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Roboter mit Herz: Tim-21, die Hauptfigur von "Descender".
© Splitter

Science-Fiction-Comic „Descender“: Menschliche Maschine

Roboter mit Herz, intergalaktische Kopfgeldjäger: In „Descender“ bieten Jeff Lemire und Dustin Nguyen großes Comic-Kino mit Tiefgang.

Auch Androiden träumen. Aber nicht von elektrischen Schafen, sondern von anderen Robotern. Oder sind die (alb-)traumartigen Bilder, die bei der menschenähnlichen Maschine namens Tim-21 durch einen Systemausfall freigesetzt werden etwa doch nur gespeicherte Informationen ohne jede emotionale Komponente? In „Descender“, der Science-Fiction-Comicserie um den kleinen Androiden Tim-21, verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Ein nicht ganz neues, aber nach wie vor ergiebiges Genre-Motiv, das in der jetzt beim Splitter-Verlag auch auf Deutsch erscheinenden Reihe aufs Schönste variiert wird.

Die fragilen, transparent anmutenden und sparsam kolorierten Aquarell-Panels von Zeichner Dustin Nguyen scheinen zwar auf den ersten Blick nicht zu dem harten, schnell getakteten und stellenweise schockierend brutalen Plot um eine intergalaktische Kopfgeldjagd von Autor Jeff Lemire zu passen. Tatsächlich bewirkt jedoch gerade dieser Kontrast ein besonderes Leseerlebnis. Dazu trägt auch die einfühlsame Figurenentwicklung bei, für die der Kanadier Lemire von Independent-Comic-Fans wie von Mainstream-Lesern geschätzt wird.

Ein freundlicher Kinderroboter als Verwandter der Killermaschinen

Philip K. Dick, dessen Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ unter anderem den Film „Blade Runner“ inspirierte, hat einmal festgestellt, dass es nicht die Intelligenz sei, die Menschen von Androiden unterscheide, sondern die Empathie. Lemire dreht die Hypothese um: Bei ihm scheinen Mitgefühl und andere Emotionen bei manchen Robotern stärker ausgeprägt als bei vielen menschlichen Figuren.

Allerdings liegen Gut und Böse in „Descender“ bei echten und künstlichen Menschen gleichermaßen nah beieinander. So ist der freundliche Tim-21, der einst als Spielgefährte für Menschenkinder entwickelt wurde, offenbar eng verwandt mit einer rätselhaften Spezies von Killer-Robotern, die Jahre vor dem Einsetzen der Haupthandlung große Teile der menschlichen Zivilisation vernichtet haben. Das wiederum ist der Auslöser eines Rachefeldzuges der Überlebenden gegen künstliche Lebensformen.

Fortsetzung folgt: Das Cover des ersten Sammelbandes von "Descender" auf Deutsch.
Fortsetzung folgt: Das Cover des ersten Sammelbandes von "Descender" auf Deutsch.
© Splitter

Vor diesem Hintergrund verhandeln Lemire und Nguyen in ihrer an Cliffhangern reichen Erzählung grundlegende philosophische Fragen wie eben jene, was den Mensch zum Menschen macht. Vor allem aber ist „Descender“ verdammt gut gemachtes Comic-Entertainment. Kein Wunder, dass Sony sich schon lange die Filmrechte gesichert hat.

Jeff Lemire und Dustin Nguyen: Descender, Band 1 (von 4): Sterne aus Blech, Splitter, 144 Seiten, 22,80 Euro, Leseprobe auf der Website des Verlages.

Ein kritisches Porträt von Jeff Lemire lesen Sie hier, weitere Tagesspiegel-Artikel über ihn gibt es hier, hier und hier.

Lars von Törne

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