Kultur: Der süße Tod
Im Kino: Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“ mit Johnny Depp
Johnny Depp stört. Er stört sogar gewaltig. Mittlerweile auf Exzentriker-Rollen festgelegt, hat Depp sich dafür Rollenkonzepte angeeignet, die im Grunde auf nur einer witzigen Idee beruhen. Manchmal gelingen ihm damit komödiantische Sternstunden – wie in seinem herrlichen Auftritt als Piratenversager Jack Sparow in „Fluch der Karibik“. Doch je länger „Charlie und die Schokoladenfabrik“ andauert, desto mehr wünscht man sich, Depp würde endlich einen Schritt zur Seite machen und den Blick frei geben auf das, was hinter ihm passiert.
Denn Regisseur Tim Burton („Edward mit den Scherenhänden“) schöpft für sein neues Werk aus dem Vollen. Er schafft ein überbordendes, psychedelisches Schlaraffenland, und Johnny Depp herrscht dort als grob verschrobener Schokoladenfabrikant Willy Wonka mit gekünsteltem Singsang, grün-grau gepudertem Teint und einer Prinz-EisenherzPerücke, unter der zwei seelenlose, glasige Augen hervorblitzen. Seit 15 Jahren hat kein Mensch seine geheimnisvolle Süßwarenfabrik betreten, jetzt versteckte er fünf goldene Tickets in Schokoladentafeln und lädt deren Finder für einen Tag in sein Reich ein. Niemand wünscht sich das so sehr wie Charlie (Freddie Highmore), der mit seiner armen Familie im Schatten der Fabrik wohnt, sich aber nur eine Wonka-Tafel im Jahr leisten kann.
Doch Charlie hat Glück. Genauso wie vier andere Kinder, allesamt unverdient, denn eines ist missratener als das andere, darunter die Weltmeisterin im Dauerkaugummikauen, und Augustus, der fresssüchtige Metzgersohn aus Düsseldorf. Es ist eine boshafte Typologie des verdorbenen Kindes, und Wonkas überladener Schoko-Themenpark scheint einzig dazu angelegt, das Schlimmste aus den Bälgern hervorzukitzeln. Nach und nach wird jedes der verzogenen Monster entsorgt, unter anderem von einer zornigen Horde Eichhörnchen, schwungvoll begleitet von spöttischen Musikeinlagen der Umpa Lumpas, den zwergengroßen Fabrikarbeitern. Wonka, mit einem perversen Sinn für Pädagogik gesegnet, überwacht das Geschehen wie ein boshafter Zeremonienmeister, dessen Versuche, die Kinder vor ihrem Schicksal zu bewahren, ausgesprochen zaghafter Natur sind.
Roald Dahls Kinderbuch „Charlie and the Chocolate Factory“ ist Pflichtlektüre im englischsprachigen Raum – ein sarkastisches, misanthropes Märchen, das bereits 1971 in einen heiteren Familienfilm mit Gene Wilder verwandelt wurde. Tim Burton hat den Geist des Originals zum Leben erweckt, ein Projekt, das ihm offenbar sehr am Herzen lag. Vielleicht, weil der Regisseur Burton und seine Figur Wonka Gemeinsamkeiten haben – zwei exzentrische Schöpfer, deren phantastische Welten verspielt sind und doch immer auch bedrohlich. So ist die Reise durch Wonkas Fabrik wie eine Führung durch die wundersame, leicht beängstigende Gedankenwelt eines obsessiven Erfinders.
Warmherzigkeit ist eine Farbe, die weder auf Wonkas noch auf Burtons Palette zu finden ist. Der Versuch, den Film am Ende auf ein Lob der Familienwerte umzupolen, ist deplaziert. Denn mögen auch manche, die sich auf harmlosen Kinderquatsch einstellen, erschrecken vor der zügellosen Phantastik – dass Burton sich eine gewisse Rest-Grimmigkeit erlaubt, ist gerade das Besondere an dem Film, der sein junges Publikum nicht unterfordert, und der zwischen anderen Kinderfilmen wirkt wie ein seltener Trüffel: grellbunt glasiert, aber mit einem Kern aus dunkler Bitterschokolade.
In Berlin in 20 Kinos, OV im Cinestar Sony-Center
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