Comeback eines Malers: Nach einer Schaffenspause stellt Neo Rauch bei Eigen + Art wieder aus
Ein allergischer Schock mit Nahtod-Erfahrung, eine Schaffenskrise warfen ihn vorübergehend aus der Bahn. Mit einer furiosen Ausstellung bei Eigen + Art kehrt der Leipziger Maler Neo Rauch wieder zurück.
Alle, alle sind sie gekommen gleich nebenan in Clärchens Ballhaus in der Auguststraße, um die Rückkehr eines Malers zu feiern: Sammler, Museumsdirektoren, Kollegen, Kritiker. Zu Beginn des Abends bedankt sich der Künstler artig bei seinem Galeristen Judy Lybke, bei seiner Frau Rosa Loy. Denn dass Neo Rauch hier steht, nach drei Jahren Pause, dass er eine neue Produktion vorzeigen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Ein allergischer Schock mit Nahtod-Erfahrung, eine Schaffenskrise warfen ihn vorübergehend aus der Bahn.
Diese erste Ausstellung wieder in seiner Stammgalerie bei Eigen + Art stellt also einen besonderen Moment für Neo Rauch dar. Doch da spricht kein selbstbewusster Star, sondern ein Zweifler, der er immer schon war. Den Gästen geht zu Herzen, dass ihr Held selbst im Moment des Triumphs, am Eröffnungsabend der schon vorab gefeierten Ausstellung, von den dunklen Gestalten erzählt, den Ängsten, die ihn nachts heimsuchen. Und was die Kritiker seinen Bildern zum Vorwurf machten, so oder ähnlich sagt er es in gedrechselten Worten, darüber habe er schon lange vorher mit sich selbst gerungen. Wer solch innere Kämpfe mit sich austrage, der brauche keine äußeren Feinde zu fürchten.
Diese Wiederkehr lastet offensichtlich schwer auf den Schultern des Malers. Neo Rauch bleibt ein Kärrner, ein Schwerarbeiter im Atelier, vielleicht noch ein bisschen mehr, seitdem er gespürt hat, wie leicht all die Kraft, der Erfolg entgleiten kann. Ums Ringen geht es auch in seinen Bildern. Da werden stämmige Frauen von Kabeln umschlungen, da wird ein Mann an einer Leine auf allen vieren herumgeführt, ein anderer hält in der rechten Hand einen Säbel, in der linken ein maskenhaftes Haupt. Ein einziges Schieben und Drängen, ein Ziehen und Zerren.
Dem Betrachter erschließt sich kaum, worum es in den somnambulen Szenen geht, die Protagonisten wirken wie ferngesteuert: wie die Darsteller eines skurrilen Stücks, dessen Regisseur kurz um ein Innehalten gebeten hat, weil er sein Skript verloren hat und nicht mehr weiß, wie es weitergeht. In einem Interview hat Neo Rauch das Entstehungsprinzip seiner Kompositionen beschrieben, für die jener Moment der Offenheit, ja Ratlosigkeit entscheidend ist: Der Künstler fängt in einer Ecke der Leinwand zu malen an und weiß da noch nicht, wie es in der Mitte weitergeht. Und doch besitzen seine Arrangements eine ebenso schräge wie bestechende Logik. Nur dass sie sich wie bei einem Traum nach dem Erwachen nicht mehr erklären lässt.
In Neo Rauch hat der Surrealismus seinen schwerblütigsten Wiedergänger gefunden. Der Humor und die Heiterkeit eines Max Ernst sind ihm fern, doch tauchen auch bei ihm die Figuren aus dem Unbewussten auf und fügen sich zu absurden Konstellationen. „Die Versenkung“ lautet die Bezeichnung des für die gesamte Ausstellung bei Eigen + Art titelgebenden Bildes. Bei einem wie Rauch, der es so schwer nimmt, könnte man denken, dass geistige Vertiefung, meditative Übung gemeint sein könnte. Doch nein, der Begriff ist wörtlich zu verstehen. In den Bildern des Leipziger Malers geht es immer handfest zu, auch wenn ein esoterisches Lüftchen die Handelnden umweht.
Drei Männer lassen einen vierten an Beinen und Brust in ein backsteinernes Verlies herab. Ein Maler könnte der arme Wicht sein, der da gerade versenkt wird, denn neben der Bodenöffnung liegen bunte Haufen wie aus Farbtuben gedrückt. Sein Vergehen besteht offenbar in seiner Unfähigkeit, die baumelnden Hände des Ohnmächtigen stecken in klobigen Fäustlingen. Das grüne Jackett mit roten Pompons könnte ihn auch als gescheiterten Clown ausweisen. Im Hintergrund sprechen derweil zwei Richter das Urteil über den nächsten Angeklagten, der ängstlich zur Szene vorne rüberschaut. Oder ist es nur ein weiteres Bild, das an einer Wand lehnt, die wiederum eine rückwärtige Bühne bildet? Bei Rauch herrscht das Matrjoschka-Prinzip: Eine Szene greift in die andere, nur weiß man nie, welche den Ausgangspunkt für das gesamte Geschehen bildet.
Die Figuren in Rauchs Bildern gehen rätselhaften Handlungen nach
Finster ist es in den Welten des Neo Rauch geworden. Die Himmel dräuen braun-violett. Die Figuren wirken häufig wie tumbe Gesellen, untersetzt, in ihrer Kostümierung aus der Zeit gefallen, mal mit Pluderhosen, Seidenwams, plissiertem weißem Kragen und einer Narrenkappe auf, mal in schweren Stiefeln, mit dicken Joppen. Oft spielen die Szenen auf freiem Feld, wo die Darsteller rätselhaften Handlungen nachgehen: auf Kugeln balancieren, Reifen tragen oder auf Schläuchen reiten. Zu den denkwürdigsten Erscheinungen gehört jene in die Luft aufsteigende Frau, „Die Erste“, so der Titel des Bildes. Sie hält einen Kranz über sich, als wäre sie eine Variante der Muttergottes, die zum Himmel fährt.
Giftgrün sind ihre Strümpfe, der Rock und der mit beiden Händen gehaltene Kranz. Wer nur auf die Valeurs der Bilder von Neo Rauch achtet, entdeckt schnell seine Schwäche für einen Petrolton, der fast schon penetrant in vielen Gemälden wiederkehrt. Und doch erlebt jenes Grün seine schönste Blüte in Jacke und Hut des Knienden in dem Bild „Gewitterfront“. Vor der Brust trägt er eine Trommel, die sich in geometrische Formen immer weiter nach vorne aufklappt. Auch er könnte die tragische Figur eines Künstlers sein, der demütig kniend für die Abstraktion trommelt. Neo Rauch aber bleibt der gegenständliche Maler, der nur andeutungsweise mit der Abstraktion kokettiert.
Beschwor der Künstler bei früheren Gemälden noch die Stimmung einer untergegangenen DDR herauf mit ihren Arbeitern und gestrengen Aufseherinnen in entleerten Industrieanlagen, so bilden nun mittelalterliche Städte das Setting. Rauch geht zurück in der Zeit, zurück auch in der eigenen Biografie. In der von ihm begründeten Grafikstiftung in Aschersleben, wo er als Kind bei seinen Großeltern aufwuchs, nachdem beide Eltern bei einem Zugunglück verstorben waren, zeigt er aktuell das Werk seines Vaters gemeinsam mit eigenen Arbeiten.
Hanno Rauch studierte noch, als er tödlich verunglückte. Seine Bilder bezeugen ein großes Talent. Dem Sohn ist es Vermächtnis, umso mehr seit er an sich selbst erfahren hat, wie endlich das eigene Schaffen ist. (Leinwände 220 000 bis 880 000 €, Zeichnungen 11 000 bis 22 000 €, Grafiken 3000 bis 9000 €)
Galerie Eigen + Art, Auguststr. 26, bis 2. 7.; Di bis Sa 11 – 18 Uhr.
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