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Eine Poetin weiblicher Dramen. Lana Del Rey, 34. Gewinnerin des Soundcheck-Awards und für zwei Grammys nominiert.
© Universal

Sechstes Studioalbum von Lana Del Rey: „You fucked me so good that I almost said 'I love you'“

Lana Del Reys Album "Norman Fucking Rockwell!" klingt so sanft und verträumt, dass die Härte darin sich erst allmählich entfaltet. Dann haut sie um.

Dass diese Frau den Mechanismus durchschaut hat, macht sie von Anfang an gefährlich. "Goddamn, man-child", flucht sie, "You fucked me so good that I almost said 'I love you'."

Mit diesen vergifteten Worten beginnt Lana Del Reys sechstes Studioalbum "Norman Fucking Rockwell!", und was man zum Auftakt hört sind die lässig wiegenden Akkorde einer klassischen Klavierballade, während die Sängerin resigniert von ihrem Liebhaber berichtet, einem in ihren Augen kindischen Poeten, der sein Versagen wie alle Männer mit dem Versagen anderer erklärt. "Du bist bloß ein Mann durch und durch", singt sie, "den Kopf in den Händen vergraben, ... die Wand vollquatschend, wenn die Party sich gelangweilt abgewandt hat..." Der einzige Grund, warum sie selbst noch bei ihm ist: "You colour me blue."

So einfach liegen die Dinge in Lana Del Reys Universum auch wieder nicht, dass sie nicht Zuflucht suchte in rätselhaften Bildern wie diesem. Was ist gemeint mit dieser Bläue? Ist es nur Synonym für eine melancholische Stimmung? Oder der Bluterguss, der als Zeichen häuslicher Gewalt zurückbleibt? Was es auch sein mag, es fesselt die Protagonistin an ihren "sich selbst verachtenden Dichter".

Und so taucht man ein in eine komplizierte Welt aus in Hassliebe erstarrten Beziehungen, unerfüllbaren Erwartungen und amerikanischen Versprechen. Wo die Frau sich Männern an den Hals wirft, um ihre Traurigkeit in bindungslosen Ekstasen zu erschöpfen. Denn an ihre "Düsternis und Tiefe", wie Del Rey es einmal ausdrückt, reicht ohnehin kein Liebesglück heran.

Del Rey inszeniert sich als Zuckerpüppchen mit ondulierten Haaren

Diese Tonlage war nicht zu erwarten, als die gebürtige New Yorkerin 2011 mit einem Song über die Fixierung von Jungs auf Videospiele erstmals Furore machte. Ihr Debütalbum "Born To Die" besaß den sinisteren Charme eines Teenager-Dramas, bei dem hinter jeder Unbedarftheit eine Katastrophe lauert. Del Rey inszenierte sich als Zuckerpüppchen mit ondulierten Haaren und in buntem Bikini. Ihre Songs waren bevölkert von bösen Jungs, die irgendwelchen Hollywoodfilmen entstiegen schienen und das sogar selbst zu glauben meinten. Das war so bewusst oberflächlich angelegt, dass die folgenden Alben nur wie Variationen desselben schalen Als-ob-Gefühls wirkten.

Gewinnerin. Lana Del Rey (l.) auf dem Cover des preisgekrönten Albums.
Gewinnerin. Lana Del Rey (l.) auf dem Cover des preisgekrönten Albums.
© Polydor

Nicht wenige Kritikerinnen warfen Del Rey Mitte der 10er Jahre vor, sich hinter Fassaden und künstlichen Figuren zu verstecken, ohne deren Lesart zu brechen.

Diesem Prinzip bleibt sie treu. Aber erstmals in ihrer Karriere, die sie mit dem ungeheuer produktiven Ausstoß von sechs Alben in neun Jahren zu einem der einflussreichsten Popstars des Jahrzehnts hat werden lassen, entfaltet ihre Musik subversive Energie. Nicht nur, dass sie stilistisch an keinen derzeit herrschenden Trend mehr angebunden ist. Aus ihren filigranen, kunstvoll entschleunigten Erzählungen spricht eine Selbstachtung, die deutlich an Robustheit gewonnen hat.

Das führt dazu, dass Songs wie "Venice Bitch" sich sensibel den "beautiful losers" nähern und die Ausweglosigkeit ihrer Lage schildern, während es in "Fuck You I Love You" heißt: "Maybe the way that I am living is killing me / But one day I woke up like 'Maybe I'll do it differently'." Eines Tages, sagt sie sich, werde ich wieder aufwachen und wissen, dass es jetzt genug ist - mit diesem Kerl, mit dem Alkohol, mit Ausreden.

In einem langen Essay im "Guardian" über die weiblichen Idole des vergangenen Jahrzehnts betrachtet Laura Snapes die 34-jährige Lana Del Rey als eine Figur des Übergangs. Ihr "purer weiblicher Blick" habe den Weg für die trotzigen Stars geebnet, die auf sie folgen und sich wie Rihanna, Janelle Monáe oder Solange energisch gegen Rollenerwartungen wehren sollten. Das hat dazu geführt, dass sich in ihrer Welt mitunter gar keine Helden und Heldinnen mehr finden, außer ihnen selbst.

Tatsächlich hat Lana Del Rey sich nie von ihrer Obsession für amerikanische Archetypen gelöst. Sie schwimmt in den Bildern, die die USA fortgesetzt von sich selbst produzieren, wie in einem gechlorten Pool. Ihre Nachfolgerinnen stehen am Rand dieses Bassins, während sie Bahnen durchs Blau zieht, voller Hingabe an den Heroismus, den es bedeutet, sich als Amerikanerin zu fühlen.

Produzent arbeitete zuvor mit Taylor Swift und Lorde zusammen

Mit Produzent Jack Antonoff holte sich Lana Del Rey 2017 einen Mann an ihre Seite, der mit seinen 35 Jahren nur unwesentlich älter als sie ist zuvor Taylor Swift, St. Vincent und Lorde betreut hatte. Auch für Del Rey fand er genau die richtige Mischung aus Intimität, Grandiosität und experimentellen Freiräumen. Obwohl die Klavierballade das dominierende Element darstellt, öffnen sich die Arrangements immer wieder Classic-Rock-Reminiszenzen, pathetischen Pop-Hymnen und minimalistischen Beats. Und so sollte das Album Monate nach seinem Erscheinen Ende August 2019 in Jahresbestenlisten auftauchen und in manchen ganz oben stehen.

In "How To Disappear" spielt Del Rey den Wunsch nach Auflösung durch, indem sie sich unter der gleißenden kalifornischen Sonne an die Seite eines Muskelprotzes platziert, der seinen Körper an stählernen Gerätschaften trainiert. Sie, die Frau, bricht in Tränen aus, weil das Leben so hart sei. Und er, der mit den Narben früherer Schlägereien im Gesicht gezeichnet ist, hat den Vorzug, eine Bierdose aufzureißen und "einfach nur da zu sein". Nichts geht mehr voran. So stellt sich Lana Del Rey das Verschwinden vor.

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