Paul McCarthy wird 70: Der Klassenclown
Er stellte George W. Bush in den Schweinestall und leuchtete tief in die Abgründe der amerikanischen Seele. Jetzt wird der Skandalkünstler Paul McCarthy 70.
Auf Fotos wirkt er wie ein freundlicher, älterer Herr. Aber wehe, etwas erregt den Unmut von Paul McCarthy. Dann arbeitet es unter dem grauen Schopf des Künstlers, der seit Jahrzehnten verlässlich Skandalöses produziert. Die Maschinerie seines auf dem Niveau einer Manufaktur arbeitenden Ateliers in Los Angeles springt an – und heraus kommen monströse Gartenzwerge, masturbierende Märchenfiguren oder eine Skulptur, in der man einen Ex-Präsidenten unter Schweinen erkennt: George W. Bush als Sodomist.
Immer wieder schärft McCarthy, der an diesem Dienstag seinen 70. Geburtstag feiert, all jene Instrumente, mit denen er die US-Gesellschaft bis in ihre dunklen Gedanken und Sehnsüchte hinein seziert. Fixpunkt seiner künstlerischen Analyse war stets Disneyland als irrer Traum von der ewigen unschuldigen Kindheit. Und da Disney längst ein globales Phänomen ist, hat sich auch McCarthys Arbeitsfeld erweitert. Im Oktober 2014 sahen sich die Franzosen mit einem gigantischen, aufblasbaren Weihnachtsbaum auf dem Pariser Place Vendôme konfrontiert. Auf Youtube kursiert ein Video, in dem zwei junge Frauen erklären, sie müssten die Skulptur „noch für sich entdecken“, bevor sie eine Meinung hätten. Ein Passant bringt es auf den Punkt: Die grasgrüne Arbeit erinnere an ein riesiges Sex-Spielzeug.
Disney und Youporn – die saubere Oberfläche und der Trieb. McCarthy hat sich früh an dieser repressiven, seiner Ansicht nach verlogenen Zweiteilung gerieben und sie eine „Konditionierung durch falsche Realität“ genannt. Seine Gegenmaßnahmen kulminieren in Videos wie „Atelier“ von 1995, in dem er den tollpatschigen Maler gibt, der vor Publikum ein spektakuläres Werk entstehen lässt. Was die Leute halt erwarten, wenn sie mit einem Künstler konfrontiert sind, der sich wiederum in einer Szene von einem Sammler den Hintern beschnuppern lässt.
Provokation ist immer Schmierstoff im Werk von McCarthy – vielleicht auch bei seiner ersten Theaterarbeit „Van Gogh revisited“, ab 6. September an der Berliner Volksbühne. Er wuchs in Utah auf, mit liberalen Eltern, wie er betont. Dennoch hat er wohl früh in dem von Mormonen geprägten, ultrakonservativen Teil der USA mitbekommen, was Bigotterie bedeutet. Sein Kunststudium an der University of Southern California schloss er 1976 mit der Performance „Class Fool“ ab, für die er neben körpereigenen Flüssigkeiten wie Erbrochenem noch Ketchup und Handcreme benutzte. Vor den anderen Studenten schob sich ein komplett besudelter McCarthy eine Barbie-Puppe in den Po.
Man kann dieses erste Happening als Nukleus lesen, um den sich das Werk entwickelt hat. Spätere Videos arbeiten mit Masken, Puppen und Clownsaccessoires wie Perücken oder Riesenhänden. Zuletzt hat sich McCarthy immer mehr der Skulptur zugewandt. Sein drastischer Witz ist auch hier erkennbar, gerinnt allerdings wie bei Bush zum bildgewaltigen Agit-Prop ohne den leisen Horror früherer Arbeiten. Und wenn man auf Kunstmessen oder in Galerien dem siebten Riesengartenzwerg begegnet, wird klar, dass McCarthy in L.A. eine ganze Fabrik finanziell füttern muss.
Christiane Meixner