Volksbühne: Saisonauftakt mit Paul McCarthy: Meister des Unbehagens
Saisonauftakt mit Künstler: Paul McCarthys Installation „Rebel Dabble Babble“ in der Volksbühne.
Zwei Stunden, so die Empfehlung am Eingang, sei eine gute Aufenthaltszeit in Paul McCarthys Show „Rebel Dabble Babble Berlin“. Der Abend dauert insgesamt viereinhalb Stunden, man kann aber auch schon nach 15 Minuten den Saal verlassen. Entscheiden Sie selbst! Wer in die Volksbühne geht, hat in der Regel Zeit – sogar für Langeweile. Wer McCarthys Vorstellung besucht, um zu sehen, wie eine Ikone der amerikanischen Performancekunst, der sonst in Museen und gut situierten Galerien ausstellt, ein Theaterhaus bespielt, wird nach kurzer Zeit feststellen: Es ist business as usual.
Es geht hier um den Saisonauftakt an der Volksbühne, der ursprünglich Frank Castorfs letzter sein sollte, auch wenn es nun sein vorletzter ist. Nachfolger Chris Dercon tritt 2017 sein Amt als Intendant an.
Worum ging es noch mal in dem hämischen Streit um Dercons Berufung und Castorfs Abgang? Dass das Ensembletheater mit Dercon einer „Festivalkultur“ weichen muss? Dass da ein Museumsmann neoliberale Formate an die Volksbühne bringt? Jetzt präsentiert die Volksbühne unter Castorfs Ägide McCarthys Videoperformance. Dazu brauchte es keinen Dercon. Zwei Mal hat der 70-jährige McCarthy mit seinem Sohn Damon „Rebel Dabble Babble“ bereits im Kunstkontext gezeigt, in Los Angeles und in New York. Nun agiert das Duo erstmals am Theater.
Der große Saal der Volksbühne ist bis auf ein paar Stuhlreihen leer geräumt. Im Zentrum stehen zwei Bühnenbilder, eines zeigt das Haus von Jim Stark, dem halbstarken Jungen, den James Dean in dem Film „Rebel without a cause“ („Denn sie wissen nicht, was sie tun“) spielte. Eine weitere zweistöckige Architektur ist einem Bungalow im berüchtigten Hotel Chateau Marmont in West Hollywood nachempfunden. In diesem Bungalow probte der Filmregisseur Nick Ray mit seinen jungen Schauspielern James Dean, Natalie Wood und Sal Minero. Jeder soll dabei mit jedem was gehabt haben, mit Ray als Sugar Daddy.
In den expliziten Sexszenen seien natürlich Körperdoubles am Werk
Was sich so alles abgespielt haben könnte, malt McCarthy auf neun großen Videoleinwänden und etlichen kleineren aufs Deutlichste aus. Da wird geküsst, gestöhnt, geschlagen, geleckt, penetriert, und Judy alias Natalie Wood, gespielt von Elyse Poppers, wird von der langnasigen Vaterfigur alias Nick Ray alias Paul McCarthy mit einer gelben Flüssigkeit bespritzt. Die Akteure verkörpern sowohl die Filmfiguren als auch die Originalschauspieler. James Franco spielt James Dean und Jim Stark, Paul McCarthy ist der Film-Vater und Nick Ray. In den expliziten Sexszenen seien natürlich Körperdoubles am Werk, heißt es.
Die Zuschauer können sich zwischen den Screens bewegen oder auch sitzen. Auch Castorf, Pollesch und Schlingensief haben an der Volksbühne bereits Performances geboten, bei denen die Aktivitäten der Schauspieler auf Leinwänden zu verfolgen waren und das Publikum auf Sitzsäcken inmitten des Bühnenbilds lümmelte. Dass McCarthys Setting dem ähnlich ist, macht seine Show eher uninteressanter. Nachdem man festgestellt hat, dass die Vorstellung schauspielerfrei bleiben wird, ist eigentlich die Luft raus.
In einem parallel laufenden Projekt in der Volksbühne beschäftigt sich McCarthy mit dem Wiener Aktionismus
Dabei ist McCarthy ein Meister des Körperlichen – und des Unbehagens. Seine obszönen, boshaften Spin-offs von Schneewittchen oder „Fluch der Karibik“ thematisieren unterschwellige Ängste, die sich niemand gerne eingesteht. Auch in „Rebel Dabble Babble“ geht es um die Abgründe der Film- und Unterhaltungsindustrie, um die Kehrseite von Träumen, um die ungeschönte Realitäten hinter der braven bürgerlichen Fassade, um brutale Abhängigkeiten zwischen den Geschlechtern, um Tyrannei und auch um geile alte Böcke und junge Frauen zwischen Dominanz und Subversion. Als McCarthy in den siebziger Jahren anfing, diese Dinge zu thematisieren, brach er Tabus. Mittlerweile wirkt seine Betrachtung eher verbohrt. Gerade wegen ihrer „subjektiven Verschrobenheit“ entziehe sich McCarthys Kunst – im Gegensatz zu dem, was Dercon angeblich plant – jeder Funktionalisierung. So verkündet es ein am Eingang der Volksbühne verteilter Programmzettel mit der Überschrift „No Service/Gegen die Konsenskultur“. Trauen die Volksbühnen-Macher den Gästen kein eigenes Urteil zu? Brauchen sie eine Rechtfertigung für die multiple McCarthy-Show – fast schon ein Festival –, die sie da abfeuern?
In einem parallel laufenden Projekt in der Volksbühne beschäftigt sich McCarthy mit dem Wiener Aktionismus. Gemeinsam mit Theo Altenberg, einem Künstler, der etliche Jahre in Otto Mühls Kommune auf dem Friedrichshof gelebt hat, erarbeitete McCarthy einen Bilderzyklus, der einen Bilderreigen Otto Mühls zu Van Gogh zitiert. Die Gemälde, mit wilden gestischen Strichen und sexuellen Themen, sind auf der Probebühne zu sehen, was durchaus Spaß macht, da sie mit Mühls Originalbildern verwoben sind.
Dass McCarthy nicht nur Provokateur, sondern auch ein sehr guter Maler und Bildhauer ist, sieht man noch besser an der dritten Spielstätte. Im privat organisierten Schinkel Pavillon, einem Ausstellungsraum in der Nähe des Schlossplatzes, zeigt der Amerikaner einen seiner „Life Casts“, eine lebensgetreue Nachbildung seines nackten Körpers. Der unbekleidete Künstler, täuschend echt und unbeweglich auf einem Tisch, liegt in dem achteckigen Pavillon wie in einem Mausoleum. Der Raum ist dafür optimal. In der Volksbühne ist diese Verknüpfung von Werk und Raum nicht ganz so stringent.
Volksbühne, täglich bis 27. September.