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Rafael Payare, Jahrgang 1980, leitet das Ulster Orchestra in Belfast.
© Benjamin Eylovega/DSO

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin: Poesie und Gewalt

Gleich vier Pultdebüts stehen diese Saison auf dem Programm des DSO. Der junge Venezolaner Rafael Payare überzeugt mit Verve und Vielseitigkeit.

Rafael Payare ist ein energischer Zauberer, ein Poet und Derwisch zugleich. Er kennt kein Pardon, wenn es denn sein muss  – wie in Schostakowitschs Zehnter -, kann aber aber auch zarteste Luftmalereien kreieren wie gleich zu Beginn in der Orchesterbearbeitung von Debussys flirrendem Klavierstück „L’isle joyeuse“. Der junge Venezolaner ist einer von vier Pultdebütanten in dieser Saison beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, er weiß beim Konzert in der Philharmonie auf der Stelle zu überzeugen. Jahrgang 1980, ursprünglich Solohornist von Dudamels Símon-Bolívar-Orchester, leitet Payare inzwischen das Ulster Orchestra in Belfast und gastiert zunehmend auch in den großen Konzertsälen und Opernhäusern der Klassikwelt.

Ein drahtiger, sportlicher, ungemein wendiger, gelegentlich überdeutlich gestikulierender Dirigent. Mit der Partitur ist er bestens vertraut – Schostakowitsch dirigiert er auswendig –; auf die Tutti-Farbklangnuancen bei Debussy und Ravel beharrt er genauso wie auf den beschwörenden Duktus der Solopassagen in Schostakowitschs Symphonie. Bei Benjamin Brittens noch in der Jugend entstandenen vier französischen Liedern, einer für Britten ungewöhnlichen Hommage an die Impressionisten, versieht er die fein verdämmernden Solo-Schlüsse mit hypnotischer Wirkung, während die Sopranistin Christiane Karg einmal mehr ihre Ausdrucksvielfalt und ihr dynamisches wie klangliches Spektrum unter Beweis stellt, ohne je von der Grundstimmung zwischen Todessehnsucht und Traumverzückung abzuweichen.

Auch in Ravels mit Orientalismen versetztem dreisätzigen Liedzyklus „Shéhérazade“ vereint sie Anmut mit Kraft. Ihr Gesang zeigt sich gleichermaßen bezaubert, wie dass er selbst magischen Zauber  ausübt. „Je voudrais voir des assassins souriant“: Ich möchte Mörder lächeln sehen – Karg evoziert beides, den mörderischen Grimm wie das Lächeln. Jede Note wird zum „geheimnisvollen Kuss“, wie es in „Die verzauberte Flöte“ heißt. Gleichzeitig gelingt es Payare und Karg, die gelegentlich schwer parfümierten Verse von Tristan Klingsor insgesamt duftig zu halten. Luftbilder eben.

Schostakowitschs Zehnte, eine Anti-Stalin-Manifest - und zugleich selber gewaltsam

Bei Dmitri Schostakowitsch werden sie mit aller Wucht zertrümmert. Die selbstquälerischen Kriechströme der tiefen Streicher und Holzbläser im Kopfsatz, der Stalinsche Terror im grausam-wilden Scherzo, der wiederholte Umschlag von Klang in Krach: Wer Julian Barnes’ Schostakowitsch-Roman „Der Lärm der Zeit“ gelesen hat, kommt nicht umhin, das Dilemma des Künstlers zwischen innerer Freiheit und politischer Drangsal unentwegt mitzudenken.

Die Zehnte ist das erste Werk des Komponisten nach Stalins Tod und nach einer zweiten längeren Zwangspause samt Aufführungsverboten. Und doch kann sich Schostakowitsch der propagandistischen Mittel nicht entledigen, wenn er er sein Monogramm D Es C H im dritten und vierten Satz nicht minder brutal als Gegenbotschaft meißelt, unerbittlich, wahnhaft. Selbstbehauptung als repetitiver, autoagressiver Gewaltakt. Payare und das DSO betonen genau das, heben den Kontrast zwischen Kunst und Macht gewissermaßen auf. Das Dilemma des Künstlers steht umso unausweichlicher im Raum.

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