Scarlett Johansson im Science-Fiction-Film "Lucy": Mensch bleiben!
Luc Besson erfindet in seinem Sci-Fi-Abenteuer „Lucy“ eine Killermaschine, die weinen kann. Gespielt wird die Amazone von Scarlett Johansson, die damit zu einer Göttin des Actionfilms aufsteigt.
Scarlett-Johansson-Fans sind es gewohnt, weite Wege zu gehen. Süchtige der allerersten Stunde mag sie bereits zu Tränen gerührt haben, als sie mit eben 14 Jahren in Robert Redfords Edelkitschbombe „Der Pferdeflüsterer“ ein nach einem Reitunfall beinamputiertes Mädchen gab. Kaum aber hatte sie 2004 – in Sofia Coppolas „Lost in Translation“ – ein Weltpublikum erobert, galt es, allerlei höchst mäßige, allein von Johansson visuell veredelte Werke („Love Song for Bobby Long“, „Reine Chefsache“) durchzusitzen. Zum Ausgleich vollends beglückend dann ihr Hattrick („Match Point“, „Scoop“, „Vicky Cristina Barcelona“) für Woody Allen: Ihm war sie zur real existierenden Muse geworden wie zuvor, als Filmfigur in „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, dem Maler Vermeer – und fertig für immer schien die Zauberfee für sensible Künstlerseelen sowie die Zartbesaiteteren unter den – männlichen – Kinogängern.
Übersehen haben viele Fans dabei, dass Johansson, die demnächst 30 wird, seit ihren Anfängen immer wieder, zwar in Nebenrollen, in Krachbummfilmen mitmischte – mochten sie nun „Ghost Rider“, „Ghost World“ oder auch mal „Der Angriff der achtbeinigen Monster“ heißen. Dieser Spaß an Sci-Fi-Universen trieb und treibt sie etwa in Michael Bays „Die Insel“ oder zur vielköpfigen Marvel-Familie („Iron Man“, „The Avengers“), die ungemein fertil stets neue Produkte auswirft. In „Under the Skin“, demnächst in Deutschland nur auf DVD, mordet sie, als Alien in sexy weiblicher Hülle in Schottland unterwegs, massenweise hässliche Anhalter, was sich mit ein bisschen Fantasie auch als nicht eben subtile Drohung an allzu sklavische Johansson-Bewunderer lesen lässt. Zuletzt in „Her“ von Spike Jonze war sie nur mehr die Stimme eines Betriebssystems. Aber, krächzten die unbelehrbar Seligen unter ihren Verehrern, was für eine!
So gesehen, ist der neueste Streich des Weltstars nur folgerichtig. Eine Hauptrolle! In einem Blockbuster! Und bitte schön als Amazone mit selbstredend übermenschlichen Kräften! Womit Scarlett Johansson mindestens einen weiteren männlichen Fan gewonnen hätte: Luc Besson, Regisseur und Drehbuchautor von „Lucy“, freut sich nach eher öden Arbeiten als Produzent und noch öderen („Malavita“) als Regisseur über einen Top-Hit: Sein mit 40 Millionen Dollar für das Genre schlank finanziertes, aber keineswegs ärmlich wirkendes Sci-Fi-Werk steht nach drei Wochen in den USA knapp vor der 100-Millionen-DollarMarke. Womit Johansson – Freunde des gehobenen Liebes- und Leidenschaftsfilms müssen jetzt sehr tapfer sein – endgültig im Olymp der Actionfilmgöttinnen à la Angelina Jolie, Uma Thurman und neuerdings Jennifer Lawrence angekommen wäre.
Erst einmal aber ist Lucy nichts weiter als ein amüsierwilliges Normalo-Girl, das in Taipeh an einen schmierigen Ferienabschnittsbegleiter gerät. Der bringt sie gewaltsam mit einem Koffer üblen Inhalts und einer finsteren Chinesen- Bande zusammen – und schon findet sie sich in der Rolle einer Drogenkurierin der besonderen Art wieder. Ihr und drei armen männlichen Würstchen werden mit einer Art blauem Kandiszucker gefüllte Plastiksäckchen unters Bauchfell operiert, und ab geht es damit in europäische Hauptstädte. Das Zeug ist pures Brain – dazu geeignet, die Menschheit, die sich statistisch mit dem Abruf von zehn Prozent ihrer zerebralen Kapazitäten begnügt, auf 100 Prozent Intelligenznutzung hochzujazzen. Und weil bei den bald unvermeidlichen Kämpfen Frau gegen Finsterling ein Teil dieses Stoffs in Lucys Blutkreislauf gerät, wird sie – Überraschung! – zur Killermaschine.
Klar ist das Camp, Trash, Quatsch – aber einer, der lustvoll mit seinen Mitteln spielt und sich nebenbei, mit einem weisen Neurologen (Morgan Freeman), sogar eine Prise populärwissenschaftlichen Überbaus leistet. Anzusehen ist die Welt mit den Augen der bald 20, 30, 40, 60 und mehr Prozent ihres Denkvermögens nutzenden Lucy durchaus aufregend: Nicht nur, dass sie mal eben das Wissen des gesamten Internets inkorporiert, sie sieht auch das Innere der Bäume mitsamt Harzflüssen und Wurzeln, und einer scheinbar kerngesunden Freundin etwa empfiehlt sie, Body-Check-Blick genügt, umgehend einen Facharzt aufzusuchen, sie habe da ein ernstes, aber reparables organisches Problem.
Was den Film überhaupt von manchen seiner Art unterscheidet: Lucy bleibt Mensch, empfindet Verantwortung, sogar Opferbereitschaft. Alles zu wissen und zu sehen, verleiht zwar überirdische Fähigkeiten, ist aber furchtbar und viel zu viel für eine einzelne Kreatur – eine moralische, ja, tröstliche Botschaft, die sich bei allem überwiegend köstlichen Tohuwabohu auch Fans eher erdverbundener Kinostoffe mühelos erschließt. Und: Lucy kann, obwohl durchgeschüttelt von durch ihren Kopf und Körper jagenden Hochgeistungsströmen, sogar noch weinen! Anders gesagt: Lucy ist und bleibt – trotz aller durchlittener Pein – die schimmernde, die schöne, ja, die nahezu überirdisch schöne Scarlett Johansson.
Sonst noch was? Ein paarmal zitiert Luc Besson überdeutlich Stanley Kubricks unübertrefflichen „2001 – Odyssee im Weltraum“; weil er aber selber damit nur schäkert, sei ihm das verziehen. Zweitens ist in einer Szene dieses mittelfernen Zukunftsszenarios der gute alte Flughafen Tegel im Bild, voll funktionierend: oha! Und schließlich wünschte man der Menschheit, die derzeit allenfalls fünf Prozent ihres Kollektivbrains köcheln lässt, durchaus mehr von jener blauen Droge. „Besson, wirf Hirn herunter“: Ein paar Prozent über die üblichen zehn hinaus wären willkommen, es müssen ja nicht gleich 100 sein.
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