Begegnung mit einem seiner Schüler: Isang Yuns 100. Geburtstag: Mit Tönen pinseln
Der koreanische Komponist Isang Yun hat Berlins Musikszene geprägt. Begegnung mit seinem Schüler Toshio Hosokawa, vor dem 100. Geburtstag.
Seine Persönlichkeit vereinte viele Gegensätze: fernöstliches In-sich-Ruhen und westeuropäische Zielstrebigkeit, Sanftheit und Hartnäckigkeit, politisches Engagement und absolute Hingabe nur an die Kunst. Wenn in diesem Jahr mit mehreren Veranstaltungen des 100. Geburtstags von Isang Yun gedacht wird, dann wird ein deutscher Komponist gefeiert, dessen koreanische Wurzeln Motor seines Schaffens waren und der zugleich dem Berliner Musikleben wertvolle Impulse gab.
Nahe der Hafenstadt Tongyeong wurde er am 17. September 1917 geboren, im heutigen Südkorea, das damals noch unter japanischer Fremdherrschaft stand. Die Beteiligung am anti-japanischen Widerstand brachte ihm 1943 Verhaftung und Folter ein. Nach kurzem Studium in Paris kam er 1957 nach West-Berlin, wo er bei Josef Rufer und Boris Blacher das Komponieren nach Schönbergs Zwölfton-Methode erlernte. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm mit dem Orchesterstück „Réak“ in Donaueschingen 1966. Yun war in der Avantgarde angekommen.
Bei einem Nordkorea-Besuch wurde er entführt
Zum Politikum wurde „der Fall Yun“, als der Komponist nach einem Besuch Nordkoreas 1967 vom südkoreanischen Geheimdienst entführt und zunächst „wegen Landesverrats“ zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Den internationalen Protesten, die zwei Jahre später zu seiner Freilassung führten, schlossen sich neben vielen anderen Künstlern Igor Strawinski, Karlheinz Stockhausen und György Ligeti an. Er kehrte nach Berlin zurück und wurde 1971 deutscher Staatsbürger.
Ist Yun auch ein politischer Komponist? Verschiedene Werke, etwa Vertonungen der Gedichte von Nelly Sachs, die Sinfonie „Für den Frieden“ oder das Orchesterstück „Exemplum in memoriam Kwangju“ wurden als Beispiele dafür gesehen. Toshio Hosokawa, Yuns wohl berühmtester Schüler, protestiert im Gespräch vehement. „Seine Musik hat gar nichts mit Politik zu tun, nur seine Person war immer wieder in Politik involviert“, sagt der japanische Komponist.
Glissandi und Mikrotöne waren für ihn charakteristisch
Für ihn steht im Vordergrund, dass Yun seine Musik auch als Beitrag zur Überwindung der Teilung seines Heimatlandes verstanden wissen wollte. „In der Kolonialzeit durfte er nicht Koreanisch sprechen, deswegen war seine Heimat immer besonders wichtig für ihn.“ Die Mittel, mit denen sich Yun als „koreanisch“ identifizierte, wurden auch für Hosokawa entscheidend: Die Auffassung des Einzeltons als „Lebewesen“ etwa, das geboren wird, heranwächst und stirbt. Oder die Inspiration durch asiatische Künste wie die Kalligraphie zur Gestaltung des Tons: So konnte Yun den Ton mit einem Pinselstrich vergleichen, dessen Dicke oder Dünne wie die Ausdehnung des Klangs zu sehen ist, mit allen feinen Härchen, die Nebenlinien und Abweichungen vom Hauptstrich zeichnen. Glissandi und Mikrotöne sind deshalb charakteristisch für seine Musik.
Kalligraphie verglich Yun mit dem koreanischen Gesangsstil, sagt Hosokawa, „das empfindet man in Japan ein bisschen anders. Dort ist der Hintergrund wichtiger, die weiße Fläche, die hinter der Zeichnung ist, musikalisch verstanden die Stille, das Schweigen“. Solche Unterschiede wurden ihm aber erst nach dem Unterricht bei Yun wirklich klar. „Wie er sich mit europäischen Kompositionsmethoden auseinandersetzte, um eine koreanische Musik zu machen, das war ein Vorbild, denn auch ich wollte eine japanische Musik machen. Aber ich lief Gefahr, ein ,kleiner Yun‘ zu werden, deswegen ging ich nach Freiburg zu Klaus Huber.“
Für Asiaten war er als Lehrer wie ein Vater
Es geht auch Hosokawa nicht darum, das europäische System zu imitieren und dann ein paar asiatische Elemente dazuzugeben, „ein bisschen Sojasauce darüberzukippen“. So stand im Unterricht auch nichts Technisches im Zentrum; ausschlaggebend war die geistige Haltung. „Wie man mit solchen Traditionen umgeht, den eigenen und den fremden, dafür hat Yun ein wunderbares Beispiel gegeben.“ Die Werke des Lehrers sind für den Schüler weiterhin Pioniertaten, auch wenn er heute distanzierter zu ihnen steht. „Ich liebe seine frühen Werke. Sie sind einfach koreanischer. Die späteren Sinfonien arbeiten wieder mehr mit europäischer Tonalität, das ist für mich schwer zu verstehen.“
Yun unterrichtete an der Berliner Universität der Künste Studenten aus aller Welt, und nicht jeder kam mit seinem Unterrichtsstil zurecht. „Für uns Asiaten war das wie ein Vater-Sohn-Verhältnis“, erzählt Hosokawa, „und wir sind sehr gehorsam“, lacht er. Über Politik wurde nicht gesprochen, was westliche Studenten, die sich gerade in den Siebzigern häufig mit der politischen Wirksamkeit von Musik herumschlugen, oft irritierte.
Auch das Konzert des Ensembles unitedberlin am 9. Juni in der St.-Elisabeth-Kirche thematisiert die politischen Aspekte in Yuns Leben. Unter dem Titel „100 Jahre Zerrissenheit“ spürt es seiner Wirkung auf in Berlin lebende Komponisten nach. Von Hosokawa erklingt „Memory“ auf Yuns Tod im Jahr 1995, „ein leises, trauriges Stück“. Im Konzert des Scharoun-Ensembles am 22. Juni im Kammermusiksaal der Philharmonie erklingt „Distanzen“ von Isang Yun, über die Polaritäten Himmel und Erde, Mann und Frau, Natur und Mensch. Ein Streich- und ein Bläserquintett symbolisieren eine Unvereinbarkeit, die doch Annäherungen zulässt. Das Stück wurde 1988 vom Scharoun-Ensemble uraufgeführt. Auch das Musikfest Berlin widmet Isang Yun im September einen Schwerpunkt, der in Gesprächen und Konzerten Nähe und Distanz zu Komponisten wie Hosokawa, Ligeti und Nono austestet.