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Kultur: Bling-Bling mit Bleifuß

Überzuckert: Der neue „Nussknacker“ des Staatsballetts erstickt in putzigen Kitschorgien.

In seiner zehnten und letzten Berliner Spielzeit möchte Vladimir Malakhov noch mal so richtig aus dem Vollen schöpfen. Für seinen Hang zum Bombast ist der ukrainische Tanzstar ja bekannt – und auch für eine eher rückwärtsgewandte Ästhetik. Bei der „Nussknacker“-Premiere in der Deutschen Oper fühlten sich die Zuschauer nun in das zaristische St. Petersburg zurückversetzt. Dort erlebte das Tschaikowsky-Ballett 1892 seine Uraufführung im legendären Mariinsky-Theater – und war zunächst alles andere als ein Erfolg.

Malakhov entschied sich nun für die Fassung von Vasily Medvedev und Yuri Burlaka, die auf der Überlieferung des Originals beruht. Die beiden Choreografen, die häufig in Archiven stöbern, sind so etwas wie die Gralshüter des russischen Balletts. Ein durch und durch russischer „Nussknacker“ wurde also für das Staatsballett Berlin bestellt. Die Neuinterpretation von Patrice Bart, die lange in Berlin getanzt wurde, war wohl zu modern und zu französisch.

Aber: Der neu-alte „Nussknacker“ versprüht nicht etwa nostalgischen Charme. Er verkommt vielmehr zur quietschbunten Kitschorgie. Und ist in tänzerischer Hinsicht ein Ballett mit Bleifuß. Das Bühnenbild (Andrej Voytenko) und die Kostüme (Tatiana Noginova) sind an die historischen Vorlagen angelehnt, sie entsprechen dem damaligen Geschmack. „Pompöses war Zeitgeist“, erklärten die beiden Choreografen im Interview. Sie schwelgen nun völlig ungeniert im Neo-Pomp, zeigen gemalte Kulissen von einem winterlichen Tannenwald oder ein deutsches Städtchen mit putzigen Bauten und Bewohnern. Das Stück, das von einer Novelle von E.T.A. Hoffmann inspiriert wurde, ist in einem märchenhaften Deutschland angesiedelt. Der erste Akt spielt im Haus der Familie Silberhaus, wo an Heiligabend zahlreiche Gäste erwartet werden. Spät erscheint auch Drosselmeyer und schenkt seinem Patenkind Clara einen Nussknacker. Das Mädchen beginnt zu träumen, alle Puppen werden auf einmal lebendig.

Die Bescherung darf in diesem Jahr etwas üppiger ausfallen, dachte man offenbar beim Staatsballett. Und so wurden bei der Ausstattung des Bling-Bling-Balletts keine Kosten gescheut. Kaum ein Ballett-Intendant wagt es heute noch, solchen Aufwand zu treiben. Hier aber wird in wilder Dekorationswut immer noch ein Schnörkel, eine goldene Verzierung hinzugefügt. Das Gesamtbild ist protzig und überladen, es erinnert an einen Antiquitätenladen, wo an jedem Möbelstück ein Preisschild hängt.

Der zweite Akt, der in Konfitürenburg spielt, setzt dem schlechten Geschmack die Krone auf. Und steigert noch einmal den Niedlichkeitsfaktor. Angesichts all der zuckersüßen Geschöpfe auf der Bühne fühlt man sich wie eine Wespe, die im Marmeladenglas gefangen ist. Acht Kinder wedeln als blonde Engel mit ihren Flügelchen. Clara und der Prinz gleiten auf einem goldenen Schwan herein. 24 Schneeflöckchen in weißen Röckchen und üppigem Kopfputz bilden tänzerische Ornamente. Und beim berühmten Blumenwalzer müssen die als Sonnenblumen verkleideten Tänzer sich zu Girlanden flechten.

67 Eleven der Staatlichen Ballettschule wirken mit an diesem choreografischen Naschwerk. Sie müssen vor allem artig und niedlich aussehen. Die kleine Clara wird von Sabrina Salva Gaglio getanzt, die sicher ein großes Talent ist, aber für ihre 12 Jahre schon reichlich geziert wirkt. Dieses Mädchen wird sich wohl nie beim Rumtoben ein Loch in die Strumpfhose machen.

Der Höhepunkt des Abends ist der Auftritt von Iana Salenko und Marian Walter, die in den Doppelrollen Clara/Fée Dragée und Nussknacker/Prinz brillieren. Aber viel zu tun haben sie nicht. Aufatmen kann man auch, wenn Michael Banzhaf erscheint, der dem Drosselmeyer etwas ironischen Dracula-Charme leiht. Doch die Choreografie, die Lew Iwanow nachempfunden ist, bietet nicht viele lohnenswerte Tanzszenen. Und beim Divertissement am Ende funkelt vor allem der Flitter, der auf die Bühne regnet. Sandra Luzina

wieder am 25. und 27. Oktober

Sandra Luzina

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