Tumult bei Nussknacker-Premiere in Berlin: Pirouettenstadl beim Staatsballett
Tumult vor der Vorstellung, Harmlosigkeiten auf der Bühne: Nacho Duato wärmt seine „Nussknacker“-Choreografie fürs Staatsballett Berlin auf.
Vor dem Eingang der Deutschen Oper steht ein Grüppchen Frauen und skandiert: „Sasha Waltz weg! Malakhov back!“ Es sind nicht etwa die Tänzer des Staatsballetts, die hier lautstark protestieren, vielmehr handelt es sich um Mütter, deren Kinder die Staatliche Ballettschule besuchen – und die offenbar befürchten, dass man ihren Kleinen die Spitzenschuhe wegnimmt und Pirouetten demnächst verboten sind.
Mit Turbulenzen war ja zu rechnen bei der „Nussknacker“-Premiere, aber dass hier eine neue Unterkategorie des Wutbürgers, die aufgebrachte Ballett-Mama, auf den Plan treten würde, ist doch frappierend. Im Saal kommt es zum Eklat. Eine besonders hysterische Mutter wiederholt schreiend ihre „Sasha Waltz- weg“-Parole vor Beginn der Aufführung wie auch vor dem zweiten Akt. Dann tritt der Intendant Nacho Duato vor den Vorhang. Was er sonst nie tut. Mit artigen Worten begrüßt er erst das Publikum und dann den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, woraufhin ein Buh-Sturm losbricht. Den Auftritt muss man als hinterfotzig bezeichnen: Keiner soll sagen, dass Duato nicht wusste, was er tat.
Erst vor zwei Jahren bekam Berlin einen teuren "Nussknacker"
Es ist fast schon zum Lachen: Ausgerechnet die Premiere des Tschaikowsky- Klassikers „Der Nussknacker“ wird hier zur Stimmungsmache benutzt. Dabei ist Duatos Spielplanpolitik höchst ärgerlich: Eine Neuinszenierung des Stücks braucht das Staatsballett nun wirklich nicht. Erst vor zwei zwei Jahren haben die beiden russischen Choreografen Vasily Medvedev und Yuri Burlaka eine historisierende Fassung mit den Berliner Tänzern einstudiert, die wegen ihrer opulenten Ausstattung immens teuer war. Sie kam beim Berliner Publikum gut an, nicht zuletzt, weil hier neben den Profitänzern auch 89 Eleven der Staatlichen Ballettschule auf der Bühne standen. „Der Nussknacker“ ist ein Ballett für die ganze Familie – Kinder gehören einfach dazu.
Eine Novität ist Duatos „Nussknacker“ natürlich nicht: Er hat nur die Fassung, die er 2013 am St. Petersburger Mikhailovsky-Theater kreiert hat, aufgewärmt. Kinder kommen bei ihm nicht vor. Stattdessen müssen die Tänzer in die Rollen der Mädchen und Jungs schlüpfen, werden auf niedlich oder frech getrimmt.
Duato verlegt das 1892 in St. Petersburg uraufgeführte Ballett ins Jahr 1918 – ohne dass von den Erschütterungen der Oktoberrevolution etwas zu spüren wäre. Der Zeitsprung war eine modische Erscheinung: Die fließenden Gewänder des frühen 20. Jahrhunderts geben den Tänzern mehr Bewegungsfreiheit.
In einem Jugendstilsalon feiert die Familie Stahlbaum Bescherung. Zentrale Figur ist der Drosselmeier, der Patenonkel der kleinen Clara. Rishat Yulbarisov gibt ihm etwas Dandyhaftes, aber natürlich ist er hier auch der Puppenspieler. Obwohl ihm alles Dämonische abgeht. Iana Salenko himmelt erst den eleganten Onkel an und drückt dann den Nussknacker ans Herz, den er ihr geschenkt hat – ein besonders scheußliches Exemplar übrigens, mit großen Beißern.
Duato erzählt die Geschichte nicht wirklich neu. Die kleine Clara (erst süß, dann brillant: Iana Salenko) fantasiert sich in eine Traumwelt, in der aus dem Nussknacker ein Prinz wird. Salenko flößt dem versteiften Marian Walter durch ihre Berührung Leben ein. Der muss als Nussknacker erst stramm marschieren, bevor er den fiesen Mäusekönig erdolcht. Die Mäuse hat Duato nicht verniedlicht, sie muten eher wie räudige Bisamratten an.
Der Compagnie fehlt es an Glanz
Der zweite Akt ist dann pures Divertissement. Ausstatter Jérôme Kaplan hat tief in die Kitschkiste gegriffen: Sterne funkeln am Firmament, rosa Herzen senken sich herab. Choreografisch vermag Duato nicht zu überzeugen: Er lockert zwar das klassische Ballett mit modernen Bewegungen auf, verleiht den Ensembleszenen mehr Schwung. Aber eine neue Ausformung der klassischen Tanzsprache ist nicht zu erkennen. Die Pas de deux von Clara und dem Prinzen bleiben meist in Stereotypen stecken. Iana Salenko und Marian Walter können vor allem durch ihre technische Virtuosität punkten, zum Dahinschmelzen sind sie nicht.
Am Ende werden die Tänzer vom Publikum frenetisch gefeiert, als gehörten sei einer vom Aussterben bedrohten Spezies an. Man hätte sich gewünscht, dass das Staatsballett nach den Protestaktionen der letzten Wochen mal wieder mit künstlerischer Qualität auf sich aufmerksam macht. Doch der Abend enttäuscht. Dass es der Compagnie mittlerweile an Glanz fehlt, ist nicht zu übersehen.
Weitere Aufführungen am 9., 19. und 28. Oktober sowie im November und Dezember in der Deutschen Oper.
Sandra Luzina
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