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Vicky
© dpa

Kino: Liebesspiel eines Stadtneurotikers

Heute läuft Woody Allens Film "Vicky Cristina Barcelona“ an. Der kommt gerade richtig, in einer Zeit schlechter Nachrichten und dem grauen Winterwetter. Es ist ein Liebesmärchen mit Scarlett Johansson und Penélope Cruz.

Na endlich. Im Spätherbst, in diesen trüben Zeiten zwischen Allerheiligen, Volkstrauertag und Wintereinbruch, kommen eigentlich immer nur Spätherbstfilme ins Kino. Filme über Mütter, die ihre Kinder nicht lieben („Das Fremde in mir“) oder gar töten („So viele Jahre liebe ich dich“), über Kinder, die ihre Eltern beerdigen („33 Szenen aus dem Leben“) oder verlieren, über Eltern, die ihren toten Kindern nachtrauern: Kinodramen wie „Novemberkind“ oder „Im Winter ein Jahr“ tragen den Grauschleier schon im Titel. Ganz falsch. Im Spätherbst braucht der Mensch Aufmunterung: Komödien, Farcen, Frühlingserwachen, Sommerstücke, mehr Licht, Luft, Sonne. Wer immer auf die Idee gekommen ist, Sommerfilme im Sommer und Winterfilme im Winter zu zeigen, trägt erheblich zur kollektiven Depression in der dunklen Jahreszeit bei.

Nun, endlich, der neue Woody Allen. Eine Romanze mit güldener Augustsonne, flimmernder Hitze, viel nackter Haut und Liebeleien der fröhlichen, ansteckenden Art zwischen einigen der sexiest men und women alive.

Man muss sich das vorstellen. Dass man so romantisch und hinreißend sexy aussieht wie Javier Bardem und die Wahl hat zwischen Scarlett Johansson als New Yorker Blondine und Penélope Cruz als rassiger Spanierin. Wie würden Sie entscheiden? Genau, Sie nehmen beide. Oder man stelle sich vor, man ist so romantisch und hinreißend sexy wie Scarlett Johansson und hat die Wahl zwischen Bardem und Penélope Cruz. Die Wahl fällt bestimmt wieder auf beide. Das ist in etwa der Plot von „Vicky Cristina Barcelona“. Und weil Woody Allen die Ménage à trois auch noch zum Quartett komplettiert, mit Rebecca Hall als brünetter Alternative zur blonden Johansson, ist ihm sein amouröses Verwirrspiel noch verrückter, noch flirrender geraten.

Woody Allen, der 73-jährige Stadterotiker aus New York, setzt seine europäischen Lehr- und Wanderjahre fort, nach rund 50 Amerika-Filmen. Auf drei unterschiedlich ertragreiche Ausflüge nach London und Großbritannien („Match Point“, „Scoop“, „Cassandras Traum“) folgt nun Barcelona, die spanische Filmförderung diente ihm dabei als Reisebüro. Kataloniens Sonne tut ihm ungemein gut; so verspielt, so leichthändig, so warmherzig ist lange kein Allen-Film mehr geraten. Barcelona, der Süden, das efeuberankte Gemäuer im asturischen Oviedo, Antoni Gaudís Kirchen, Blumen und Brunnen im Park Güell, das Flair der Künstlerboheme, Rotwein und Gitarren-Nocturnes: Aus diesen Ingredienzen eines pittoresken Folklore-Europa, wie die Amerikaner es sich gerne erfinden, bastelt Allen ein zauberhaftes 96-Minuten-Märchen und hebelt die bereitwillig bedienten Klischees mit leiser Selbstironie gleich wieder aus. Alan Ayckbourn meets Seifenoper.

Dafür sorgt schon der Off-Erzähler, der die Figurenkonstellation nonchalant vorstellt und kommentiert: Zwei amerikanische Freundinnen, die vernünftige, verlobte Vicky (Rebecca Hall) und die unvernünftige, frisch getrennte Cristina (Scarlett Johansson), machen Urlaub bei einem älteren Verwandten-Ehepaar in Barcelona und gehen auf ein unwiderstehlich unsittliches Wochenendangebot des Malers Juan Antonio (Bardem) ein. Trotz des erotischen Doppels kommt Juan Antonio jedoch nicht von seiner mörderisch temperamentvollen Exfrau los, der Künstlerin Maria Elena (Penélope Cruz). Die Schauspieler, so ist zu lesen, haben auf dem Set improvisiert. Im Verein mit Allens pointen-gespicktem Drehbuch beschert das dem Zuschauer wahre Kleinodien der Verführung mit Worten und Taten, köstliche Eifersuchtsszenen und grandiose Auftritte von Cruz als Königin der Tobsuchtsanfälle. Und, Höhepunkt der Höhepunkte, einen leidenschaftlichen Kuss zwischen Penélope Cruz und Scarlett Johansson in der Dunkelkammer.

Altherrenfantasie? Aber ja. Bloß haftet ihr (anders als in „Match Point“) nichts Abgeschmacktes an, denn Woody Allen nimmt den eigenen Altmännerblick auf seine bildschönen Actricen gleich mit aufs Korn. Ein Amerikaner schwärmt vom Liebesnest Europa und nimmt sich dabei nicht sonderlich ernst: In der ersten Nacht mit dem Maler muss Scarlett/Cristina durchfallerkrankungsbedingt leider passen. Nach der nächsten heißt es: „Diesmal behielt Cristina ihr Essen für sich.“

Bei aller derben Komik des Allzumenschlichen erweist sich Woody Allen erneut als Meister des Feinsinns, wenn er das heitere Geschehen mit eben jener Prise Melancholie würzt, die das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit verrät. Ach ja, die Menschen, zumal Allens Landsleute, rackern sich ab, sind so tüchtig wie Vickys karrierebastelnder Verlobter oder so desillusioniert in ihre Ehen und andere Zweckbündnisse eingepfercht wie die Barcelona-Verwandtschaft in Gestalt von Patricia Clarkson. Ach ja, Spaniens Sonne ist nur ein wohlfeiler Traum, ein Kurzurlaub, bestenfalls.

Aber es lohnt sich doch, sich mitten in der Diktatur der Sachzwänge – Krise! Rezession! Weihnachtsstress! – die Alternative Barcelona vor Augen zu führen. Einen Augenblick der Freiheit, ein Sommermärchen mitten im Spätherbst. Der Winter kann kommen.

In zwölf Kinos, OmU im Odeon, Hackesche Höfe, OV im Cinestar SonyCenter.

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