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Berliner Boheme. Bertolt Brecht und Günther Weisenborn.
© Edition Salzgeber / Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Weisenborn-Doku „Die guten Feinde“: Meines Vaters Vermächtnis

Widerstand gegen die Nazis: Christian Weisenborn erzählt in der Doku „Die guten Feinde“ die Geschichte seines Vaters und der „Roten Kapelle“.

Die Post hat 63 Jahre gebraucht. Saskia von Brockdorff ist alt und grau, als sie endlich den in DDR-Archiven versackten liebevollen Abschiedsbrief ihrer Mutter erhält, der das Herz einer Frau leichter macht, die zeitlebens unter dem Zorn und der Verlorenheit eines Waisenkindes gelitten hat. Nun steht sie mit tränennassem Blick im ehemaligen Strafgefängnis Berlin-Plötzensee und hält ein Sträußchen Blumen in der Hand, zum Gedenken an ihre 1943 in diesem Raum geköpfte Mutter Erika von Brockdorff.

Das ist einer von vielen berührenden Momenten in Christian Weisenborns packender Dokumentation „Die guten Feinde“. Sie erzählt mit historischem Film- und Fotomaterial, durch Interviews mit Familienmitgliedern, Biografen, Historikern und vor allem durch die eindrückliche Rezitation von Briefen und Tagebucheinträgen von der Widerstandsgruppe, die die Gestapo schon durch die Bezeichnung „Rote Kapelle“ als fünfte Kolonne Sowjetrusslands diffamierte.

Der Filmemacher ist der Sohn von zwei überlebenden Rote-Kapelle-Mitgliedern, des Schriftstellers Günther Weisenborn und der Sängerin Margarete „Joy“ Weisenborn. Gleich zu Beginn führt er sich zu Schwarz-Weiß-Fotos aus glücklichen Kindertagen in den Fünfzigern als Ich-Erzähler ein, der – auch in Gesprächen mit dem Bruder – den Spuren der Mutter und vor allem denen des Vaters nachspürt. Wobei der Filmtitel ein Theaterstück von Günther Weisenborn zitiert.

Viele der Ermordeten gelten noch lange als Landesverräter

Der zieht in den Zwanzigern nach Berlin, arbeitet mit Bertolt Brecht, Heinrich George und Valeska Gert und gehört bald zur aufgeklärten Berliner Boheme. Nach dem Krieg versucht er bis zu seinem Tod 1969 zusammen mit dem Rote-Kapelle- Überlebenden Adolf Grimme, den Ruf der mehr als 50 von den Nationalsozialisten ermordeten Freunde und Freundinnen wiederherzustellen. Vergeblich. Die rund 150 gegen die Nazis in einem lockeren Netzwerk konspirierenden, meist dem Geist der Jugendbewegung verpflichteten Studenten, Künstler, Aristokraten, Beamten – darunter viele Frauen –, gelten noch jahrzehntelang als Landesverräter.

Erst 2009, lange nach Öffnung der DDR-Archive, wurden die Urteile gegen 120 im Jahr 1942 verhaftete Widerständler aufgehoben. Zuvor, im Kalten Krieg, werden Menschen wie Harro und Libertas Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Kurt Schumacher oder Hans und Hilde Coppi im Westen zu Ost-Spionen und im Osten zu kommunistischen Märtyrern stilisiert.

Das Entsetzen und die Wut darüber, wie perfide die von den Nationalsozialisten betriebene Denunzierung ihrer Gegner nach dem Zusammenbruch des Regimes weiterwirkt, gibt dem persönlichen Film eine brennende politische Ebene. Beklemmend auch, wie die vermeintlich alte Geschichte des schleichenden Umbaus eines demokratischen in ein totalitäres Regime angesichts der aktuellen Weltlage wieder brandaktuell wird. Auch das schärft den Zuschauerblick wieder für das historische Thema Widerstand. Dass diesen nicht nur Helden und Heldinnen, sondern einfach anständige Leute aus lebenslustigen Freundeskreisen zu leisten vermögen, die sich weigern, ihre humanitären Überzeugungen zu verleugnen, zeigt „Die guten Feinde“.

Filmkunst 66, Eiszeit, Brotfabrik, Hackesche Höfe, Tilsiter Lichtspiele

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