Pop-Feminismus 2.0: Meine Pussy gehört mir
Rap-Stars wie Cardi B und Megan Thee Stallion feiern Frauenkörper, Sex und Zusammenhalt. Damit repräsentieren sie ein neues feministisches Selbstverständnis.
Durch die popkulturelle Brille betrachtet, ließ sich die Welt in den vergangenen Wochen in zwei Lager einteilen: Da sind diejenigen, die den Song „WAP“ als Hymne selbstbestimmter weiblicher Sexualität feiern.
Und diejenigen, die sich angesichts der expliziten Versautheit der Lyrics die Ohren „am liebsten mit Weihwasser auswaschen würden“, wie es der Republikaner James P. Bradley formulierte, nachdem er den Track von Cardi B und Megan Thee Stallion laut eigener Aussage „versehentlich hörte“.
Väterlich-fürsorgliche Kommentare aus rechten Kreisen
„WAP“ (kurz für „Wet Ass Pussy“) ist nicht nur der Sommerhit des Jahres, sondern bescherte eine der absurdesten Kulturdebatten aller Zeiten. Kurz zusammengefasst: Zwei Frauen veröffentlichen einen hyperexpliziten Rapsong, darüber, was sie anmacht und was sie von Männern beim Sex erwarten.
Das Resultat: Einstieg auf Platz eins der Billboard -Charts, 93 Millionen Streams in einer Woche allein in den USA – ein All-Time-Rekord. „Bring a bucket and a mop for this wet ass pussy“.
Auftritt Ben Shapiro. Der politische Kommentator gilt in rechtskonservativen Kreisen als eine der wichtigsten Stimmen in Trumps Amerika. Ist das der Feminismus, den sich Mütter für ihre Töchter wünschen, fragt er in einem viral gegangenen Video.
Und legt am nächsten Tag via Twitter väterlich-fürsorglich nach, er sorge sich doch vor allem um die vaginale Gesundheit der Künstlerinnen. So eine nasse Pussy, das wisse er von seiner Frau, einer Gynäkologin, sei Zeichen einer Erkrankung. Hohn und Spott folgten für den wohl peinlichsten Diss der Kulturgeschichte.
Weitere Politiker*innen schalten sich ein, verurteilen die Künstlerinnen als Beweis für so ziemlich alles bis hin zum Niedergang der amerikanischen Familie. Die Republikanerin DeAnna Lorraine twitterte, die Welt brauche dringend mehr Melanias und weniger Cardi Bs.
Die Problematisierung und Pathologisierung weiblichen Sexualverhaltens fußen auf uralten Traditionen. Die verurteilenden Reaktionen im Jahr 2020 zeigen exemplarisch auf, welche doppelten Standards für Männer und Frauen in Gesellschaft und Popkultur weiterhin herrschen. Dass Rechtskonservative sich über vermeintlich obszöne Songzeilen zweier Women of Colour empören, ist wenig überraschend.
Auffällig war aber: Es beteiligten sich auch viele schwarze Künstler am Backlash. Der R’n’B-Sänger Cee-Lo Green nannte den Song „schamlos“ und „schiere Barbarei“. Er wird der Vergewaltigung beschuldigt.
Das Echo auf „WAP“ demonstriert, wie sexistische Stereotype, Rollenerwartungen und Misogynie in der Gesellschaft fortbestehen: Im patriarchalen Denken ist weibliche Sexualität nur dann genehm, wenn Männer sie kontrollieren und von ihr profitieren. MeToo ging an der Musikindustrie im Allgemeinen und der Hip-Hop-Szene im Speziellen weitgehend spurlos vorbei. Rap feiert Strip Clubs, verurteilt aber Stripperinnen und Sexworker.
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Hip-Hop-Produzent Jermaine Dupri („Pop That Booty“) beschwerte sich vergangenes Jahr, Frauen im Hip-Hop seien heutzutage nur Stripperinnen, die rappen. Cardi Bs Karriere begann in einem Stripclub, sie schämt sich nicht dafür. Ihre wasserdichten Merchandising-Produkte zu „WAP“ sind unterdessen längst ausverkauft.
Es geht in der Debatte nicht um Inhalte – es geht um Macht. Und eben weil das so ist, begeistert der neue Sexpositivismus. Er ist mitnichten ein singuläres Phänomen, sondern popkultureller Ausdruck eines über Jahre gewachsenen neuen feministischen Selbstverständnisses, das toxischer Männlichkeit eine Abfuhr erteilt. Vom Zweite-Welle-Alice-Schwarzer-Feminismus ist das, was Frauen und die LGBTIQ*-Community unter Emanzipation verstehen, weit entfernt. Der Feminismus der Generation Z ist intersektional und aggressiv sexpositiv.
Da ist zum Beispiel die US-amerikanische Künstlerin Ashnikko, deren Texte sich mit Feminismus, toxischer Männlichkeit und sexueller Unabhängigkeit befassen. 2019 war ihr Song „Stupid“ ein Hit auf TikTok: „I know you think about me in the shower / PornHub in your browser / Fantasize about the pussy power / Think about me with your hand on your trousers“.
Im dazugehörigen Video läuft sie durch eine Vorstadtidylle, klingelt an Türen, und jeder Typ, der öffnet, wird abgeschlachtet. In diesem Jahr erschien „Working Bitch“, die Message: Mein Leben dreht sich sicher nicht um Männer, die Hauptfigur bin ich. „I love my day job / fuck a blowjob, what’s the point? / It’s all déjà vu, they don’t give me what I want.“ Männer sind nicht mehr als ein nettes Beiwerk – solange sie brav sind.
Kollaboration statt Konkurrenz
Oder wie Cher es bereits vor Jahrzehnten formulierte: wie Dessert. Nice to have aber nicht notwendig.
Was in der Bildsprache auffällt: Künstlerinnen besetzen vermeintlich männliche Sprachgesten von Macht und Potenz, als stünde die Frage einer fixen geschlechtlichen Zuordnung überhaupt nicht zur Debatte. Vulven sind „thicc“, Beyoncé rappt „get off my dick“.
Ihr Album „Lemonade“ (2016), auf dem sie die Untreue ihres Mannes Jay-Z verarbeitet, brachte dem neuen feministischen Selbstverständnis einen Schub. In diesem Frühjahr kollaborierte sie mit Megan Thee Stallion für einen Remix von „Savage“.
„I’m a bad bitch, she’s a savage, no comparisons here“ rappt Beyoncé in dem Track, und drückt aus, was die Künstlerinnen, die heute die Charts dominieren, von denen der neunziger und nuller Jahre unterscheidet: Kollaboration statt Konkurrenz.
Wieso sich um die wenigen Plätze, die Männer Frauen zugestehen, streiten, wenn man sie ihnen einfach abnehmen kann? Die Zeiten, in denen es nur eine Queen geben durfte, sind vorbei. Frauen lassen es sich nicht mehr gefallen, dass sie Zielscheibe von Hass werden, weil sie in einem Genre unterwegs sind, das zum Synonym wurde für die Verachtung des Weiblichen.
Das Selbstbewusstsein von Frauen im Musikgeschäft repräsentierten bereits Foxy Brown und Lil’ Kim vor rund 25 Jahren in ähnlich expliziten Songtexten. Lil’ Kim offenbarte Jahre später, dass sie sich in ihre hypersexualisierte Rolle gedrängt sah. Foxy Brown war gerade mal 16 Jahre alt, als sie neben Jay Z über ihr Sexleben rappte. Es war damals, anders als heute, nicht alles so selbstbestimmt, wie es vielleicht aussah.
Lana del Rey steht für ein passives Rollenbild
Ein zentraler Unterschied: Die fulminante Resonanz und das massive Identifikationspotenzial nicht nur für junge Frauen, sondern auch in der LGBTIQ*-Community verdeutlichen: „There’s some whores in this house“ („WAP“). Slutshaming und die Verachtung von Sexworkern hat hier keinen Platz mehr. Der hetero-männlich dominierten Musikszene werden Krone und Zepter abgenommen.
Ist da noch Platz für andere Rollenbilder? Was ist mit den Musikerinnen, auf die die beschriebenen Attribute nicht zutreffen? Lana del Rey, die im Titelstück ihres Albums „Norman Fucking Rockwell“ singt: „Goddamn manchild / you fucked me so good that i almost said I love you“, stellte vor einigen Wochen eben diese Frage.
Sie beklagte, dass es im Feminismus auch Raum für diejenigen geben muss, die ein passives Frauenbild repräsentieren und meinte damit sich selbst.
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In der Folge wurde ihr Rassismus vorgeworfen, denn die von ihr beispielhaft aufgeführten Künstlerinnen sind allesamt Women of Color. Dabei ließe sich die Sängerin, der oft nachgesagt wird, sie romantisiere toxische Männerbilder, als depressive weiße WAP-Version deuten, wenn sie singt „My pussy tastes like Pepsi Cola“.
Die Antwort auf ihre Frage lautet: Na sicher ist da Platz. Aber bitte ein bisschen mehr Bewusstsein für die Kämpfe schwarzer Frauen und die besondere Rolle ihrer Körper.
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