Künstlerehe: Die Kunst, ein Paar zu sein
Sie lieben sich und sind doch Konkurrenten: Die Ehe zwischen Künstlern ist heikel. Neo Rauch und Rosa Loy wissen das. Ein Besuch.
Eigentlich ist die Katastrophe programmiert. Er Künstler, sie Künstlerin – das kann nicht gut gehen. Zumindest nach den Regeln der Kunst, und die wiegen doppelt schwer. Schließlich wird an der Staffelei, am Bildhauerblock alles gegeben, was den Menschen ausmacht, sein Innerstes nach außen gekehrt. Wenn dann auch noch zwei zusammenleben, kann es kaum mehr Blöße geben. Als Künstlerpaar vereint zu sein, was für eine Hypothek! Seit dem 19. Jahrhundert gibt es dieses Modell, seitdem sich die Malweiber an den Akademien und im Ausstellungsbetrieb ihren Platz erkämpften. Maler und Malerinnen fanden zusammen, wie sollte es anders sein? Nur endete das meist böse, zumindest tragisch.
Die Vorstellung schwingt bis heute mit, wenn man an so eine Beziehung denkt. Auch Neo Rauch und Rosa Loy, der prominenteste Vertreter neuer deutscher Malerei und seine Frau, werden damit immer wieder konfrontiert: „Es gibt das Klischee von der prinzipiell nicht funktionsfähigen Künstlerehe,“ wissen beide und liefern doch das schönste Gegenbeispiel. Nur werden die Geschichten vom Scheitern lieber erzählt. Etwa die von Camille Claudel und Auguste Rodin: Der gestandene Bildhauer nimmt das junge Talent in sein Atelier auf, eine leidenschaftliche, höchst kreative Beziehung beginnt. Nach 15 Jahren schließlich trennt sich Rodin für eine andere; die verlassene Partnerin schafft noch letzte erschütternde Werke, dann verfällt sie dem Wahnsinn. Das ist der Stoff, aus dem Filme sind. Das Szenario einer turbulenten Ehe gewinnt seinen besonderen Reiz aus der künstlerischen Leidenschaft, dem Milieu der Bohème; verhandelt aber werden Probleme, deren Ursprünge jeder von zu Hause kennt.
Eine weitere Vorlage liefert die Beziehung zwischen Frida Kahlo und Diego Rivera, der wie Rodin zu Lebzeiten Star war, seine attraktive Frau galt nur als Begleiterin. Bei ihnen sollte sich das Verhältnis im Nachhinein umkehren. Frida Kahlo ist heute die große internationale Figur, der Publikumsmagnet. Allein ihre Berliner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau sahen 235 000 Besucher. Rivera hingegen kennt man heute weniger als Maler, eher als vergötterten Gatten, der seine Frau betrog. Auch Paula Modersohn-Becker sollte nicht mehr erleben, dass sie Otto Modersohn überflügelte. Nach einer Phase der Abtrünnigkeit kehrte die ebenfalls weitaus jüngere Malerin aus Paris ins heimische Worpswede zurück und verstarb im Kindbett.
Gleichberechtigung, gegenseitige Anerkennung scheinen die Ausnahme zu sein. Erst das 20. Jahrhundert kennt Beispiele dafür: Sonja und Robert Delaunay etwa oder Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely. Die Künstlerehe wurde zur Normalität, die Dominanz des männlichen Partners in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings blieb. Selbst das 21. Jahrhundert hat daran nicht viel geändert. Neo Rauch (50) und Rosa Loy (51) können ein Lied davon singen: er Malerstar – und sie? „Ich bin die Frau von Neo Rauch und male auch“, betitelte spöttisch die „Bild“ die Besprechung von Loys Ausstellung in der Berliner Galerie Schlechtriem Brothers, die am Ende aber anerkennend war. Denn Rosa Loy ist eine großartige Malerin, die nur im Schatten ihres ungleich bekannteren Mannes steht. Wie geht das? Wie arbeitet es sich Atelierwand an Atelierwand mit dem Helden der Neuen Leipziger Malerschule, dessen Werke hunderttausende Euro auf dem Markt erzielen?
Partnerschaftlich, lautet die lakonische Antwort der beiden. Sie kennen es kaum anders, sind sie doch bald 30 Jahre ein Paar, seit sie sich als Studenten an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchdruck kennenlernten. Zusammen haben sie einen 19-jährigen Sohn. Doch bevor sich die beiden zu ihrem Dasein als Künstlerpaar äußern, bittet Rauch in seinem Atelier zu Tisch. Der lange Tisch steht gleich neben diversen Staffeleien mit angefangenen Leinwänden, auf dem Boden Farbtuben, Paletten, Arbeitsschuhe mit bunten Spritzern, die sich zu Stillleben vereinen. Durch die hohen Fenster der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig-Plagwitz fällt Licht. Ideal zum Malen.
Um 12 Uhr aber ist Mittagszeit. Dann wird der Pinsel beiseite gelegt. Mit Tilo Baumgärtel und dessen Lebensgefährtin – die beiden Künstler unterhalten hier ebenfalls ihre Ateliers – trifft man sich rundum zum Essen. Heute ist Neo Rauch an der Reihe. Aus der improvisierten Küche mit zwei Herdplatten im winzigen Nebenraum trägt er gebratenen Tofu, Sauerkraut und Kartoffeln herein. „Kartoffeln schälen kann ich nicht“, erklärt der Koch des Tages schier verzweifelt. Es schmeckt trotzdem vorzüglich. Das wirkt schon sehr gleichberechtigt – auf dem Gebiet der sonst klassischerweise treu sorgenden Ehefrau.
Zum Gespräch geht es nach nebenan, ins Atelier von Rosa Loy, die kurz zuvor noch mit Brille auf der Nase und Schürze um den Hals auf einer hohen Leiter stand und im oberen Teil einer großformatigen Leinwand malte. Wie auf allen ihren Bildern sind darauf schlanke, elegische Frauen zu sehen, die ihrer Arbeit etwa als Gärtnerinnen nachgehen, geheimnisvoll vor dem Vollmond posieren oder einfach ein Buch lesen. Mit ihren langen Haaren, der scharf geschnittenen Nase besitzen sie stets gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Erschafferin. Neo Rauch hat einmal gesagt, dass ihre Gemälde auf ihn wie Heilpflanzen wirken, während seine eigenen eher wie Disteln wären. „Manchmal suche ich Rosas Werkstatt auf, um mich diesen kleinen Sonnen auszusetzen, die unter ihrem Pinsel entstehen, diesen mildtätigen Geschöpfen“, erklärt er. Mit dieser Beschreibung dürfte die Künstlerin einverstanden sein: „Meine Intention ist es, Schönheit, Heilung, Beruhigung in die Welt zu bringen“, sagt sie. „Für mich besteht eine weibliche Aufgabe darin, auszugleichen, auszubalancieren.“ Also doch die alte Rollenaufteilung: starker Mann, sanfte Frau?
Auf der Website von Rosa Loy klingt das so: „Sie schaffen jeweils ein eigenständiges Oeuvre; das einerseits aus der Unterschiedlichkeit und andererseits aus den Gemeinsamkeiten des Künstlerpaares genährt wird.“ Mit einem solchen öffentlichen Bekenntnis zum berühmten Ehemann bricht sie bereits ein Tabu. Denn nichts ist den Galeristen ein größerer Graus, als dass ein malendes Ehegespons gemeinsam auftritt, denn das wirkt wie eine freundliche Hilfsmaßnahme für den weniger bekannten Partner. „Es gab keinen Mangel an Stimmen, die sagten: Ihr müsst euch stark voneinander absetzen“, berichtet Rauch. „Es hieß: Rosa sucht sich am besten ein eigenes Atelier, ganz weit weg. Die Berührungspunkte müssten stark reduziert werden, um ihre Eigenständigkeit zu sichern.“ Das Publikum allerdings liebt den Vergleich, die Suche nach gemeinsamen Motiven, Ähnlichkeiten und erwärmt sich am geteilten Schicksal. Die Ausstellung „Künstlerpaare – Liebe, Kunst und Leidenschaft“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum war die bestbesuchte Schau im neuen Haus.
Loy und Rauch reagieren unerschrocken auf die wiederholten Fragen, wie sie mit dem Nebeneinander, der Konkurrenz, dem unterschiedlichen Erfolg klarkommen. „Man lässt nicht alles an sich ran,“ beschreibt Loy ihre Strategie. „Wir haben einen Kokon um uns gebildet, aus dem wir im rechten Moment heraustreten und in dem wir auch wieder verschwinden“, sagt Rauch über den gemeinsamen Schutzraum des Privaten, der in frühen Jahren gewachsen ist und ihnen Sicherheit gibt. In diesem Jahr wird solch ein Moment gekommen sein, die Flucht nach vorn. Dann will das Paar gemeinsam in der Sammlung Essl im österreichischen Klosterneuburg ausstellen. Bezeichnenderweise lautet der Titel „Hinter den Gärten“. Ein gewagtes Spiel: „Hinter den Gärten beginnt der Wald“, erklärt Rauch. „Bis zum Gartenzaun hat man die Sache noch im Griff. Dann kommen der böse Wolf, die Dämonen und die Elfenreigen.“ Das Publikum dürfte entzückt sein, die Kritik könnte bissig reagieren, denn Loys Bildwelt wird gerne als feminisierte Variante Neo Rauchs abgetan.
Wie empfindlich beide auf Meinungen reagieren, wird daran deutlich, dass sie sich selbst gegenseitig in ihrer Urteilsbekundung reglementieren. Bevor sie sich kritisieren, muss angefragt werden: Darf ich dir etwas sagen? Oder: Kannst du mal rüberkommen? „Oft verletzen wir unsere Liebsten mehr als alle anderen“, weiß Loy aus Erfahrung. Doch ganz kann sie sich nicht an die Regel halten. „Hat der nicht etwas dicke Waden?“ rutscht es ihr beim Vorbeigehen an einer Leinwand von Neo Rauch heraus. Ein halblautes Brummen ist die Antwort. Später erzählt Rauch lachend, wie seine Frau und zwei Freundinnen ihn sich mal zur Brust nahmen, weil der Badeanzug einer weiblichen Figur zu knapp geraten war. Zuletzt beugte er sich der Mehrheit. „Ein gutes Bild ist immer erotisch, egal was es darstellt – und wenn es ein Paar Hausschuhe sind“, sagt er im Nachhinein.
Gerade darin besteht das Schöne und Schwierige einer Doppelexistenz als Künstlerpaar: in der Vertrautheit mit der Arbeit des anderen. Neo Rauch beschreibt es mit gewundenen Worten als „Parallellauf, mit der Möglichkeit weit gespannter Separatspiralen“. Rosa Loy weiß: „Das Doppel Einsam-Gemeinsam ermöglicht eine Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz.“ Als sich die beiden für den Fotografen aufstellen, wie es so viele Künstlerpaare vor ihnen gemacht haben, zwickt sie ihn in die Seite: Lach doch mal! Auch wenn sonst alles anders ist, darin scheinen sie den Modersohn-Beckers und den Rivera-Kahlos zu gleichen.
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