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Liberté, toujours. Katharina Schutza, Dieter Wahlbuhl, Meike Hartmann, Julian Rohde, Jan Rekeszus, Neele Kramer und Levente György haben Offenbach-Spaß.
© Jochen Quast

Offenbach-Operette in Hildesheim: Wachsfiguren küsst man nicht

Lassen sich Offenbach-Operetten heute noch überzeugend inszenieren. Das beweisen Max Hopp und Adam Benzwi mit der „Prinzessin von Trapezunt“ in Hildesheim.

Im Januar gab es an der Deutschen Oper ein paar Aufführungen von „Hoffmanns Erzählungen“. Die Frage des Tagesspiegels, ob 2019 noch weitere Offenbach- Produktionen geplant seien, muss die Pressestelle der Deutschen Oper aber mit Bedauern verneinen. Auch die Recherche bei der Staatsoper, der Komischen Oper und der Neuköllner Oper ergibt: Zum 200. Geburtstag des Komponisten hat die Musikmetropole Berlin rein gar nichts geplant. Dabei hat Jacques Offenbach in 61 Lebensjahren die stolze Zahl von 150 Bühnenwerken geschaffen.

Wenn sich nicht noch eine hauptstädtische Off-Theatertruppe aus der Deckung wagt, bleibt allen, die sich fragen, ob Offenbach-Operetten heute überhaupt noch funktionieren, nur der Ausweg, auszuweichen. Nach Köln beispielsweise, wo der Sohn des Buchbinders und Synagogenkantors Isaac Juda Ebers 1819 geboren wurde. Dort wird im Juni und Juli „Die Großherzogin von Gerolstein“ zu sehen sein. Bereits im Mai zeigt die Hamburgische Staatsoper Renaud Doucets Inszenierung von „La belle Hélène“, die wirklich lustig ist, weil der Franzose die Antikenparodie als federleichtes Divertissement präsentiert. Man kann „Häuptling Abendwind“ in Stralsund besuchen, „König Karotte“ in Hannover – oder nach Hildesheim fahren. Dort haben Max Hopp und Adam Benzwi gerade „Die Prinzessin von Trapezunt“ ausgegraben.

Im Kern geht es um die Sehnsucht nach Liebe

Ja, genau, der Max Hopp, der zu Barrie Koskys Lieblingsprotagonisten an der Komischen Oper gehört und dort in Produktionen wie „Anatevka“ oder „Eine Frau, die weiß, was sie will“ brillierte, hat sich am „Theater für Niedersachsen“ an seine erste Regiearbeit gewagt. Und Adam Benzwi, der nicht nur Musical-Professor an der Berliner Universität der Künste ist, sondern ebenfalls an der Komischen Oper schon so manchem unterhaltsamen Kosky-Abend als Dirigent zum Erfolg verhalf, steht ihm dabei zur Seite.

Ein Flügel findet sich im kleinen Hildesheimer Orchestergraben, obwohl der von Offenbach ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Doch Adam Benzwi hat die Partitur bearbeitet, absolut respektvoll, hat die immer etwas zu kompakte, aus chronischer Zeitnot eher schematische Instrumentation des Komponisten sanft ausgelichtet, geistreiche Klangeffekte von Schlagwerk und Blechbläsern aus dem Bühnengeschehen abgeleitet – und sich für einige intime Momente vorbehalten, diese am Klavier zu begleiten.

Die Ausgrabung der 1869 für ein Gastspiel der „Bouffes-Parisiens“ in Baden-Baden entstandene „Prinzessin von Trapezunt“ ist deshalb ein bedeutender Beitrag zum Offenbach-Jahr, weil sie hilft, die gedankliche Brücke zu schlagen von den grell-geistreichen Sozialsatiren des Komponisten aus dem Kaiserreich Napoleons III. hin zu seinem unvollendet hinterlassenen Meisterwerk „Hoffmanns Erzählungen“. Ebenso wie „Fantasio“ zeigt nämlich auch „Die Prinzessin von Trapezunt“, dass sich die romantisch-melancholische Seite des Komponisten bereits zum Ende der 1860er Jahre immer mehr Bahn brach. Die Handlung ist zwar noch als Groteske angelegt – eine Schaustellerfamilie wird per Lotteriegewinn zu Schlossbesitzern, langweilt sich dann aber schnell im adligen Ambiente. Doch im Kern geht es um die Sehnsucht der Protagonisten nach Liebe.

Drei Paare werden sich am Ende gefunden haben

Märchenhafte Züge hat dabei vor allem Prinz Raphael, ein schwärmerischer Jüngling, der sich in eine Wachsfigur verliebt, eben die titelgebende Prinzessin, die jedoch just bei seinem Besuch im Raritätenkabinett von einer echten Frau dargestellt wird. Weil die Schausteller-Tochter ihr zuvor beim Saubermachen versehentlich die Nase abgeschlagen hat. Drei Paare werden sich am Ende gefunden haben, und ihnen gehört auch die ganze Zuneigung Offenbachs: ihre sehnsuchtsvoll-sentimentalen Musiknummern sind mit Abstand die inspiriertesten dieser Opéra-bouffe.

Max Hopp und Adam Benzwi hatten es sich zum Ziel gesetzt, mit ihrer Neubefragung des Stücks sowohl den Esprit der Entstehungszeit freizulegen als der Story auch einen heutigen Dreh zu verleihen. Das ist ihnen aufs Schönste geglückt. Ein hinzu erfundener Conferencier, der immer dort die Handlung rafft, wo sie weitschweifig zu werden droht, erinnert mit seinem schnarrenden Dreißigerjahre-Radiosprecher-Tonfall an das Musical „Cabaret“. Angenehm altmodisch klingen hingegen die deutschen Reime, Modeworte werden nur sparsam eingestreut.

Schauspielerische Intensität wie zu Offenbachs Zeiten

Als Adam Benzwi im Vorfeld den Wunsch äußerte, die Solisten mögen bitte ganz unvorbereitet zur ersten Probe erscheinen, stieß das zunächst auf Verwunderung. Doch seine Taktik, den Gesang erst allmählich aus dem Umgang mit dem Text heraus zu entwickeln, ermöglicht eine schauspielerische Intensität, die dem sehr nahekommen dürfte, was die Zuschauer zu Offenbachs Zeiten erlebt haben. Denn damals standen zumeist Schauspieler auf der Bühne, die auch singen konnten.

Bei den Hildesheimer Solisten werden die Musiknummern chanson- und moritatenhaft, Deklamation und Gesang gehen nahtlos ineinander über. Dabei entsteht echtes Volkstheater, weil auch Max Hopp in seiner Personenführung auf Natürlichkeit abzielt, auf eine bezaubernde Mischung aus Naivität und karikaturhafter Überzeichnung der Figuren. Da erscheinen dann selbst die verrücktesten Volten der Handlung geradezu folgerichtig.

Weil sich Hopp als Regisseur nicht in den Vordergrund spielt und über weite Strecken darauf fokussiert ist, für das richtige Komödientempo zu sorgen, macht das Happy End dann richtig Effekt, wenn die Paare in ihrem Liebesglück kollektiv nach Herbert-Fritsch-Manier über die Stränge schlagen. Dazu erklingt – natürlich! – ein Can-Can.

Nächste Aufführungen am 31. März sowie im Mai. Infos: www.tfn-online.de

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