Buch von Rose McGowan: MeToo-Aktivistin rechnet mit Hollywood ab
Rose McGowan beschuldigte den Filmproduzenten Harvey Weinstein der Vergewaltigung. In dem furiosen Buch „Mutig“ knöpft sich die Schauspielerin Hollywood vor.
Die Memoiren der Schauspielerin Rose McGowan sind eine Zumutung. Auf gut 300 Seiten sieht man sich einer schier endlosen Hasstirade ausgeliefert, in die McGowan bis an die Grenze des Erträglichen detaillierte Szenen von psychischem, physischem bis zu sexuellem Missbrauch einfließen lässt. Der Tonfall von „Mutig“, in der der einstige Darling des US-Indiekinos mit der Filmbranche abrechnet, ist konfrontativ und unversöhnlich. Man fühlt sich drangsaliert und gleichzeitig beschämt, weil man als männlicher Filmkritiker, der sich in großem Abstand – und gar nicht mal unkritisch – beruflich mit Hollywood beschäftigt, automatisch impliziert ist. Mit anderen Worten: Dieses Buch war lange überfällig.
Auch du bist ein Teil des Problems, schreien einen die im Stakkato-Stil von Punk-Riffs rausgekotzten Sätze an. Jeder, der über Hollywood schreibt, ohne die Produktionsbedingungen und Machtstrukturen zu hinterfragen, hat dazu beigetragen, dass ein Harvey Weinstein 30 Jahre lang ungeschoren davonkam. Rose McGowan war eine der ersten, die nach den Vorwürfen gegen Weinstein zugaben, von dem Produzenten vergewaltigt worden zu sein. Nach ihrer öffentlichen Anklage mit Kollegin Asia Argento bekam „MeToo“ in Hollywood rasenden Zulauf.
Auf dem Sundance Festival 1997 sei die damals 23-Jährige zu einem „Meeting“ in die Suite des Indie-Moguls gebeten worden. Im Nachhinein verstehe sie die betretenen Blicke der Hotelangestellten und Mitarbeiter, als sie den Fahrstuhl betrat, schreibt sie. Sie kannten das Prozedere, alle haben sich mitschuldig gemacht. Der Name „Weinstein“ fällt auf den 300 Seiten übrigens kein einziges Mal. Sie nennt ihren Peiniger nur „Monster“ und „Schwein“. „Ihr wisst, wen ich meine.“
Wut prägte ihre US-Auftritte im Januar
Als „Mutig“ im Januar in den USA rauskam, irritierte die Autorin ihre Befürworterinnen mit erratischen Auftritten, unter anderem legte sie sich bei einer Lesung mit einer Transgender-Aktivistin an. Die Lebensgeschichte, die McGowan erzählt, gewährt jedoch Einblicke in die tiefen Verletzungen, die sich zu solch einer manchmal auch ungefilterten Wut aufgestaut haben. McGowan gefällt sich nicht in der Rolle des „Bad Girl“, die ihr die Medien verpasst haben; sie hat sich dieses Image nicht ausgesucht. Im Gegenteil: Sie musste die Rolle des netten Mädchens, die ihre Agentin (McGowan betont die Komplizenschaft von Frauen in Hollywood, die andere Frauen „indoktrinierten“) ihr einredete, zu lange spielen.
Es ist gut, dass kein Lektor und keine Lektorin, kein Verleger und keine Verlegerin versucht haben, die rohe Sprache McGowans zu bändigen. Sie gefälliger zu machen oder im Tonfall differenzierter. Die Wut zu kanalisieren oder McGowan in manchen Passagen, in denen das Pathos überhandnimmt (wenn sie etwa an das Selbstwertgefühl junger Frauen appelliert), zu bremsen. „Mutig“ will keine schöne Literatur sein, dafür ist McGowan zu sehr Punk: nicht interessiert an gesellschaftlichen Konventionen, die ohnehin von Männern diktiert werden.
McGowan, die sich vor einigen Jahren demonstrativ die Haare abrasierte, um gegen das Schönheitsideal der Filmindustrie zu protestieren (ihr kahlrasierter Hinterkopf ziert das Buchcover), hat eine lange Missbrauchsgeschichte hinter sich, die sie für die Machtstrukturen Hollywoods vielleicht besonders anfällig machte. Sie wuchs in den siebziger Jahren in Italien in einer Sekte namens „Children of God“ auf, deren Führer neben vielem anderen auch der Pädophilie beschuldigt wurde. Ihre Jugend verbrachte McGowan abwechselnd bei ihrem manisch-depressiven Vater, ihrer liebevollen, aber psychisch ebenfalls beschädigten Mutter, der Tante und als Ausreißerin auf der Straße. Sie hatte früh eine Schwäche für missbräuchliche Männer. Das Fehlen einer Vaterfigur und die tragische Unfähigkeit der Mutter, ihrem Kind emotionale Stabilität zu geben, durchziehen das Buch wie ein roter Faden.
Hollywood ist nichts anderes als eine Sekte
Das misogyne Frauenbild, das McGowan als Kind in der Sekte erlebte, findet sie später in der Filmbranche wieder. Auch Hollywood sei nichts anderes als eine Sekte, die von machtgeilen Männern geführt werde. Frauen haben sich patriarchalen Vorstellungen zu fügen, sie müssen jederzeit verfügbar sein – oder sie können ihre Karriere vergessen, schreibt sie. Als sie Weinstein der Vergewaltigung beschuldigt und die beiden sich auf ein „Schweigegeld“ einigen, nutzte der Produzent seine Kontakte, behauptet McGowan, um ihre Karriere zu beenden. Anfang der nuller Jahre steht sie in der Fantasy-Serie „Charmed“ vor der Kamera, sie wird zu einem Idol für junge Mädchen.
Der zweite Mann in ihrem Leben, der sie seine Macht spüren ließ, ist ihr Ex-Freund und Regisseur Robert Rodriguez, mit dem sie 2007 das B-Movie „Planet Terror“ (im Double-Feature mit Quentin Tarantinos „Death Proof“) drehte. Sie spielt eine Stripperin, die mit einem Maschinengewehr als Beinprothese auf Zombiejagd geht: eine Männerfantasie par excellence, die McGowan zur weiblichen Action-Ikone machte. Ihre Erinnerungen an die Dreharbeiten, die gewalttätigen Übergriffe und der psychische Druck, ähneln den Geschichten, die Uma Thurman über die Arbeit mit Tarantino berichtet.
Rose McGowan hat Hollywood heute den Rücken gekehrt, „Mutig“ soll jedoch all den jungen Frauen eine Warnung sein, die von einer Filmkarriere träumen. Ihr Buch hat sie „allen Überlebenden“ gewidmet. Rose McGowan wurde eine Karriere in Hollywood verwehrt. Doch als Aktivistin hat sie die Filmbranche wohl für immer verändert.
Rose McGowan: Mutig. Harper Collins, Hamburg 2018, 304 S., 16 €