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Bleichgesicht. Johnny Depp als Untoter Barnabas Collins. Foto: Warner Bros.
© dpa

Tim Burton: Der Tod steht ihnen gut

Tim Burton entdeckt seine Stoffe seit langem in den halbdunklen Gefilden der Literatur- und Kinogeschichte. Jetzt hat er eine Gruselgroteske gedreht, inspiriert von einer alten Fernsehserie. Johnny Depp spielt in „Dark Shadows“ einen ehrgeizigen Vampir.

Von Quentin Tarantino heißt es, er sei Fuß-Fetischist. Bei Tim Burton müssen es die Finger sein. Einst setzte er Johnny Depp kunstvoll Scheren auf die Hände. Jetzt hat er dessen Finger um zehn Zentimeter verlängert. Depp musste ganz neu greifen lernen.

Zum achten Mal haben die beiden gemeinsam einen Film gemacht. „Dark Shadows“ erzählt von einen Vampir, der nach langer Zeit zum Anwesen seiner einst ehrwürdigen Familie zurückkehrt. Zweihundert Jahre lag Barnabas Collins gefangen in einem Sarg unter der Erde. Jetzt will er dem Familienimperium zu altem Glanz verhelfen. Die Handlung geht auf eine Fernsehserie zurück. „Dark Shadows“ wurde 1966 bis 1971 in den USA täglich um vier Uhr ausgestrahlt. Viele Amerikaner, die damals jung waren, sagen: Es war die Sendung, zu der man von der Schule nach Hause rannte.

Diese melodramatische Mischung aus Horror, Romanze und Seifenoper, geschrieben im Geiste und in der Sprache alter Fortsetzungsromane, in der selbst das Absonderlichste ausgesprochen ernst genommen wurde – das war damals ungewöhnlich. Den Vampir Barnabas Collins verkörperte Jonathan Frid. Dem im April verstorbenen Fernsehstar hat Burton seinen Film gewidmet. Interessant ist die Wahl des Stoffes schon deshalb, weil es den Filmemacher Tim Burton ohne diese seltsame Serie wahrscheinlich gar nicht geben würde.

Waren es, eine Generation früher, die Samstagvormittagsmatineen mit ihren altmodischen Abenteuern, die Steven Spielberg und George Lukas zu Filmen inspirierten, die die Kinolandschaft umwälzten, sind es heute Serien wie „Dark Shadows“, auf die sich Regisseure wie Tim Burton und Quentin Tarantino berufen. Tarantino erschien einmal sogar mit Barnabas-Gehstock in der Jay-Leno-Show.

Burton und Tarantino bereiteten das Herüberschwappen der Geek-Kultur in den Mainstream vor. Und es sind nicht zufällig auch Burton und Tarantino, die eine neue Haltung zu derartigen Stoffen entwickelten: mit dem Abstand des Kenners und zugleich der Zuneigung des Connaisseurs. Diese Doppelbödigkeit – smartes Klugscheißertum gepaart mit echter Leidenschaft – zeichnet ihre besten Filme aus.

Man durfte also neugierig sein darauf, was Tim Burton aus „Dark Shadows“ entwickeln würde. Ein Vampir und eine Hexe, zwei zur Unsterblichkeit Verdammte, bekriegen sich in einem Fischerdörfchen an der Ostküste über Jahrhunderte hinweg mit den Geschäftsmethoden des Denver-Clans. So etwas fürs Kino zu verdichten, kann leicht danebengehen. Noch dazu, da die Vampir-Saga der „Twilight“-Filme inzwischen mehr Seifenoper ins Kino gebracht hat, als „Dark Shadows“ je zu eigen war.

Burton versucht es mit Humor. Den ersten, offenbar noch recht düsteren Entwurf aus der Feder seines langjährigen Drehbuchautors John August ließ Burton von Seth Grahame-Smith überarbeiten, dem 2009 mit seinem cleveren Jane-Austen-Mash-Up „Pride and Prejudice and Zombies“ ein Buchbestseller gelungen war. Jetzt sollte er „Dark Shadows“ eine Humorinfusion verabreichen.

Und warum auch nicht? Wer, wenn nicht Tim Burton, könnte das Drama des ewigen Dursts mit Humor würzen, ohne dass es zu atmosphärischen Brüchen kommt? Nicht dieses Mal. Denn zur Herausbildung von Atmosphäre kommt es gar nicht erst.

Es sind vor allem zwei Elemente, an denen der Witz sich entzünden soll. Zum einen ist da die dysfunktionale Collins-Familie unter dem Matriarchat von Elizabeth (Michelle Pfeiffer). Nun hat das Blutsaugertum ja schon für einiges herhalten müssen: Romantik, Melodram, Sex, Politsatire oder Kapitalismus-Kritik. Küchenpsychologie war allerdings nicht so oft dabei. Mit gutem Grund. Es funktioniert nicht. Warum soll man auch überhaupt einen Film mit Monstern machen, wenn man das Monströse dabei auf das Kleinmaß einer Frauenzeitenschriften-Kolumne schrumpft?

Das andere komische Moment: Barnabas Collins als Fisch auf dem Trockenen. Barnabas lag jahrhundertelang unter der Erde. Er kennt sich also nicht aus und spricht – wie der mittelalterliche Magier Catweazle in der gleichnamigen TV-Serie – ein eher altertümliches Englisch. Burton sah da offenbar noch Zuspitzungsbedarf. Also verschlägt es den Mann mit der blassen Haut und dem hohen Kragen ausgerechnet in die Siebziger. Aus „Dark Shadows“ wird: „The Munsters“ mit Hippie-Witzen.

Wenn wenigstens die Ideen gut wären. Doch das Drehbuch ist lieblos, teils anfängerhaft zusammengewerkelt. Zu viel halbherzig motivierte Wendungen, zu viel Deus-ex-Machina, zu viel Naheliegendes. Fünf oder sechs Mal begegnen der Vampir und die Hexe (Eva Green) einander. Sie sagen dabei immer dieselben Phrasen auf: „Was hast du mir angetan?!“ – „Ich habe dich geliebt!“. Kein Funke, nirgends. Auf einen zarten Anklang jener anderweltlichen Poesie, die Burtons Filme früher auszeichnete, hofft man da schon lange nicht mehr. Das lahme Finale schließlich erinnert unvorteilhaft an Robert Zemeckis’ „Der Tod steht ihr gut“. Als wollten alle schnell nach Hause gehen.

Das Schlimmste aber ist, dass die zentrale Liebesgeschichte den Film keine Sekunde lang trägt – vor allem deshalb, weil die Vorgeschichte, der Fluch der eifersüchtigen Hexe und der Tod der Geliebten (Bella Heathcote), nicht breit genug auserzählt wird. Mit Anekdoten gewinnt man keine Fallhöhe. Natürlich ist das alles dennoch einigermaßen unterhaltend. Aber diese Mittelmäßigkeit ist ja das Ärgerliche. Burtons Truppe (mit einigen seines Teams arbeitet er seit Jahrzehnten zusammen) ist längst nicht mehr der kreative Zirkus, der sie vielleicht mal war, sondern ein Franchise-Unternehmen, das den „Burton-Touch“ verkauft, zuletzt an Disney („Alice im Wunderland“). Burton & Co. ziehen durch die halbdunklen Gefilde der Literatur- und Filmgeschichte und gründen dabei überall Filialen, die alle gleich aussehen.

Johnny Depp treibt seiner Figur jegliche Erotik aus. Sein bübisches Clownskostüm wirkt allmählich sehr abgetragen. Die plötzlichen Wechsel vom linkischen Außenseiter zur reißenden Bestie nimmt man ihm nicht ab. Ist dies der Schauspieler, der dem Kino eine so unvergessliche Figur wie Jack Sparrow zum Geschenk machte („Fluch der Karibik“)? Bei Tim Burton fällt ihm offenbar nichts anderes ein als Puder auftragen, Nacken steif machen. So viel Talent, so wenig Kunst. Schon bald wird Burton zu seinem Wurzeln zurückkehren. In „Frankenweenie“ nimmt er Motive aus einem seiner frühen Kurzfilme wieder auf. Vielleicht wird das ja mal wieder eine Herzensangelegenheit.

„Dark Shadows“ startet am Donnerstag in 23 Berliner Kinos. OV im Babylon Kreuzberg, OmU im Odeon.

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