Wolfgang Petrick im Max Liebermann Haus: Mensch Zombie
Der Krieg geht weiter: Wolfgang Petrick gastiert mit seinen dramatischen Bildern „im Atelier Liebermann“ am Brandenburger Tor.
Das ist nichts für schwache Nerven. Amazonen schreiten über das Schlachtfeld. An ihrem Gürtel baumeln die abgeschlagenen Köpfe der Feinde. Schiffe kollidieren. Aus dem Zusammenstoß steigt ein Wesen auf – halb Frau, halb Werwolf – und formt sich zum Atompilz. Ein Taucher steht in der Ecke, mit Gasmaske auf dem Kopf, an Brust und Rücken wachsen glitzernde Schuppen. Bei Wolfgang Petrick tobt die Apokalypse und mit ihr schlägt die Stunde der Freaks.
„Im Atelier Liebermann“ heißt die neue Reihe, mit der die Stiftung Brandenburger Tor zeitgenössische Künstler einlädt, dem Publikum einen Eindruck von ihrem Studio zu vermitteln. Das großbürgerliche Palais bildet den abgeklärten Hintergrund für provozierend rohe Kunst. Nach Daniel Richter, der den Abenteurer und Künstler Jack Bilbo mitbrachte, hat nun Wolfgang Petrick sein obsessives Werk zu einem Rundgang geordnet. So wirkungsvoll funktioniert das Gruselkabinett, dass man Reißaus nehmen möchte. Ein Besucher macht prompt auf dem Absatz kehrt. Wie auf dem Jahrmarkt überbieten sich die Sensationen. Da lauert ein Krokodil in der Kiste, daneben Chimären aus Knochen und Puppenköpfen, dazwischen Totempfähle, Voodoo-Zauber, Fetische.
Auf der letzten Seite des Ausstellungskatalogs ist der Urgrund für Wolfgang Petricks Kunst zu sehen. Ein Panoramafoto vom vollkommen zerstörten Lützowplatz aus dem Jahr 1949. Die Häuser gleichen Skeletten, Trümmer türmen sich zu Hügeln, aus dem Schutt ragen Treppengeländer und Stahlträger wie Arme. Wolfgang Petrick ist 1939 in Berlin geboren. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist er gerade zehn Jahre alt. Während seiner frühen Kindheit herrscht Krieg, danach erlebt er den angespannten Unterdruck des Kalten Krieges in der Stadt. Die Aggression dieser Zeit konserviert sich in seiner Kunst bis heute.
Petricks Bilder entstehen in Schichten
1958 beginnt Petrick sein Studium an der Hochschule der Künste. Seine Lehrer sind Werner Volkert und der Bauhäusler Fritz Kuhr. Später unterrichtet er selbst über dreißig Jahre als Professor an der HdK. Während seines Studiums erlebt Petrick die Entscheidung für Figur oder Abstraktion in der geteilten Stadt als Glaubensfrage. Gemeinsam mit Karl-Horst Hödicke, Bernd Koberling, Markus Lüpertz und anderen gründet er den Ausstellungsraum Großgörschen 35. Er selbst nennt Jean Dubuffet und James Ensor als seine Vorbilder. Als er 1976 zur Documenta 6 nach Kassel eingeladen wird, hängen seine Zeichnungen neben den Maschinenleibern von Richard Lindner und den Schmerzensübermalungen von Arnulf Rainer.
Petrick wählt für seine Bilder eine Vorlage, die an Realismus nicht zu überbieten ist – den „Atlas für gerichtliche Medizin“ von Otto Prokop, 1963 veröffentlicht vom VEB Volk und Gesundheit. Hier findet er Fotos von Erschlagenen, Erstochenen, Erschossenen. Die seltsam bleichen Gesichter der Toten mit ihren starr geöffneten Augen überleben in seiner Malerei.
Zum Beispiel Adam und Eva. Bei Wolfgang Petrick sind sie Wiedergänger mit zagem Leichenlächeln. Ausgerüstet mit Brustpanzer und Colt haben sie schon lange ihre Unschuld verloren. Petricks Bilder entstehen in Schichten. Er fotografiert, zeichnet, malt, scannt das Zwischenergebnis, bearbeitet es weiter, zerschneidet die Leinwand, flickt sie, montiert Objekte hinein, bis die Kreativität von der Zerstörung verschlungen ist.
Er beobachtete 2011 den Angriff auf das World Trade Center
Dürers Stich von der Melencolia, der sitzenden Mutterfigur, die aus der Schwermut ihre Inspiration gewinnt, übermalt Petrick mit einem blutroten, verstümmelten Frauenkörper. Subtil ist das nie, vielmehr oft von unbekümmerter Misogynie. Frauen bringen das Unheil über die Welt – wer sonst? Die Zombiefrauen sind sexuell aufgeladen und trotzdem steril.
Dass Wolfgang Petrick ein virtuoser Maler und Zeichner ist, lässt das eindrucksvollste Bild erkennen. Siebzehn Jahre nutzt der Berliner Künstler ein zweites Atelier im New Yorker Williamsburg. Von hier aus beobachtet er den Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001. Die „Große Zelle“ von 2005/06 handelt von dieser neuen Katastrophe. Da biegt sich ein Feuerwehrlöschzug gegen die Gesetze der Perspektive um die Ecke, da löst sich ruppige Malerei auf in feine Striche, Farbe in Schwarz-Weiß.
Perspektiven auflösen
Auch in den Anamorphosen jagen Feuerwehrautos im Kreis. Die manieristische Spielerei mit der Verzerrung vermittelt das Gefühl von Tempo. Doch der Trick mit dem Spiegelbild imponiert eher durch Effekthascherei als durch Tiefgründigkeit.
„Go(o)d Speed“ heißt die Schau, in der sich die Perspektiven auflösen. „Unsere Existenz ist nicht mehr linear“, sagt Wolfgang Petrick. Aber der Ausstellung fehlt ein Moment der Verdichtung durch Reduktion. Viel hilft nicht immer viel. Die Redundanz der Puppenfrauen und Kriegsbräute lässt die Bewegung zum Stillstand kommen. Die Schrecken erschlagen sich selbst.
Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7, bis 2. 11.; Mo 10–20 Uhr, Mi bis Fr 10–18 Uhr, Sa /So 11–18 Uhr.