Interview: Malen ist ein Offenbarungseid
Der Maler Neo Rauch wird 50 und spricht über Selbsthass, Vaterfreuden und Balanceakte im Atelier.
Herr Rauch, anlässlich Ihres 50. Geburtstags zeigen Leipzig und München
zeitgleich Retrospektiven. Macht das Angst?
Ich habe dem Ereignis mit wachsender Nervosität entgegengesehen. Nachdem ich beide besucht habe, haben sich meine Befürchtungen in Luft aufgelöst. Arbeiten, von denen ich glaubte, dass sie oft genug gezeigt worden wären und sich verschlissen hätten, haben durch die Nachbarschaft mit jüngeren Arbeiten eine andere Präsenz erfahren, andere Aspekte ihrer Bedeutungsstruktur freigesetzt.
Retrospektiven bergen für Künstler immer das Risiko, dass man sich an ihrem Werk sattsieht. Nach dem Motto: Prinzip verstanden, danke schön. Haben Sie diese Gefahr auch gespürt?
Ich gebe es zu: Einige Bilder konnte ich selbst nicht mehr sehen und habe mich mit ihnen jetzt wieder ausgesöhnt. Diese Angst ist allen Künstlern gemein, dass sie in erster Linie zu den Kollegen rüberschielen: Wie mag bei denen ankommen, was ich hier zeige? Erst in zweiter Linie schaut man zu den Kunstwissenschaftlern oder Museumsdirektoren.
Bei den Kunstkritikern haben Sie im Vorfeld eine Debatte entfacht. Über ganze Magazinstrecken wurde die Bedeutung Ihres Schaffens diskutiert.
Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht und frage mich, was sich da im Guten wie im Bösen angestaut hat, dass die Autoren nicht die Eröffnung abwarten konnten.
Müsste Sie das nicht auch freuen?
Natürlich könnte ich sagen: Das Schlimmste ist Gleichgültigkeit; brüske Ablehnung und enthusiastische Zuwendung sind willkommen. Aber dem Ganzen sind beunruhigende Tendenzen beigemengt. Ich habe das Gefühl, die Kettenhunde sind von der Leine.
Sind Sie da jetzt nicht sehr empfindlich?
Ich kann eine Menge einstecken in physischer Hinsicht. Aber wenn es persönlich wird, bin ich dünnhäutig.
Ähnlich reagierten Sie vor acht Jahren, als die Wiederkehr der Figuration zunächst heiß diskutiert wurde. Danach feierte die gegenständliche Malerei ihren Siegeszug, die Neue Leipziger Malerschule erlebte ihren Boom. Fühlten Sie da Genugtuung?
Ich bin verwinkelter organisiert, als dass ich mir Triumphe gönne. Ich muss noch lernen, in Momenten des Erfolges solche Gefühle zuzulassen. Ich frage mich dann immer: Wem schade ich jetzt? Wem stehe ich mit meinem stattlich gefüllten Einkaufswagen in der Markthalle im Weg?
Was bedeuten Ausstellungen für Sie?
Es ist nicht nur angenehm, wenn man ein selbst gemaltes Bild an die Wand hängt. So lange man damit allein ist, geht das in Ordnung. Wenn jemand hereinkommt, sei es nur die eigene Frau, wird es heikel. Es könnte ja Kritik kommen. Das ist ein Grundzug schöpferischer Produktion und Präsentation: die Furcht vor der Begegnung mit sich selbst, der eigenen Tonbandstimme, dem eigenen Porträtfoto. Ich lasse mich deshalb auch nicht mehr filmen. Im Grunde genommen ist es aber normal: Dass sich ein Maler am liebsten wegducken möchte, wenn seine Bilder für das Publikum freigegeben werden.
Vor allem in Ihren früheren Bildern ist die Nähe zum Selbst offensichtlich. Viele Figuren trugen selbstporträthafte Züge.
Das habe ich nie gesehen. Ich selbst kann das am wenigsten einschätzen. Dennoch ist jedes Bild und jedes Element ein Selbstporträt. Es ist immer ein psychodramatischer Offenbarungseid. Andere Künstler versuchen solche Schicksalsspuren zu eliminieren. Atmosphärische Lupenreinheit ist verführerisch. In schwachen Momenten wünsche ich mir, mehr davon zu haben: dass ich die Dinge stärker hermetisieren, überlackieren könnte.
Wenn man Ihre Bilder psychologisch deuten wollte, könnte man darin entdecken, dass die Farben dunkler, die Motive sinistrer geworden sind.
Nicht unbedingt. In den frühen Neunzigern gab es eine Reihe pechschwarzer Bilder. Jetzt habe ich gerade ein schrill pinkfarbenes gemalt. Andererseits: Wir alle hatten einen harten Winter – und so sehen dann auch die Bilder aus, die ich in den dunklen Monaten gemalt habe.
Trotzdem hat sich die Personnage Ihrer Bilder geändert: Früher waren es Funktionsträger der DDR-Arbeitswelt, heute treten Figuren in Kostümen der Französischen Revolution in biedermeierlichen Milieus auf. Die Szenen sind bedrohlicher geworden.
Diese Versatzstücke des 18. Jahrhunderts verschränken sich mit anderen Segmenten, die jeder Chronologie oder Verortbarkeit Hohn sprechen. Ich versuche das Gesamtfeld weiträumiger zu fassen. Die Problemzonenmarkierung gelingt nicht, wenn man wie mit einem Edding einen Splitterradius bestimmen will, der im öffentlichen oder gedanklichen Raum auftreten könnte. Bei diesem riskanten Treiben kann man sich verheben, wenn die Balanceübung missglückt. Ich kann mit voller Ladung abrutschen. Das kracht mehr und weithin hörbarer, als wenn ich auf überschaubarem Segment mit Tischtennisbällen jongliere. Das ist kein Faschingsulk und kein Flirt mit dem Surrealismus oder Fantasy-Aspekten.
Wie entsteigen diese Figuren Ihrem Inneren?
Die Figuren entstehen zwischen mir und der Leinwand. Sie sind beeinflusst durch die sie umgebenden Kraftfelder. Sie entstehen zwischen bereits im Bild vorhandenen Formstrukturen, Raumklimata, durch ein stimulierendes Kolorit oder den Vorgänger, der das Bild bereits dominiert. Auf diese Weise kommt es zu einer Interaktion zwischen den Personen.
Die Figuren erzeugen also ihre eigenen Mitakteure?
Ich arbeite lange an den Gesichtern, da sie als Ausdrucksträger auf das Gesamtbild reagieren müssen. Dabei durchlaufen sie diverse Verpuppungsstadien, bis der richtige Kopf auf den Schultern der richtigen Figur mit dem richtigen Ausdruck sitzt. Diese Prozesse ziehen sich endlos hin. Sie entfachen eine ungeheure Schöpfungslust, bedeuten ein ständiges Vaterwerden. Nur in der figurativen Malerei lässt sich das so erleben.
Ihr Galerist sagt, dass sich niemand so lange wie Sie in Ihre Bilder vertieft, auch nicht deren spätere Besitzer.
Das hoffe ich nicht, denn es soll sich um Produkte mit hoher Halbwertzeit handeln. Das lässt sich nicht gewährleisten; auch ein Bild sieht sich irgendwann leer. Und doch nie ganz, weil es sich um Malerei handelt. Auch bei einem dürftigen Bild spielen veränderte Lichtverhältnisse in einem Raum eine Rolle, so dass die Peinture mal wie Elfenbein, mal wie Bernstein aufscheinen kann. Ein gemaltes Bild besitzt ein höheres Potenzial an Entfaltungsmöglichkeiten als Fotografie. Ein Foto kann eine dramatische Situation abgelichtet haben, aber wenn sie verstanden ist, dann ist die glatte Fläche kein tiefergreifender Bedeutungsträger mehr.
Sie haben sich dafür mit einer anderen Gattung befreundet, der Literatur. Aus der Begegnung mit Uwe Tellkamp ist ein Katalogbeitrag entstanden.
Wir haben Gefallen aneinander gefunden. Es gibt parallele Strukturverläufe ...
.... das weiße Blatt und die weiße Leinwand ...
Sein Roman „Der Turm“ hat mich in Bann geschlagen, wegen der vorgeschalteten Sequenz, wegen des schlingpflanzenhaften Assoziationsmaterials. Ich bin hindurchgeglitten; das war wie ein Drogentrip. Dann war ich drin im Buch und kam nicht mehr raus. Diese verwunschene Heckenzone, durch die man hindurch musste, verhinderte den Austritt.
Das klingt nach ähnlichen Prozessen wie in der Malerei.
Ab einem Punkt beginnt auch das Bild zu saugen. Es magnetisiert sich auf und zieht Zusatzstoffe und Katalysatoren für die nächsthöhere Entwicklungsstufe heran. Für diese Prozesse bin ich nur bedingt verantwortlich. Das sind Momente der Freischaltung, des willkommenen Kontrollverlustes.
Die Gleiche könnte Ihnen auch mit der jetzigen Doppelausstellung passieren.
Das wird sich zeigen. Ich nutze Leipzig und München zum Resümieren, um Konsequenzen zu ziehen für die anstehende Produktion. Es stimuliert und setzt in gewisser Dosierung sogar Selbsthass frei: wenn man sich bei Manierismen ertappt. Ich schlage dann mit der Faust auf den Tisch und sage: Das muss ein Ende haben. Jetzt wollen wir künftig ohne diese Mätzchen auskommen.
Was für Mätzchen?
Es gibt Attitüdenhaftes, zum Beispiel die Sprechblasen, Textblöcke. Das Prinzip hat sich vernutzt. Mitunter war es nur der exaltierte Schlussakkord in einem Stück, das ohnedies in Langeweile verreckt wäre. Man kann die formale Dramatik eines Bildes hochfahren, ohne sich groß anzustrengen, indem man sich der Trickkiste der Pop-Art oder Postmoderne bedient. Wenn von innen her keine logische Konfiguration gelingen will, kann man mit postmodernem Überlagerungsgetue zu einem funktionierenden Gemälde gelangen, das nur so tut, als hätte es dramatische Schicksalsspuren aufzuweisen. Dabei ist es nur übereinandergekleisterte Belanglosigkeit. Eine Ausstellung animiert dazu, die eigenen Bilder besser durchzuharken, stärker auszuräumen.
Das Gespräch führte Nicola Kuhn.
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