zum Hauptinhalt
Szene aus der "Prinzessin von Trapezunt" in Hildesheim
© Jochen Quast

Jacques Offenbachs 200. Geburtstag: Operettenkönig und Cellovirtuose

Er hat nicht nur witziges Musiktheater gemacht: Das Jubiläumsjahr lädt dazu ein, die anderen Seiten des Komponisten Jacques Offenbach zu entdecken.

Vielleicht hätte Jacques Offenbach die Operette gar nicht erfunden, wenn das Pariser Musikleben im 19. Jahrhundert nicht so restriktiv geregelt gewesen wäre. Dramatische Werke mit Rezitativen durften ausschließlich an der Opéra gespielt werden, das Recht für heitere Werke mit Dialogen zwischen den Arien lag exklusiv bei der Opéra Comique. Wer als Komponist nicht an einem der beiden Häuser angenommen wurde, hatte nur die Möglichkeit, Einakter mit maximal drei Mitwirkenden an einer der kleineren Bühnen der Stadt herauszubringen.

Also startet Offenbach 1855 sein Théâtre des Bouffes-Parisiens mit Kurzopern. Die haben sofort Erfolg, weil ihre Libretti frecher sind als die der Konkurrenz und die Melodien sofort ins Ohr gehen. Schon ein Jahr später kann Offenbach mit seiner Truppe in ein größeres Haus übersiedeln, das er unermüdlich mit Uraufführungen bestückt: Von 110 Bühnenwerken Offenbachs sind 53 Einakter. Denn obwohl auch die noblen Musentempel bald Abendfüllendes von von ihm wollten, komponiert er parallel weiterhin musiktheatralische Miniaturen.

Egal, wo sein Name auftaucht, das Publikum drängt sich an den Kassen: nicht nur die einfachen Leute, für die normalerweise die leichte Unterhaltung gemacht wird, sondern auch die Bürgerlichen und Adligen. Obwohl sich Jacques Offenbach und seine Librettisten ständig über die höheren Schichten lustig machen. Die Antike-Parodien „Orpheus in der Unterwelt“ und „Die schöne Helena“ karikieren die Eitelkeit der Mächtigen und der Militärs ebenso wie „Die Großherzogin von Gerolstein“ oder „Barbe Bleue“. In „Le Roi Carotte“ steht eine Mohrrübe an der Spitze des Staates, in „Barkouf“ wird ein Hund zum Regierungschef gemacht.

Er macht sich früh einen Namen als Virtuose

Als 1864 endlich das staatliche Privileg von Opéra und Opéra Comique für die abendfüllende Form aufgehoben wird, ist Jacques Offenbach längst ein Star der internationalen Kulturszene, dessen Werke weltweit gespielt werden. Dabei war er 1833 ursprünglich gar nicht nach Paris gekommen, um der vergnügungssüchtigen Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs den Spiegel vorzuhalten, sondern um als Cellist Karriere zu machen. Isaac Offenbach, der Vorbeter der Kölner Synagoge, hatte seinen Söhnen Julius und Jakob früh Musikunterricht gegeben – und beide erwiesen sich als so talentiert, dass er ihnen eine Ausbildung an der besten europäischen Musikhochschule ermöglichen wollte, also am Conservatoire de Paris. Der Jüngere von beiden schafft es tatsächlich, den strengen Direktor Luigi Cherubini mit seinem Instrumentalspiel so zu überzeugen, dass er aufgenommen wird, im zarten Alter von gerade einmal 14 Jahren.

Komiker mit Cello. Jacques Offenbach in einer Karikatur von André Gill, Jahr 1866.
Komiker mit Cello. Jacques Offenbach in einer Karikatur von André Gill, Jahr 1866.
© akg-images

Nach zehn Monaten allerdings verlässt Jacques, wie Jakob sich jetzt nennt, das ehrwürdige Institut schon wieder, um sich in der Praxis zu bewähren. Sein Geld verdient er im Orchester der Opéra Comique, einen Namen aber macht er sich bei Soireen in den vornehmen Salons. Dort tritt er als Virtuose auf, am liebsten mit selbst komponierten Stücken. Zur Feier von Offenbachs 200. Geburtstag hat die junge Cellistin Raphaela Gromes diese Werke jetzt wieder aus dem Dunkel der Archive geholt und für Sony auf CD eingespielt. Mit dem Pianisten Julian Riem präsentiert sie die technisch höchst anspruchsvollen, formal eher konventionell konzipierten Kabinettstückchen, die „Danse bohémienne“ heißen, „Introduction et valse mélancholique“ oder auch „Rêverie au bord de la mer“ (Träumerei am Meeresstrand). Wortlose Opernszenen für Cello und Klavier sind das, überbordend in ihrem melodischen Einfallsreichtum.

Wie sehr es schon den jungen Offenbach zur Bühne drängt, wird noch deutlicher im „Concerto militaire“, das der 28-Jährige 1847 komponiert. Mit seinen 45 Minuten Aufführungsdauer sprengt es alle Dimensionen damals üblicher Solistenkonzerte. Zusammen mit dem sehr offenbachsch benannten Orchester „Les Forces Majeures“ (zu Deutsch: Höhere Gewalt) entfesselt Edgar Moreau auf seine neuen CD (erschienen bei Erato) ein Feuerwerk des musikalischen Humors. Denn so, wie der charismatische Franzose mit seinem Bogen auf den Saiten tanzt, wie er durch die Oktaven flitzt, in einem Moment im Flageolett flirtet, im nächsten wieder wild drauflos säbelt, entpuppt sich dieses Schaustück als Parodie auf das Gewese, das man in Paris um die Instrumentalgenies der Zeit machte, um den Teufelsgeiger Paganini und den Klavierdämon Liszt.

Der größte Musikkabarettist seiner Epoche

Edgar Moreau ist der ideale Interpret für dieses flickenteppichhafte Machwerk, ein Hochleistungssportler mit Esprit, der die Stahlsaiten unter dem Druck der Rosshaare zum Glühen bringt, der aber auch vom Kavalleristen zum Kavalier werden kann, wenn er sich im langsamen Satz in gefühlsseligem Sentiment verströmt, liebessehnsüchtig schmachtend wie ein Operettentenor.

Jacques Offenbach nämlich war nicht nur der größte Musikkabarettist der Epoche von Napoléon III., sondern auch ein genuiner Romantiker. Einer, der immer wieder auch die schattige Seite seiner Seele offenbart. Ab Ende der 1860er Jahre entstehen berührende Werke, die von den Herzensnöten junger Menschen erzählen, wie „Fantasio“ nach einem Theaterstück von Alfred de Musset oder „Die Prinzessin von Trapezunt“, die in der zartfühlenden Inszenierung von Max Hopp im Frühjahr am Theater Hildesheim zur Entdeckung des Offenbachjahres wurde.

In Berlin dagegen mochte kein Opernhaus zum Geburtstag mit einer Ausgrabung gratulieren. Am 27. Juni immerhin kommt das Gürzenich-Orchester aus Köln für ein Gastspiel in die Philharmonie, um unter der Leitung von Francois-Xavier Roth den großen Sohn der Domstadt zu feiern. Bei den Salzburger Festspielen wiederum bringt Barrie Kosky im August seine Version von „Orphée aux enfers“ heraus. Mit „Darstellern, die Clowns sind“, will er ein „Offenbach-Panoptikum“ entstehen lassen, das zeigt, welche subversiven Kräfte dieser „Mischung aus politischer Satire, Pornografie und Variété“ innewohnen – und dass die Kunst des Komponisten auch in der Klezmermusik wurzelt. 2021, pünktlich zum 202. Offenbach-Geburtstag, wird die Produktion dann auch an der Komischen Oper zu sehen sein.

Zur Startseite