Käthe-Kollwitz-Preis für Katharina Sieverding: Machtspiel mit Betrachter
Messerwürfe, Spitzenschleier: Die Akademie der Künste zeigte Plakate der Kollwitz-Preisträgerin Katharina Sieverding.
Sie hat alles im Blick. Mit dunkler Brille, die Haare straff zurückgekämmt, lehnt die mondäne Schöne am Waschbetonpfeiler und schaut auf ihre Arbeiten. Das Selbstporträt von Katharina Sieverding an der Stirnseite der großen Ausstellungshalle in der Akademie der Künste am Hanseatenweg dominiert den ganzen Raum. Der Titel „Kapital und Kunst“ verweist auf die Retrospektive in der Bundeskunsthalle Bonn, die noch bis 16. Juli zu sehen ist. Aber die Begriffe Kapital und Kunst berühren auch den Zwiespalt der Künstlerin. Katharina Sieverding blickt skeptisch auf das Kapital, wird aber selbst zu Höchstpreisen gehandelt.
„Bild und Text sind oft konträr und arbeiten wunderbar miteinander“, sagt die Künstlerin, während sie ihr Werk betrachtet. „Ich denke immer noch über diese verschiedenen Sätze nach, die scheinbar für etwas werben.“ Der Perspektivwechsel zwischen Innensicht und Außensicht gehört zu ihrer Signatur. Für die Berliner Ausstellung hat die Künstlerin vor allem ihre politischen Plakate ausgewählt. Im klassischen Format der Straßenwerbung sind sie 252 mal 360 Zentimeter groß und plan an die Wand geklebt.
Reibungsenergie, die über Jahre nachglüht
Die Auswahl zollt Käthe Kollwitz Respekt, denn die Ausstellung ist Teil des nach der großen Künstlerin benannten Preises, den die Akademie der Künste verleiht. Die Auswahl überrascht aber vor allem, weil man das Alter der Werke nicht erkennen kann. In „Schlachtfeld Deutschland“ zum Beispiel schleichen sich die Schemen bewaffneter Gestalten an. Der Hintergrund ist violett wie durch ein Nachtsichtgerät gesehen. Es sind Soldaten der GSG 9 – nicht in Hamburg im Einsatz, sondern gegen die RAF. Die surreale Szene entstand 1978 und deutet die Verbindungslinie an zwischen Zweitem Weltkrieg und Deutschem Herbst.
Weil Katharina Sieverding mehrere Schichten übereinanderlegt, erzeugt sie eine Reibungsenergie, die über Jahre nachglüht. Als eine der ersten Fotografinnen integrierte sie die Medien Theater, Film, Performance in ihre Kunst. Während ihrer Ausbildung arbeitete sie als Assistentin von Fritz Kortner am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Sie studierte Bühnenbild bei Teo Otto. Kehrte dann aber dem Theater den Rücken.
Die Entscheidung fiel an einem einzigen Tag. Bei den Salzburger Festspielen war sie mit ihrem Lehrer für das Bühnenbild der Zauberflöte verantwortlich. Als die Kulissentür klemmte, durch die Sarastro die Szene betreten sollte, geriet der Dirigent außer sich. Um sich von dem Donnerwetter zu erholen, kaufte sich die gebürtige Pragerin (Jahrgang 1944) eine Tageszeitung. Sie las darin vom Schah-Besuch in Berlin und dem Tod von Benno Ohnesorg. „Da habe ich gedacht, ich möchte nicht länger in dem Hochkulturbetrieb bleiben. Jetzt möchte ich eigene Statements entwickeln. Und an dem Tag habe ich mich entschieden, zu Joseph Beuys in die Klasse zu gehen.“
Jetzt überlagern sich in ihren Arbeiten gefundene Bilder, Selbstinszenierungen, Filmausschnitte und die ambivalenten Titel zu visuellen Rätseln, deren Reiz im Wechsel zwischen Werbung und Aggression liegt. Etwa bei dem bekannten Motiv „Deutschland wird deutscher“, 1993 als Reaktion auf die rassistischen Übergriffe in den neuen Bundesländern entstanden. „Dieses Thema des Deutschen ist offensichtlich noch nicht abgearbeitet“, sagt die Künstlerin.
Für ihre Plakate verwendet Sieverding auch Selbstporträts
Eine Frau mit Spitzenschleier vor dem Gesicht wird gerahmt von einem Kranz von Messern. Für die provozierende Aussage zu Wiedervereinigung und Nationalismus verwendete Katharina Sieverding ein Selbstporträt, das bei einer Performance mit der Schaustellerfamilie Lemoine entstand. Aggression erkennt sie in dem Motiv nicht. Allerdings kann man im Gespräch ihre Blicke hinter den dunklen Gläsern nur erahnen.
Das irritierende Machtspiel mit den Betrachtern stellt eine Verwandtschaft her zu Helmut Newtons Big Nudes oder Cindy Shermans unheimlichen Clowns. Aber als Meisterin der Doppelbödigkeit öffnet Katharina Sieverding das Bild in die Frage. Bei ihrem aktuellen Plakat mit der Überschrift „Am falschen Ort“ legt sie über das Foto von einem syrischen Flüchtlingslager ein Negativ von russischen Soldaten, die eine Kanone in Stellung bringen. Am falschen Ort sind beide Parteien, die Flüchtlinge und das Militär.
Schade, dass die Selbstbefragungen in der Berliner Ausstellung fehlen. Sie stellen die Verbindung zu Käthe Kollwitz auf einer tieferen Ebene her, als das die politischen Plakate vermögen. Käthe Kollwitz, Frau eines Arztes, zeichnete Geburt und Tod. Katharina Sieverding, Tochter eines Radiologen, durchleuchtete ihren Körper bis in die feinsten Mikrostrukturen. Die „Kristallisationsbilder“ entstanden 1992, nachdem die Künstlerin ihre todkranken Eltern gepflegt hatte.
Selfies vor der Digitalisierung
Mit Fotogrammen misst sie ihre Lebensenergie anhand der Blutkristallisation. Die Strukturen erinnern an die Maserungen in Holzschnitten und waren im Jahr ihrer Entstehung in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Mit der Serie verwandelte die Künstlerin die Erschöpfung in Bereicherung. „Leben und Tod sind für mich zwei gleichwertige Pforten. Um dahin zu kommen, ist es sehr wichtig, mitzuerleben, wie so ein Sterbeprozess verläuft.“ In der Akademie der Künste liefern die „Test-cuts“ persönlichere Einblicke in ihr Leben. Im ersten Raum wirft ein Projektor nach dem Zufallsprinzip die tagebuchartigen Schnellschüsse in Schwarz-Weiß an die Wand. Schon vor der Digitalisierung hat Katharina Sieverding nicht nur das Selfie vorweggenommen, sondern auch alles fotografiert, was in ihrem Leben passierte.
Die Kinder sind da zu sehen, ebenso wie die Werke im Atelier geboren. Die Tochter Pola, benannt nach der Polarität und ebenfalls als Medienkünstlerin erfolgreich, der Sohn Orson, der als DJ das Prinzip des Sampling weiterführt. Ihr Mann Klaus Mettig, mit dem Katharina Sieverding für die Kamera die Überblendung der Geschlechter durchspielt. In ihrem nächsten Leben, hat sie einmal gesagt, wird sie als Mann auf die Welt kommen. Eigentlich aber macht das keinen großen Unterschied. „Jedes humane Wesen hat das Weibliche und das Männlich inkorporiert“, glaubt sie. „Was soll dieses ganze Abgrenzen und Kämpfen. Warum nicht das andere verstehen, es in sich entwickeln und sich anders begegnen und berühren.“ Schöne Aussichten also, für Frauen wie für Männer.
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 27. 8.; Di bis Mi 1 1 – 19 Uhr
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