Aleppos Altstadt nach den Kämpfen: „Politik ändert sich, das kulturelle Erbe bleibt“
Wie groß sind die Zerstörungen in Aleppo? Und wie könnte ein Wiederaufbau aussehen? Ein Gespräch mit Maamoun Abdulkarim, Ärchäologie-Professor und Generaldirektor der syrischen Antikenverwaltung.
Anruf in Damaskus. Maamoun Abdulkarim, Professor für Archäologie, ist seit August 2012 Generaldirektor der syrischen Antikenverwaltung DGAM (Direction Générale des Antiquités et des Musées) – ein wissenschaftliches Ehrenamt. Gelegentlich meldet er sich aus dem syrischen Bürgerkrieg zu Wort, spricht mit westlichen Medien. Nach schweren Bombardements durch Assads Soldaten und russische Streitkräfte gilt Aleppo seit Ende Dezember als befreit. Hunderttausende Menschen haben ihre Wohnung verloren, sind bei der Belagerung umgekommen oder geflüchtet.
Herr Abdulkarim, haben Sie nach dem Ende der Kämpfe um Aleppo die Stadt besucht?
Ja, ich war sehr schnell in Aleppo. Und was ich gesehen habe, hat mich erschüttert. Wenn man weiß, wie die Stadt vorher ausgesehen hat, bricht es einem das Herz. Wir haben uns einen Überblick über die Schäden in der historischen Altstadt und an den historischen Monumenten verschafft.
Wie ist Ihre Bilanz?
Dreißig Prozent der Altstadt sind komplett zerstört, wie abrasiert. 40 Prozent des Bestandes sind noch ganz gut erhalten und 30 Prozent des Bestandes sind in einem katastrophalen Zustand. Vor allem südlich der Zitadelle sind viele Gebäude total zerstört. Aleppo hat unter dem Krieg schwer gelitten.
Was ist jetzt zu tun?
Im Moment fotografieren wir die Stadt mit Drohnen, um uns einen genaueren Überblick zu verschaffen. Die Menschen werden gebeten, die Steine der historischen Häuser nicht anzurühren. Jetzt nach dem Krieg haben wir ein neues Problem. Jeder Winter trifft die Stadt hart. Wir müssen rasch handeln, um die Häuser zu sichern. Von vielen traditionellen Häusern gibt es in den Ruinen noch die Steine, die wir wieder verwenden wollen.
Wie ist die Situation im Augenblick in Aleppo?
Aleppo ist eine Stadt ohne Menschen. Die Bewohner möchten gerne zurückkehren. Wir müssen zuerst das soziale Leben in der Stadt restaurieren, dann sind die Häuser dran.
Wie wollen Sie das schaffen?
Die Agha Khan Stiftung hat uns ihre Hilfe zugesagt. Ich appelliere an die Welt, die Unesco: Unterstützt uns, lasst uns mit einem internationalen Projekt des Friedens gegen Hass und Intoleranz arbeiten! Wir brauchen ein internationales Komitee für Aleppo, um die Hilfe zu organisieren. Man kann jetzt schon arbeiten, wir dürfen keine Zeit verlieren. Politische Probleme dauern, aber das Kulturerbe wartet nicht, und der Winter setzt ihm zu. Ich muss für die Notsicherung Architekten und Archäologen mobilisieren. Es gibt natürlich immer noch Risiken, aber wir arbeiten weiter. Wir akzeptieren Hilfe nur auf wissenschaftlicher Basis, um unser Erbe zu retten. Keiner darf das Gesetz überschreiten, kein Gouverneur und kein Bürgermeister.
Glauben Sie, dass man angesichts der großen Not der Versuchung widerstehen kann, jetzt schnell modern neu zu bauen?
Es wird niemals ein zweites Beirut geben. Dafür werde ich kämpfen. Wenn ein Haus zerstört ist und wieder aufgebaut werden soll, kann das nur auf wissenschaftlicher Basis geschehen. Deutschland kann dabei eine große Rolle spielen. Sie haben bisher gute Maßnahmen getroffen für Syrien und Sie haben auch Erfahrungen mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Unesco, das Deutsche Archäologische Institut und vor allem deutsche Wissenschaftler in Berlin haben sich sehr für Aleppo eingesetzt.
Deutschland ist eines der wichtigsten Länder in der Archäologie, zusammen mit Frankreich. Es muss darum gehen, ein zweites Beirut zu verhindern, denn diese Stadt hat durch den Wiederaufbau nach dem Krieg ihre Seele verloren. Das Kulturerbe gehört der ganzen Welt, es ist deutsch, syrisch, europäisch und international. Ich hoffe, dass wir mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft das Maximum für Aleppo erreichen können.
Wie ist die Situation der bedeutenden Gebäude Aleppos?
Selbst die Zitadelle hat schwere Schäden erlitten, das Minarett der Großen Moschee ist zerstört – aber wir werden ein neues Minarett mit den alten Steinen wieder aufbauen. Es gibt Schäden an der Fassade, aber die kann man reparieren. Gegenüber der Großen Moschee sind 90 Prozent der Häuser zerstört. Für den Wiederaufbau braucht man viel Geld und Geduld.
In Berlin fragt man sich auch, was mit den Antiken im Nationalmuseum geschehen ist. 2011 waren einige Stücke hier in der Tell-Halaf-Ausstellung auf der Museumsinsel zu sehen.
Im Folkloremuseum sind viele Schäden durch Scharfschützen entstanden, es ist viel Holz verbrannt. Aus dem Nationalmuseum haben wir bereits 2015 mehr als 24 000 Objekte nach Damaskus in Sicherheit gebracht. Drei Mitarbeiter haben das geregelt, sie haben unter dramatischsten Bedingungen gearbeitet.
Wie ist die Lage in Palmyra, das vom sogenannten Islamischen Staat wieder erobert wurde? Was wissen Sie über die neuen Zerstörungen?
Von dem gesprengten Tetrapylon waren fünf der 16 Säulen und die jeweiligen Decke noch original, der Rest waren Rekonstruktionen. Die jetzt zerstörte Theaterfassade war im Wesentlichen restauriert - wir werden nach der Befreiung Palmyras sehen, was wir tun können. Wir hoffen auf eine schnelle Befreiung der Stadt. Es sind Barbaren, die so etwas tun.
Wie sieht es im Süden aus, in Bosra mit seinem römischen Theater, in Suweiyda?
Die Lage dort ist ruhig, Architekten von uns arbeiten dort. Um die Stadt herum gibt es leider viele Raubgrabungen, aber dagegen können wir nicht viel machen. Wir bezahlen unsere Mitarbeiter vor Ort und arbeiten mit ihnen zusammen. Das gleiche gilt für den Norden in der Region Idlib, auch dort arbeiten wir mit lokalen Organisationen zusammen. Es herrscht dort ein guter Wille, das kulturelle Erbe und die Museen zu schützen. Denn eines ist klar, Politik kann sich ändern, aber das kulturelle Erbe bleibt.