Jurowski dann Luigi Nonos „Fucik“-Fragment nahtlos in Beethovens Fünfte übergehen. Doch das Melodram über den tschechischen Freiheitskämpfer verfehlt seine Wirkung, weil Max Hopp als Rezitator den rechten Ton nicht findet, erst mit dem rhythmischen Sprechen hadert, dann salbungsvoll säuselt. Die „Schicksals-Sinfonie“ wiederum erklingt in der Fassung von Gustav Mahler. Der war in den 1890er Jahren der Meinung, angesichts der enorm angeschwollenen Streicherbesetzung in den Orchestern auch bei den Bläsern aufrüsten zu müssen, durch Verdoppelungen im Holz und Hinzufügen von Posaunen. Heute geht man allgemein den umgekehrten Weg, regelt die Ensemblegröße auf die Dimensionen der Beethoven-Zeit hinunter. Denn so eine Monsterbesetzung lässt sich nun einmal schwer in Bewegung setzen.

Jurowski arbeitet konstruktiv mit den Massen, wählt langsame Tempi, um den Fluss organisch zu halten, kostet den üppigen Klang aus, wo er samtige Schönheit erblühen lassen kann. Denn er will ja keine bräsig-wilhelminische Weihefeier veranstalten, sondern absichtsvoll irritieren. Ein Experiment, das demnächst mit der „Eroica“, der Siebten und Neunten fortgesetzt wird. Frederik Hanssen

Am Mittwoch spielen Jurowski und das RSB Mahlers 2. Sinfonie in der Philharmonie.

Ein Tag für Isang Yun

Als Flüchtling in West-Berlin. Der koreanische Komponist Komponist Isang Yun.
Als Flüchtling in West-Berlin. Der koreanische Komponist Komponist Isang Yun.
© Hans Pölkow/Boosey & Hawkes

Allen Warnungen zum Trotz hat Nordkorea erneut eine Rakete über Japan hinweg in den Pazifik gefeuert. Es scheint, als habe sich Machthaber Kim Jong Un während des Tests fotografieren lassen. Nicht nur Politiker wie Sigmar Gabriel sehen in dem Vorgehen Nordkoreas und seinem Atomwaffenprogramm eine ernste Bedrohung für den Weltfrieden.

Die Realität lässt sich nicht abtun, wenn das Musikfest nun den 100. Geburtstag des Komponisten Isang Yun begeht. Yun, am 17. September 1917 in der südkoreanischen Hafenstadt Tong Yong geboren, hat nie aufgehört, sich als Koreaner zu verstehen. Weil er eine Teilung der Kultur seines Landes nicht gesehen hat und einer Einladung nach Nordkorea gefolgt ist, wurde er 1967 aus seiner Wahlheimat Westberlin entführt, in Seoul gefoltert und zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

In dem Film „November-Elegie“ von Barrie Gavin, den das Musikfest in der Philharmonie zwischen die Konzerte schiebt, schildert Yun, wie er im bitterkalten Gefängnis komponiert hat. Nach internationalen Protesten, zu denen Igor Strawinsky beiträgt, kommt er frei und erwirbt die deutsche Staatsbürgerschaft. Als Professor lehrt er an der Hochschule der Künste Berlin und wohnt in Kladow. Die Berliner Philharmoniker spielen seine Symphonik. Ein Jahr vor seinem Tod 1995 im Spandauer Waldkrankenhaus äußert er sich in einem Interview zu seinen Träumen: Frieden, Harmonie.

Sein Ziel, die Wiedervereinigung von Süd- und Nordkorea, liegt ferner denn je. Wie ein Schatten schwebt heute über Yuns Werk, dass diese Sehnsucht seiner Seele sich nicht erfüllt hat.

"Réak" war 1966 der Durchbruch

Von morgens bis abends Musik von Isang Yun: Das hat es so bisher in Berlin noch nicht gegeben. Es beginnt im Konzerthaus mit „Réak“, dieser „feierlichen“ Musik, die als Durchbruch des Komponisten gilt, 1966 in Donaueschingen. Hier waltet überwältigend der doppelte Reichtum der Kulturen, der koreanischen Hofmusik und der erworbenen Aktualität westlichen Komponierens jener Zeit. Klangflächen, Hauptklang-Technik und die Mehrklangpeitsche Bak, Holzbläser und Buckelgongs, bewegte Felder, Attacken. Das beherrschende Stück hinterlässt den stärksten Eindruck des ganzen Yun-Tages.

Die Veränderung der Klangcharaktere entfaltet das Gyeonggi Philharmonic Orchestra, genannt nach einer Provinz im Nordwesten von Südkorea, mit bemerkenswerter Sicherheit. Ein junges, jugendlich agierendes Symphonieorchester, gegründet 1997, wird von Shiyeon Sung mit feuriger Souveränität dirigiert. Was für ein wunderbares „Provinz“-Orchester!

Von Isang Yuns Schüler Toshio Hosokawa, der für weitere Studien zu Klaus Huber nach Freiburg gegangen ist, um kein „kleiner Yun“ zu werden, erklingt eine „Klage“ (2013) auf ein Gedicht von Georg Trakl (1914). In der Partitur verbindet sich der Weltkrieg mit der Tsunami-Katastrophe in liegenden Klängen und komponierter Stille. Den gesprochenen und gesungenen Text interpretiert Yeree Suh, eine koreanische Sopranistin, die mit ihren vibratoarm leuchtenden Höhen fasziniert und zu internationalem Rang aufsteigt. Ein Jahr nach Yuns Erfolg in Donaueschingen wird dort 1967, ebenfalls im Auftrag des Südwestfunks, das berühmte „Lontano“ von György Ligeti uraufgeführt. Ein Farbenstück, Klangflächenmusik. Farblinien oszillieren, vier Flöten im Einklang und in enger Lage, filigranes Orchester. Die Klangfarbe ist zur ästhetischen Primärkategorie geworden. In „Muak“ (1978), dominiert vom Klang der Oboe, spielt Yun mehr als in den Frühwerken auf allen Klaviaturen. Insgesamt eine Matinee mit viel beschäftigtem großen Orchester.

Weniger vom Einzelton als dem wichtigsten musikalischen Ereignis, von Yun in koreanischer Musik verglichen mit einem Pinselstrich, geht sein spätes Flötenquartett aus. Denn hier entstehen aus der Mehrstimmigkeit ansatzweise Dialog und Imitation. Angeführt von Martin Glück nehmen die Flötisten engagiert für die Musik ein.

Man befindet sich nun im Kammermusiksaal, wo Yuns Weggefährten wie Holger Groschopp, Roswitha Staege und Birgit Schmieder mit meist jüngeren Spielern ein Kammerkonzert mit reinem Yun-Programm gestalten. In „Glissées“ für Cello solo unterstreicht Adele Bitter den poetischen Duktus des musikalischen Fließens. Schließlich gelangt die Schar gefeierter Solisten zu „Images“ für Flöte, Oboe, Violine und Cello.

Diese Musik hat Yun 1968 im Gefängnis geschrieben. Klangliche Dichte, kontinuierlicher Strom, rituell, beharrlich findet das Stück zur Ruhe. „Eine Musik wie die meine mit ihrer Verbindung zur taoistischen Philosophie“ will nicht alle Gefühle ausschöpfen, sagt Yun. Sonst „wäre die Harmonie von Yang und Yin gestört“. Sybill Mahlke

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