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Maler und Misanthrop. Timothy Spall erhielt für seine Rolle als William Turner in Cannes den Darstellerpreis.
©  Prokino

Mike Leighs "Mr. Turner - Meister des Lichts": Mohnöl und Ochsenblut

Mike Leigh würdigt mit seinem Film "Mr. Turner - Meister des Lichts" den britischen Maler William Turner als rebellisches Genie. Der Künstler als unbeirrbarer Kauz: Ein bisschen würdigt er sich damit auch selbst.

Einmal, als die altehrwürdige Royal Academy of Arts eins seiner grau-gelben Seestücke neben einem knallroten Werk von John Constable präsentiert und Londons Kunstadel sich mal wieder das Maul zerreißt, da fügt William Turner dem Bild kurzerhand einen knallroten Klecks hinzu und formt ihn zur Boje. Er geht auch mit Spucke zu Werke und mit dem Daumennagel, er ist da nicht zimperlich. Aber als Queen Victoria beim Rundgang durch die Academy mal eben ein vernichtendes Urteil über sein Gemälde „Sunrise with Sea Monsters“ fällt, da zittert der Meister wie ein verängstigtes Kind.

Der Künstler als Kauz, der Revoluzzer als empfindsames Wesen: Schnell vermutet man bei Mike Leighs Turner-Film, dass sich im Porträt des britischen Malers ein Selbstbildnis des Regisseurs verbirgt, ein augenzwinkernder Verweis auf die Sturheit eines Filmemachers, dessen Geschichten über die Verlierer der britischen Gesellschaft so gnadenlos wie hochsensibel erzählt sind. Auch Mike Leigh ist ein Unbeirrbarer, der Härte und gelegentliche Grantigkeit, Herzensgüte und Humor vereint. Auch er zaubert in „Mr. Turner – Meister des Lichts“ mit Himmelsblick und Landschaftspanorama, in hellen Räumen und dunklen Kammern, verwinkelten Stadtwohnungen und Landhäusern Atmosphäre herbei.

Hauptdarsteller Timothy Spall macht aus Turner einen Misanthropen

In Mike Leighs Filmen kann man den Menschen beim Leben zuschauen. Und dem Leben selber, wie es verstreicht, zuletzt in „Another Year“ über ein ewig verheiratetes, unendlich vertrautes Paar und die kleinen, außergewöhnlichen Momente gewöhnlicher Leute. Diesmal versammelt Leigh gewöhnliche Momente eines außergewöhnlichen Menschen, Miniaturen aus dem Künstlerleben des Joseph Mallord William Turner (1775 – 1851). Nicht ganz uneitel in eigener Sache, aber ohne jede Beschönigung.

Timothy Spall, der zur Weltpremiere des Films dieses Jahr in Cannes den Darstellerpreis gewann, macht aus Turner einen Misanthropen, einen grummelnden, grunzenden, hustenden, schlecht gekleideten, gewiss nicht gut riechenden alternden Mann. Kurzer Hals, vorgeschobene Unterlippe, kleine Augen unter wuchernden Brauen, rasselnder Atem, ein Leib, der aus dem Leim geht – Turner stapft ungelenk durch die Gegend. Oder er nimmt die Dienstmagd Hannah (Dorothy Atkinson), die ihn abgöttisch verehrt, mal eben von hinten, fast unwirsch, am Bücherregal. Sie lässt es still geschehen.

Das Genie ein Grobian, ein rücksichtsloser, zugleich empfindsamer Egomane: Mike Leighs Kino zeichnete sich schon immer durch besondere Körperlichkeit aus. Die Dienstmagd leidet wegen der giftigen Farbstoffe an Ausschlägen, ihre Haut schuppt und schält sich – es sieht schrecklich aus. Aber da ist auch die unverblümte Poesie der Farbnamen, Scharlachrot, Utramarinblau, Chromgelb, Bleiweiß. Hässliche Menschen bringen unendlich Schönes hervor, mit Mohnöl und Ochsenblut.

Turner, ein Pionier der Abstraktion

Turner begann als Landschaftsmaler und wurde ein Pionier der Abstraktion. Einmal lässt er sich am Schiffsmast festbinden, mitten im Sturm, wie weiland Odysseus. Er möchte die entfesselten Elemente begreifen, um sie besser ins Bild bannen zu können – mit ähnlich rigorosem Naturalismus hat Mike Leigh sich einen Namen gemacht.

Während Dampfschiffe, Lokomotiven, Magnetismus und die ersten Daguerreotypien von sich reden machen, streiten sich die Hofmaler in der Royal Academy mit Rebellen wie Turner und den Präraffaeliten. Überhaupt sorgen Neid und Eifersucht in der Royal Academy für Komik in „Mr. Turner“. Ansonsten bevölkert Leigh dieses England im Umbruch zwischen Romantik und Industrialisierung mit schwitzenden, sich abrackernden, wenig anmutigen Menschen, die gleichwohl Feingeist, Forscherdrang und noble Gesinnung an den Tag legen. Als Turner im Herrenhaus seines adeligen Gönners „When I am laid in earth“ aus Purcells „Dido und Aeneas“ zu hören bekommt, die traurigste Arie seit Erfindung der Oper, zerreißt es ihn schier. Und der Maler brummt die Melodie mit, mehr schlecht als recht. Zu benehmen weiß er sich nicht und kann doch mitfühlend sein. Seinem alten Vater (Paul Jesson) ist er von Herzen zugetan, Turner zeichnet Huren und feiert den eleganten Bogenstrich der Nase von Witwe Pooth. In ihrer Pension im Küstenort Margate steigt er gern ab, wegen des Meerblicks, der Sonne, des Lichts. Sophia Pooth wird seine letzte Lebensgefährtin, die sich bis zu seinem Tod um ihn sorgt. Eine pragmatische, tapfere Frau, gespielt von Marion Bailey, Mike Leighs Lebensgefährtin. In seinen Filmen spielt sie seit „Meantime“ mit, seit 1983.

Keine Ahnung, wie viel dieser Episodenreigen aus den letzten 25 Jahren des Künstlers mit Turners realer Biografie zu tun hat. Mike Leigh verzichtet auf Jahreszahlen, Erzählerstimme oder Erläuterungen zu Personen und Schauplätzen. Den Geist von Turners Zeit fängt er umso genauer ein. Und das Selbstverständnis eines Künstlers, der sich nach Anerkennung und Ruhm sehnt, nicht aber nach Reichtum. Der Kunstmarkt von heute wäre Turner wohl fremd. Die Riesensumme, die ihm ein Sammler für sein Gesamtwerk anbietet, interessiert ihn nicht. Turner will seine Bilder den Menschen vermachen, den Museen seines Landes.

Ab Donnerstag, den 7. November, in 7 Berliner Kinos. OmU: Cinema Paris, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei, Rollberg. OV: Cinestar Sony-Center

Christiane Peitz

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