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Jacob Portman (Asa Butterfield) und Emma Bloom (Ella Purnell)
© Fox

Neuer Film von Tim Burton: Monster, marsch!

Seine jungen Helden sind hilflos trotz Superkräften: Tim Burtons „Die Insel der besonderen Kinder“ ist eine gruselige Mischung aus Abenteuerfilm und Thriller.

Die Naturgesetze, sollte man meinen, gelten überall. Auf der ganzen Welt? Nein. Ein kleines Filmgenre hört nicht auf, Widerstand gegen die Macht des Faktischen zu leisten. Die Fantasie muss sich frei entfalten, sie muss fliegen können. Deshalb herrscht im Fantasy-Kino eine andere Schwerkraft. Um in eine andere Galaxie aufzusteigen, reicht es, die Erdanziehung zu ignorieren. Fantasie-Figuren, die sich in unserer Imagination festhaken, brauchen eine Hochbegabung. Sie sollten besonders sein.

Ein blondes, überaus bleiches Mädchen namens Emma fängt ein herabfallendes Baby-Eichhörnchen, schwebt lautlos zur Spitze eines alten Baumes und legt es zurück in sein Nest. Dafür muss es nur seine Plateauschuhe ausziehen, in deren Absätzen Blei steckt. Außerdem kann Emma mit bloßem Pusten einen Sturm entfachen, einfach so. Aus Hugh hingegen entweichen Bienen, sobald er den Mund öffnet. Ein anderer Junge ist unsichtbar. Und ein weiteres Mädchen lässt binnen Minuten kommodengroße Karotten wachsen, ein staunenswerter Beitrag zur Senkung der Haushaltskosten.

Besondere Menschen werden verfolgt

Die Filme von Tim Burton spielten schon immer in speziellen Welten, in einer endzeitlichen Zukunft voller grüner Männchen („Mars Attacks“), in der überzuckerten Nostalgie eines Kinderbuchklassikers von Roald Dahl („Charlie und die Schokoladenfabrik“) oder in der gruftigen Komik verwirrter Untoter („Dark Shadows“). Doch jetzt hat Burton seinen ersten Superheldenfilm gedreht. Allerdings handelt es sich bei den meisten Helden um Kinder. Und sie wirken trotz Superkräften eher hilflos. Besonders bedeutet in Burtons Film „Die Insel der besonderen Kinder“ erst einmal, anders zu sein. Und damit gefährdet.

„Im normalen Sprachgebrauch würde man uns als besonders bezeichnen“, sagt Miss Alma, die das Waisenhaus auf einer walisischen Insel leitet. „Leider werden besondere Menschen zeitlebens verfolgt.“ Eva Green spielt die Direktorin als atemberaubende Amazone im schwarzen Kleid und mit kunstvoll gewellter Dünenfrisur wie eine klassische Hollywooddiva. Kommt es hart auf hart, greift sie zur Armbrust. Alma verwandelt sich außerdem gerne in einen Falken.

Gefangene ihrer eigenen Rettung

Nur einer behauptet in diesem schwarzen Märchen, das auf einem Kinderbuch des amerikanischen Autors Ransom Riggs beruht, „ganz normal“ zu sein. Womit er natürlich falschliegt. Der 16-jährige Jacob (Asa Butterfield) setzt die Dynamik des Geschehens in Gang, als er in der neuenglischen Provinz die Leiche seines Großvaters mit leeren Augenhöhlen findet. Er erinnert sich an die Geschichten, die ihm der Großvater erzählt hat. Geschichten über eine Insel, auf der er mit anderen Kindern gelebt habe. Von seiner Flucht aus Polen hatte der alte Mann eher andeutungsweise berichtet, vom Einmarsch der Deutschen und vom Mord an seinen Eltern. Der Großvater war ein jüdisches Kind, als wirkliche Monster entpuppten sich die Deutschen.

Das Waisenhaus, das Jacob schließlich entdeckt, ist ein prächtiges viktorianisches Backsteinschloss. Es hängt in einer Zeitschleife fest. Geknotet ist die Schleife genau an jenen Tag im Jahr 1943, der mit dem Überflug eines deutschen Flugzeugverbandes endet, bei dem eine Bombe herabfallen, das Gebäude zerstören und die Kinder töten wird. Doch die Direktorin dreht allnächtlich die Zeit 24 Stunden zurück, sodass die Waisen immer wieder denselben Tag erleben. Sie sind die Gefangenen ihrer eigenen Rettung.

Ein gewohnt diabolischer Samuel L. Jackson

Man kann „Die Insel der besonderen Kinder“ als Parabel auf die Verbrechen der Nationalsozialisten verstehen und darauf, was sie noch in der zweiten und dritten Generation der Opfer anrichten. Der Abenteuerfilm beschleunigt sich in der zweiten Hälfte zum Thriller, und die Bösewichter, die „Hollows“, wirken in ihrer Schattenhaftigkeit wie von der Hölle ausgespuckte SS-Männer. Angeführt werden die Hohlwesen gewohnt diabolisch von Samuel L. Jackson.

Die Hollows wollen ewig leben, deshalb essen sie die Augen ihrer Opfer. In Rückblenden werden Bilder von Häusern voller ermordeter Kinder gezeigt. Sie erinnern an Stanislaw Lems Roman „Das Hospital der Verklärung“ über die Auslöschung eines polnischen Krankenhauses durch die SS. Der Plot hat Löcher, manchmal mangelt es der Fantasy an innerer Logik – fraglich ist etwa, wie die Kinder in andere Zeitkapseln wechseln können, ohne dabei sichtbar zu altern. Kostüme und Ausstattung sind nicht gar so großartig wie in Burtons Version von „Alice im Wunderland“. Aber die Handlung ist gruseliger.

In 18 Berliner Kinos, OV im Cinestar SonyCenter und im Rollberg

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