Otto Dix Ausstellung in Colmar: Passion eines Malers
Otto Dix, der Krieg und der Isenheimer Altar: Eine Ausstellung in Colmar zeigt eine Schaffensperiode des deutschen Malers, die oft weniger beachtet wird.
„Vor dem Altar des Matthias Grünewald sehe ich durch das Bild den Hexenkessel im Priesterwald, die zerschossenen, zerfetzten Kameraden“, schreibt der expressionistische Dichter Ernst Toller rückblickend über seinen Besuch in der Alten Pinakothek in München, wo er den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald gesehen hatte. Das mehrflügelige Werk war 1917 aus dem noch zum Deutschen Reich gehörenden Colmar nach München verbracht, restauriert und ab dem 24. November 1918 ausgestellt worden. Das kostbare Werk, alsbald zum „Heiligtum der deutschen Kunst“ erhoben, musste nach dem Versailler Vertrag Ende September 1919 ins nunmehr französische Colmar zurückgegeben werden.
Die Wirkung des Altarbildes auf die Künstler des Expressionismus war enorm. Eine damals eher ironische Reaktion zeigte der Kriegsfreiwillige des Ersten Weltkriegs, Otto Dix, der in seinen dem Dadaismus nahe stehenden Arbeiten einzelne Motive der umfangreichen Historia des Altarwerks aufgreift.
Otto Dix (1891–1969) sollte einen Krieg später in unmittelbaren Kontakt mit dem Isenheimer Altar geraten. Als kriegsgefangener Volkssturmmann kam er im April 1945 in das Lager Colmar-Logelbach. Schon bald wurde er vom französischen Kommandanten erkannt und mit dem Privileg ausgestattet, seiner künstlerischen Tätigkeit im Lager und dann auch außerhalb nachgehen zu dürfen. Nachdem Dix während der NS-Zeit in Hemmenhofen am Bodensee in „innerer Emigration“ gelebt und sich der Landschaftsmalerei wie auch christlichen Themen gewidmet hatte, bedeutete die Begegnung mit Grünewald eine Vertiefung seines künstlerischen Weges. Jahre später sagte er: „Mein Leben war mir Anlass genug, die Passion am Bruder, ja am eigenen Leib zu durchleben.“ Die biblischen Themen nannte er „Gleichnisse meiner selbst und der Menschheit“.
In Frankreich ist Dix kaum bekannt
Dixens Malerei nach seiner Entlassung aus dem Dresdner Lehramt im April 1933, während der Nazizeit und der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ist jetzt Thema der Ausstellung „Otto Dix – Isenheimer Altar“ im Colmarer Museum Unterlinden. Sie rückt Dix in unmittelbare Nachbarschaft zum Isenheimer Altar, der ihn wie viele andere Künstler ein Leben lang begleitet hat. In Frankreich ist Dix kaum bekannt, so wenig wie die meisten deutschen Künstler, und so schlägt Museumskuratorin Frédérique Goerig-Hergott mit der Schau eine Brücke zwischen den benachbarten, künstlerisch aber einander fern stehenden Ländern.
Die Ausstellung im Obergeschoss des Erweiterungsbaus, entworfen von den Basler Weltstars Herzog und de Meuron, versucht zugleich eine Kurzübersicht zu Dixens Werdegang zu liefern. Sie beginnt mit Gemälden von Kollegen aus der kurzen Düsseldorfer Zeit, die insofern ein wenig überrepräsentiert sind; denn die alsbald einsetzende neusachliche Phase kann leider nicht gleichermaßen stark vorgestellt werden. Aus dem Pariser Centre Pompidou stammt das Bildnis der Sylvia von Harden, immer ein Hingucker in Dix’ Ausstellungen.
Wichtiger sind die Bilder über den Krieg, für die die Leihgabe der Berliner Nationalgalerie steht, „Flandern“ von 1934/36. Das Gemälde – bereits während der Nazizeit entstanden, als Dix keineswegs ein Malverbot hatte, wie oft behauptet wird – ist geradezu eine Illustration der Sätze von Henri Barbusse, dem pazifistischen Schriftsteller, der in seinem „Tagebuch“ die von Dix dargestellte Szene der zu Tode verkrampften Soldaten in der flandrischen Mondlandschaft beschreibt. Und zwar in dem Moment, da die Sonne aufgeht. Dichter noch am Isenheimer Altar mit seiner ungeschminkten Darstellung der Grausamkeit des Todes wäre das „Kriegs“-Triptychon von 1932 aus Dresden, das allerdings nicht transport- und leihfähig ist.
Landschaften und biblische Szenen
So geht die Ausstellung über in die am Bodensee entstandenen Landschaften und biblischen Szenen. Sie sind auch für ein deutsches Publikum – das in Colmar nun doppelt erwartet wird, nicht allein wegen Grünewald – weitgehend unbekannt. Mehrfach malt Dix den heiligen Christopherus oder auch Johannes auf Patmos. Im „Bildnis Julius Bahle mit Kind“, hier erstmals öffentlich ausgestellt, greift Dix direkt auf die Ikonografie Grünewalds zurück. Die Landschaften, wie die „Waldschlucht“ von 1940, orientieren sich an Altdorfer und der sogenannten Donauschule – eher ein Konstrukt der Kunstgeschichtsschreibung als eine tatsächliche Künstlergruppe. Die von Moos überwachsenen Baumstämme übernimmt Dix jedoch unmittelbar von Grünewald. 1943 stellt er sich – unverkennbar in dem seit Dresden stets getragenen Malkittel – gar als heiligen Lukas dar, der die Muttergottes malt.
Nach dem Krieg im Lager kann Dix nicht mehr aufwendig auf Holz malen, er nimmt billiges Sperrholz oder Presspappe. Im Auftrag des Kommandanten entsteht das kleinformatige Triptychon der „Madonna vor Stacheldraht“ für die Lagerkapelle, das der Lagerchef zum Ärger von Dix für sich selbst beansprucht. Es gelangt irgendwie außer Landes und wird 1987 vom West-Berliner Senat ersteigert, der es der Wallfahrtskirche Maria Frieden in Berlin-Mariendorfals Dauerleihgabe zur Verfügung stellte. Es bedurfte langer Verhandlungen, wie die Kuratorin berichtet, um das Werk für die Ausstellung nach Colmar holen zu dürfen, wo es nun in einem eigenen Gehäuse zu sehen ist.
Viele der Werke haben den Weg in Kirchen gefunden
Parallel malte sich Dix mehrfach als Kriegsgefangener in der Ikonografie des dornengekrönten Christus. Die „Geißelung Christi“ von 1948 ist wiederum im Lager angesiedelt, mit Uniformierträger und Kapo. In der Darstellung des „Hiob“ als Verwundeter inmitten von Trümmern greift er 1946 die entsprechende Darstellung des Kranken auf dem Isenheimer Altar auf. Die grelle, nun gar nicht mehr altmeisterliche Farbigkeit der Nachkriegsjahre klingt erst im Spätwerk des Wandbildentwurfs für das Rathaus von Singen ab, in „Krieg und Frieden“ von 1960.
Mit diesem Breitformat endet die Colmarer Ausstellung. Während der Hochphase der abstrakten Kunst in den fünfziger und frühen sechziger Jahren galt Otto Dix allenfalls als ein Künstler der Vergangenheit. 1968 kann er das Kriegstriptychon an die Museen seiner künstlerischen Heimatstadt Dresden vermitteln. Erstaunlich viele Werke seiner Bodenseejahre haben den Weg in Kirchen gefunden; eine Leihgabe stammt sogar aus dem Vatikan. Otto Dix, dieser fulminante Ankläger des Krieges während der Weimarer Republik, als Kirchenmaler: Auch das ist eine Facette seines Werks, das mit der Colmarer Ausstellung eine wesentliche Ergänzung erfährt.
Colmar, Musée Unterlinden, bis 30. Januar. Katalog im Verlag Hazan, deutsch oder französisch, 35 €. Informationen: www.musee-unterlinden.com
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