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Australier in Berlin. Barrie Kosky
© Gunnar Geller

Interview mit Barrie Kosky: „Luther ist für mich Staatsfeind Nummer Eins“

Barrie Kosky, Chef der Komischen Oper, über die Operette und deutsche Schuldgefühle beim Lachen.

Herr Kosky, Sie haben zwei Drittel Ihrer ersten Saison als Intendant der Komischen Oper Berlin hinter sich, heute stellen Sie Ihre Pläne für die Spielzeit 2013/14 vor. Wie fühlen Sie sich in der Stadt, welche Themen treiben Sie um?

Derzeit vor allem zwei Dinge: die Frage, wie wir kulturelle Vielfalt, auf Englisch Diversity, in dieser Stadt nicht nur erdulden, sondern feiern können. Und das Problem, wie die Deutschen endlich die unselige Trennung von ernster und unterhaltender Kunst aufheben können. Ich komme ja aus Australien, wo man einerseits mit den Aborigines die älteste Kultur der Welt findet, andererseits eine Gemeinschaft aus Zuwanderern. Der ganze Kontinent ist ein Projekt der kulturellen Vielfalt. Darum bin ich der richtige Mann zur richtigen Zeit an diesem Haus. Die Art, wie man in Deutschland über kulturelle Vielfalt redet, ist oft sehr defensiv. Dabei sollten wir sie feiern und nicht nur über die nervigen Touristen meckern oder die Ausländer, die hier leben wollen. Ich wünsche mir beispielsweise, dass im Sprechtheater Menschen auf der Bühne stehen, die mit unterschiedlichen Akzenten Deutsch reden, mit einheimischen wie ausländischen.

Wie fördern Sie Vielfalt an Ihrem Haus?

Zum Beispiel indem wir nicht mehr alle Werke auf Deutsch spielen. In dieser Saison haben wir Stücke auf Englisch und auf Russisch angeboten – und sehr ermutigende Reaktionen bekommen. In der kommenden Spielzeit wird es eine Barockoper auf Französisch geben und ein weiteres russisches Stück, 2014/15 dann Stücke auf Italienisch und Ungarisch.

Gehört zur Feier der Vielfalt auch das Angebot der Komischen Oper, Untertitel nicht nur auf Englisch und Französisch, sondern auch auf Türkisch anzubieten?

Selbst wenn in der ersten Saison nur ein paar 100 Leute die türkischen Untertitel benutzt haben, es ist ein Anfang. Und es hat uns weltweite Aufmerksamkeit beschert. Gerade mit der türkischen Community wollen wir die Kontakte intensivieren. Wir werden mit einem Bus direkt zu den Leuten fahren, in Schulen, Altenheime, Firmenkantinen. Musiker und Sänger versuchen vor Ort, mit einfachsten szenischen Mitteln, Neugier zu wecken. Und wenn die griechische Sängerin Maria Farantouri am 8. April mit unserem Orchester ein Konzert gibt, werden die meisten Zuhörer die Komische Oper zum ersten Mal von innen sehen.

Bei der Auswahl der Stücke gab es in Ihrer ersten Saison eine große Diversity …

… und wir werden noch diverser werden. Von der französischen Barockoper schlagen wir einen Bogen bis zu Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“, einem Schlüsselwerk der Nachkriegsmoderne. Das Tolle dabei: Sie werden innerhalb von wenigen Tagen Zimmermanns „Soldaten“ und Bernsteins „West Side Story“ erleben können, mit demselben Orchester, teils sogar mit denselben Darstellern.

Sie hatten bereits verraten, dass die Geschwister Pfister bei Ihnen auftreten werden. Etwa in der „West Side Story“?

Oh Gott, nein! Mit den Geschwistern Pfister machen wir eine neue, große Operettenproduktion. Wir wollen die Berliner Stars bei uns haben. Katherine Mehrling wird neben Helmut Baumann und Dagmar Manzel im Juni bei Paul Abrahams „Ball im Savoy“ auf der Bühne stehen. Gayle Tufts konnten wir als Moderatorin bei der konzertanten Aufführung von Kalmans „Die Herzogin von Chicago“ gewinnen. Die Berliner Diven gehören an unser Haus. Ohne Stars funktioniert Operette nicht – sie wurden immer speziell für Stars geschrieben.

Es ist Ihr erklärtes Ziel, die Ehre der Operette zu retten. Wie soll das gelingen?

Indem man drei Regeln beachtet: Du musst den Stil lieben, du musst die Stücke mit Stars besetzen und dich darauf einlassen, dem Publikum Unterhaltung zu bieten. Der deutsche Fehler beim Versuch, Operette zu zeigen, ist ja, dass der Subtext oft als Haupttext ausgespielt wird. Wir wissen, dass es in den Operetten seit Offenbach immer auch um Sozialsatire geht. Aber diese Ebene schwingt nur mit, da darf man als Regisseur nicht mit dem gesellschaftskritischen Holzhammer kommen. Sie sind für diesen Prickeleffekt gemacht, man bekommt den ironischen Subtext gratis dazu. In erster Linie aber ging es den Autoren seit Offenbach darum, dass die Leute mit einem guten Gefühl aus dem Theater gehen – und zur nächsten Show wiederkommen.

Ein spezifisch deutsches Problem: Wenn sich die Leute am Ende gut fühlen, packt sie das schlechte Gewissen und sie fragen: Haben wir uns unter Niveau amüsiert?

Die Deutschen empfinden eine Art Schuld, wenn sie Spaß haben. Das gibt es im angelsächsischen Sprachraum nicht. Es hat natürlich mit der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zu tun. Aber auch mit Martin Luther. Das ist für mich sowieso der Staatsfeind Nummer 1. Nicht nur weil er antisemitisch war, sondern auch weil er Humor, das Lachen unterdrücken wollte. Warum um alles in der Welt soll man sich nicht für ein paar Stunden vergnügen dürfen? Luther ist auf jeden Fall mit schuld an der unseligen Trennung von E und U in Deutschland, der wertvollen ernsten und der vermeintlich schlechten unterhaltenden Kunst.

Eine Trennung, die durch die staatliche Förderpolitik zementiert wurde. Wer Subventionen bekommt, muss also gut sein.

Was wiederum auf Richard Wagner zurückgeht, der ja einzig die ernste Kultur als die wahre deutsche Kultur gelten ließ. Vater und Sohn, die beim Hausmusikkonzert Bach-Stücke spielen: So wird der gesamte Bereich abgetrennt, in dem Freude und Humor regieren. Für mich aber gibt es keine vertikale Kultur, keine Leiter, bei der gewisse Genres auf einer höheren Stufe stehen als andere. Mein Bild ist ein horizontales: In der Kulturlandschaft existieren sie alle nebeneinander, „Wozzeck“ und „Gräfin Mariza“, „Die Soldaten“ und „West Side Story“. Es kommt nur darauf an, jedes einzelne Stück so gut, so authentisch wie möglich zu machen.

Das sehen Sie als Ihren Auftrag an der Komischen Oper?

Ja, weil ich überzeugt bin, dass die Zeiten von E und U vorbei sind. Ich spreche nicht davon, alles in einen Topf zu werfen und wahllos zu vermixen. Ich mache keine Jazzfassung von Debussys „Pelléas“. Aber ich biete alle Genres nebeneinander an, Operette und Musical eingeschlossen. Wir nehmen Paul Abrahams „Ball im Savoy“ genauso ernst, als würden wir eine unbekannte Barockoper ausgraben. Unser musikalischer Leiter Adam Benzwi hat dafür genauso Quellenforschung und Analyse betrieben, wie es René Jacobs oder Marc Minkowski in ihren Bereichen tun. Wenn diese beklagen, wie furchtbar Barockmusik in den fünfziger Jahren gespielt wurde, kann ich nur sagen: Bei der Operette war es genauso. Die Operette hat es verdient, dass man sie wieder ernst nimmt. Auch wenn sie von Juden gemacht wurde: Das ist eure Kultur, Jungs! Sie gehört zur deutschen Kultur genauso wie „Parsifal“ und „Faust“!

– Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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