Frankreichs neuer Präsident Hollande: Monsieur Normal
Adieu Sarkozy, bonjour François Hollande: Am Dienstag wird Frankreichs neuer Präsident vereidigt. Was bedeutet der Politikwechsel, für die Linke und die Kultur des Landes? Eine Stilkritik.
Es sind die Symbole, die zählen und die im Gedächtnis bleiben. Die Franzosen haben Nicolas Sarkozy die neureiche Inszenierung seines Wahlsiegs nie verziehen: das Fest im Fouquet’s; die Gästeliste, die sich las wie ein Who’s who der Schönen, Reichen und Berühmten; die Tage auf der Yacht des Freundes und Großindustriellen Vincent Bolloré; schließlich der Einzug in den Elysée-Palast mit Cecilia Sarkozy im goldenen Prada-Kleid, die sich in Wahrheit längst von ihm getrennt hatte.
François Hollande will diese Ära beenden. Als erste Amtshandlung wird er sein Gehalt und das seiner Minister deutlich kürzen. Auch auf eine Staatskarosse verzichtet er. Mit einem silbergrauen Citroën, Modell DS5, einem Hybridfahrzeug, wird Hollande am morgigen Dienstag die Champs-Elysées hinauffahren. Die Botschaft lautet: Ein normales Auto für einen normalen Präsidenten.
Das sind die Symbole und Bilder, die sich von seinen ersten Stunden und Tagen wohl einprägen werden: Bilder der Normalität, der neuen Bescheidenheit, von Volksnähe auch. Da sind die Luftaufnahmen aus Tulle, einem Kaff im Corrèze, „Hauptstadt des Akkordeons“, 16 000 Einwohner, das plötzlich zum Nabel der Nation wurde; die Bilder der Akkordeonspieler auf der Tribüne, die auch den Wählern von Marine Le Pen gefallen haben dürften; der endlosen Fahrt zum nächsten Flughafen, die signalisierte, dass es sich um die allertiefste Provinz handelt, aus der dieser Präsident kommt, ein Monsieur Normal.
Auch an die Bilder des Volksfests auf der Place de la Bastille nach der Stichwahl wird man sich erinnern. An die jungen Menschen, die genauso gut eine Fußballweltmeisterschaft hätten feiern können. Tatsächlich war das Fest nur eine müde Bemühung des Mythos, eine blasse Kopie des Rauschs von 1981, mit dem le peuple de gauche, das Volk der Linken, damals den Sieg François Mitterrands feierte.
Der wesentliche Unterschied zu 1981: Es herrscht Erleichterung, aber kein Enthusiasmus. Die soziale und wirtschaftliche Lage Frankreichs bietet keinen Anlass, ausgelassen zu feiern. Hollandes Wahlsieg vom 6. Mai wird nicht als historischer Moment wahrgenommen, sondern eher als letzte Chance. Die traditionell linken Wähler sind klarsichtiger, wo es um ihre Sozialisten geht, vielleicht sogar: ein wenig desillusioniert. 14 Jahre Mitterrand haben ihren Teil dazu beigetragen.
Bildergalerie: Die Stichwahl in Frankreich Sarkozy gegen Hollande
Hollandes Bemühungen um die Normalisierung der politischen Inszenierung stehen im starken Kontrast zu Sarkozy. Der hatte das trockene politische Geschäft in ein Spektakel verwandelt. Mit ihm begann, was man die Peoplisation der Politik nannte: eine Amtszeit ganz im Zeichen der Seifenoper.
Aber wird Hollande tatsächlich ein normaler Präsident sein können? Wird es ihm gelingen, mit dieser Popularisierung zu brechen? Im Moment sieht es eher so aus, als lasse sich das mediale Rad nicht mehr zurückdrehen. Am Wahlabend zeigte France 2, ein öffentlicher, durch Steuermittel finanzierter Fernsehsender, wie Thomas Hollande mit seinem Vater telefonierte, um ihm zu gratulieren. Auf dem Bildschirm seines iPhones erschien der Gesprächsteilnehmer als „Papa“. Hollande junior säuselte „Glückwunsch“, dann hörte der Zuschauer nur noch, wie er mit „oui, oui, oui“ den Kabarettisten Material lieferte. Zeitgleich wurde Exfrau und Expräsidentschaftskandidatin Ségolène Royal eingeblendet, wie sie im Studio saß und lächelte. Worüber? Über den Sieg ihres Exmannes – oder weil sie gerührt war, dass der gemeinsame Sohn nun doch einen Präsidenten zum Vater hatte, wenn schon keine Präsidentin zur Mutter?
Die Politiker sind in Frankreich zu Akteuren einer Realityshow geworden. Dazu hat nicht nur Sarkozy beigetragen, sondern auch eine gewisse Promiskuität im Reich der Politik und der Medien. Die Lebensgefährtin des neuen Präsidenten, die Journalistin Valérie Trierweiler, hatte für das Magazin „Paris Match“ vor einigen Jahren ein weitsichtiges Porträt Hollandes geschrieben, der Titel: „L’homme normal“. Dem Charme dieses ganz normalen Mannes ist sie bald erlegen. Heute will sie die Funktion der Präsidentengattin modernisieren. In einem ersten Interview mit dem Frauenmagazin „Elle“ sagte sie, sie wolle eigentlich nicht aufhören, als Journalistin zu arbeiten, auch um sich ihre finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren. Solche Fragen musste Carla Bruni-Sarkozy sich nicht stellen.
Die großen Abwesenden, schon im Wahlkampf: Frankreichs Intellektuelle
„Die Saga François Hollande-Ségolène Royal-Valérie Trierweiler gehorcht den Regeln eines klassischen Arztromans“, schrieb der amerikanische Schriftsteller Jake Lamar in „Libération“. Natürlich interessiere das die Franzosen nicht. „Aber sie lieben es, darüber zu sprechen.“ Trierweiler twitterte derweil, man möge sich bitte nicht für sie interessieren: „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, vielen Dank dafür, dass Sie unser Privatleben respektieren und das unserer Nachbarn. Vielen Dank dafür, dass Sie nicht vor unserer Wohnung campen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“ Gleichzeitig publizierte „Le Point“ fünf Schlüsselfotos aus ihrem Leben, die sie selbst kommentierte.
Hollande weiß, dass er nicht gewählt wurde, weil er besser, brillanter oder gar charismatischer wäre als sein Vorgänger. Die Mehrzahl der Franzosen wollen vielmehr einen neuen Politikstil, das Ende der neureichen Zurschaustellung von Macht und Geld. Sie stimmten weniger für Hollande als gegen Sarkozy. „Sarkozy wurde mit Begeisterung gewählt von einem Frankreich, das viel von ihm erwartet und das er bitter enttäuscht hat“, resümiert die Publizistin Caroline Fourest. „François Hollande wurde von einer Linken gewählt, die nicht viel erwartet, und einer Rechten, die er schon im Vorhinein in Angst versetzt hat. Im Grunde kann er uns nur überraschen.“
Der mangelnde Enthusiasmus für Hollande spiegelt sich im fehlenden Engagement der Intellektuellen wieder. Sie waren die großen Abwesenden des Wahlkampfs. Eine Petition von Künstlern, Schriftstellern und Akademikern für Hollande versammelte zwar 362 Unterschriften, aber bis auf wenige Ausnahmen war keine Name darunter, der über Frankreich hinaus bekannt wäre. Die Großkämpfer des Geistes fehlten, auch nach der Wahl. Bernard-Henri Levy, der vor fünf Jahren an der Seite Ségolène Royals in den Wahlkampf gezogen war, zeigte sich nur einmal kurz an der Bastille. Geschwiegen haben auch die ehemaligen Linksintellektuellen, die mit Begeisterung zu Sarkozy übergelaufen waren, um sich wie André Glucksmann bald enttäuscht von ihm abzuwenden.
Der Publizist Pascal Bruckner analysiert lediglich den Hass, den Sarkozy in bestimmten Milieus hervorgerufen hat. Der ausgeschiedene Präsident habe als Sündenbock fungiert, der die Wut eines ganzen Volkes kanalisiert habe: „Wie viele werden sich als Waise fühlen, jetzt, da ihre Schreckensgestalt fehlt? Dieser Präsident, dem man vorwarf, zu spalten und zu teilen, war gleichzeitig ein wunderbarer Faktor des Zusammenhalts.“
Auch kulturpolitisch werden von Hollande keine Wunder erwartet. In Krisenzeiten wie diesen geht niemand davon aus, dass die Sozialisten wieder an die Ära Jacques Langs anschließen. Es geht eher um Fragen des Stils. Und des Respekts. Sarkozy mit seinen abfälligen Bemerkungen über die Pflichtlektüre langweiliger Werke wie „Die Prinzessin von Clèves“ hatte sich erst durch seine Ehe mit Carla Bruni eine notdürftige kulturelle Aura verschafft und behauptete plötzlich, Autoren wie Céline und Stendhal zu lesen. Sein letzter kulturpolitischer Termin war die Einweihung des erweiterten Palais de Tokyo, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst in Paris. Dort ließ er sich in einem monumentalen begehbaren Werk ablichten. Es trägt den Titel „Death of a King“. Der König ist tot. Es lebe der König.
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