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Kultur: Göttin in Gold

Das Medium bin ich: Die Kunstwerke zeigen in „Close up“ Selbstporträts der Fotokünstlerin Katharina Sieverding

Eine eindrucksvolle Ouvertüre: Den im Halbdunkel eintretenden Besucher schauen von den drei Wänden der Ausstellungshalle neun überdimensional große Gesichter an. Doch schon beim zweiten Blick wird deutlich, dass hier etwas nicht stimmen kann. Die schwarz-weiß aufgenommenen Gesichter changieren permanent. Immer wieder schiebt sich bei dieser Diaprojektion mit dem Titel „Transformer“ das Antlitz einer anderen Person davor. Am Ende hat der Betrachter sie zu unterscheiden gelernt: einen Mann und eine Frau, beide stark geschminkt.

„Das war 1973 mein Beitrag zur feministischen Debatte,“ erklärt Katharina Sieverding. Und der kam damals keineswegs gut an. Das Androgyne, die Mischung der Geschlechter, überhaupt die Gegenwart einer männlichen Figur war unter feministischen Künstlerinnen verpönt. Katharina Sieverding hat sich davon nicht beirren lassen („Heute sieht man ja, wo diese Künstlerinnen gelandet sind – in der Schublade!“). Durchsetzungsvermögen musste sie auch vorher schon beweisen, als einzige Frau in der Klasse von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Akademie. Der versuchte ihr das Fotografieren auszureden, was die junge Studentin umso mehr als Aufforderung zum Weitermachen verstand.

Sie sollte Recht bekommen: Mit dem 1969 in einer Berliner Transvestitenwohnung über Nacht gedrehten Filmporträt „Life – Death“ landete die gerade 27-Jährige drei Jahre später auf der documenta 5 in Kassel. Wieder ist sie selbst die Hauptdarstellerin, ihr eigenes Gesicht dient als Projektionsfläche für den Betrachter. Und wieder spielt sie mit den Mitteln der Verfremdung. Mit ihrem Gold geschminkten Konterfei erscheint sie wie eine archaische Göttin, das Löffeln aus einem Honigglas wirkt wie ein Ritual. Von Anfang an waren das die Eckpfosten in ihrem Oeuvre: Film und Fotografie als Medium, als Motiv das überdimensionale Selbstporträt. „Close up“ lautet deshalb der Titel ihrer Werkschau in den Berliner Kunstwerken, des bislang umfassendsten Überblicks über ihr Schaffen von den Düsseldorfer Studienjahren Ende der Sechziger bis heute.

Der Doppelauftritt mit der zeitgleich eröffneten Ausstellung von Shirin Neshat im Hamburger Bahnhof ist ein starkes Statement. Künstlerinnen befinden sich also auf dem Vormarsch, könnte man daraus schließen, ebenso Kuratorinnen wie die beiden spanischen Direktorinnen der Biennale in Venedig, María de Corral und Rosa Martínez, oder das weibliche Doppel an der Spitze der Berliner Kunstmesse Art Forum, Sabrina van der Ley und Kirsten Günther. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Auch wenn heute zwei Drittel der Kunststudenten weiblich sind – beim Lehrpersonal an den Akademien verhält es sich umgekehrt, ebenso bei Ausstellungen, von Preisverleihungen ganz zu schweigen. Frauen bilden stets die Minorität.

Für Katharina Sieverding scheint es diese Hindernisse nie gegeben zu haben. Im vergangenen Jahr erhielt die heute 61-Jährige den renommierten Goslarer Kaiserring, 1997 bespielte sie zusammen mit Gerhard Merz den deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Ihre Werkschau in den Kunstwerken ist eine Übernahme vom New Yorker P.S.1, dem Außenborder des MoMA für aktuelle Kunst, und seit 13 Jahren unterrichtet sie als Professorin an der Berliner UdK. Hier kann sie studieren, warum sich der weibliche Nachwuchs heute schwer tut: Statt zu malen, wie es auf dem Markt gefragt ist, produziert er „gebrochenere Arbeiten“, eher komplexe Installationen und konzeptuelle Kunst. In den Sechziger-, Siebzigerjahren verlegten sich die jungen Frauen dagegen auf das Feld der Videokunst und leisteten hier Pionierarbeit. Valie Export, Ulrike Rosenbach, Friederike Pezold sind dafür die besten Beispiele. Auch das Werk von Katharina Sieverding und Shirin Neshat ist für diesen Trend bezeichnend, denn mit Hilfe der Kamera beschritten sie neue Wege, betrieben sie mediale Selbstverortung.

Gerade dieses Kreisen um das Ego wird der Düsseldorfer Künstlerin häufig zum Vorwurf gemacht. Exzessiv wie wohl niemand vor ihr stellt sie das eigene Antlitz ins Zentrum ihres Werks. Das hat zu manchem Missverständnis geführt, zuletzt bei einer Wiederauflage ihres Stauffenberg-Blocks von 1969, der nun auch in den Kunstwerken zu sehen ist. Mittels einer feuerroten Solarisation konfrontiert sie 16 Mal den Betrachter mit ihrem verfremdeten Autoporträt, von dem unklar bleibt, ob es nun die Köpfe der Widerstandsgruppe aus dem „Dritten Reich“ repräsentiert oder ob sich die Künstlerin selbst in der Rolle der Widerstandskämpferin sieht. Als eine Anmaßung, eine Überheblichkeit wurde dieser Aneignungsakt sogleich verstanden. Vor dem Hintergrund ihrer Werkschau verflüchtigt sich der Vorwurf des unangebrachten Narzissmus allerdings schnell.

Katharina Sieverding hat sich immer als Medium betrachtet, am erfolgreichsten und öffentlichkeitswirksamsten wohl 1995 mit ihrer Plakataktion „Deutschland wird deutscher“, schon damals in Kooperation mit den Berliner Kunstwerken. Das Plakat zeigte ihr Konterfei hinter einem gebrochenen Spitzenschleier, rundum Messer und Wurfgeschosse in klassischer Zirkusmanier. Tatsächlich traf sie den Nerv einer akuten Debatte um einen zunehmenden Nationalismus. In seiner Uneindeutigkeit erhitzte das Plakat die Gemüter; mit ihrer neuesten Aktion anlässlich der Ausstellung wird ihr dies wohl nicht mehr gelingen. Diesmal entnahm sie der in den Zwanzigerjahren erschienenen Zeitschrift „Die Pleite“ von George Grosz, Wieland Herzfelde und John Heartfield den Titel im Originalschriftzug und stellte ihn vor das hoch gerasterte Rund einer Sonnenfinsternis. Das Motiv lässt jedoch zu viele Optionen offen, als dass es – 250 Mal in der Stadt plakatiert – wirklich berührt.

Gesellschaftliches Engagement ist neben dem Motiv Selbstporträt der andere rote Faden im Werk von Katharina Sieverding. Dies verbindet sie mit den Kunstwerken als Institution, die sich in den letzten Jahren mit der RAF-Ausstellung oder der Übernahme der Wehrmachtsausstellung zunehmend als Ort politischer Auseinandersetzung etabliert haben. Als Katalysator für aktuelle Kunst, wie sie in den Kunstwerken ebenfalls beheimatet ist, dient ihr Werk allerdings weniger; dafür ist es in seiner Ausbildung zu singulär. Trotzdem spielt sie mit ihren Performances, den riesigen Fotoarbeiten und der filmischen Dokumentation eines China-Aufenthalts in den Siebzigern eine Rolle als Vorreiterin. Auch das Zwitterwesen aus ihrer „Transformer“-Installation erscheint wie die Vorwegnahme der Figur des Metrosexuellen. „Wenn man das Männliche nicht in sich kultiviert, hat man verloren,“ sagt sie in Hinblick auf ihr damals so umstrittenes Werk. Ihr eigener Werdegang taugt allemal als Vorbild.

Kunstwerke, Auguststraße. 69, bis 27. November; Di–So 12–19 Uhr, Do bis 21 Uhr. Katalog, 548 Seiten, 39,95 €.

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