zum Hauptinhalt
Die Designer vom Hybrid Space Lab haben für das Stadtschloss einen „Humboldt Vulkan“ entworfen.
© Hybrid Space Lab

Diskussionen ums Humboldt-Forum: Macht Platz für den Dschungel

Umplanen ist nicht verboten, noch ist Zeit für neue Konzepte: Warum Berlin seine Präsentation aus dem Humboldt Forum zurückziehen sollte.

In der Mitte entspringt Verdruss. Kaum ist der Streit um das Kreuz auf der Kuppel abgeflaut, braut sich neuer Ärger zusammen. Und der wird auch nicht so schnell vergehen. Es dreht sich um die deutsche Kolonialgeschichte und die Frage, was daraus für das Humboldt Forum und generell die Museen folgt. Eine dringliche Provenienzforschung allemal. Wie sind die Artefakte aus Afrika hierher gelangt? Wie wird sich ihr Weg in den Ausstellungshallen des Humboldt Forums nachvollziehen lassen? Was werden die stummen Objekte erzählen?

Es ist offenkundig: Das Humboldt Forum hat ein Legitimationsproblem. Das zeigt sich auf mehreren Ebenen, draußen und drinnen. Die Umhüllung, das Schloss, nimmt mehr und mehr Gestalt an, und die Kritik an der Fake-Architektur wird wieder heftiger. Berlins Kultursenator Klaus Lederer spricht von einem „Desaster“.

Die Humboldt-Expertin Bénèdicte Savoy ist mit Aplomb aus dem Beirat ausgetreten und sagt: „Das Humboldt Forum ist wie Tschernobyl.“ Harsche Worte. Indessen sieht Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Sache positiv. Das Humboldt Forum wirke eben als Katalysator für überfällige Debatten und befördere Strukturreformen, genau so habe man es sich ja gewünscht. „Das Humboldt Forum ist zu einer riesigen Projektionsfläche geworden, auf die sich die gedanklichen Scheinwerfer zahlreicher Diskurse richten“, schreibt Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten, in der neuen „Zeit“.

An der Raubkunst wird das Humboldt Forum nicht scheitern

Deutschlands größtes und eigentlich auch großartigstes Kulturprojekt scheint indes unter dem immensen Erwartungsdruck zu schrumpfen. So liest man, dass an eine stufenweise Eröffnung gedacht wird, beginnend im Herbst/Winter 2019. Alles andere würde die Öffentlichkeit überfordern, lautet das seltsame Argument. Oder gibt es einen anderen Grund, nicht sogleich das Ganze zu präsentieren? Werden hier größere Probleme verschleiert?

Berlin leidet an den Traumata des neuen Flughafens und der Staatsoper Unter den Linden. Diesmal soll es um keinen Preis eine signifikante Verzögerung und Verteuerung geben. Und diesem Ziel wird alles andere untergeordnet, auch das Gelingen der neuen Institution.

An der Provenienzfrage kann es dann nicht liegen, wenn das Humboldt Forum seinen Zeitplan dehnt. Diese Forschungen sind langwierig, sie haben erstaunlicherweise überhaupt erst begonnen. Die entsprechenden Stellen müssen neu eingerichtet werden. Neil MacGregor, Häuptling der drei Gründungsintendanten, hat in seiner Ausstellung „Germany. Memories of a Nation“ Deutschland ein erstklassiges Zeugnis ausgestellt, was die Aufarbeitung der Vergangenheit betrifft, der Diktaturen, der Kriegsverbrechen. Diese Schau im British Museum London war ausschlaggebend für MacGregors Berufung nach Berlin. An der Raubkunst wird das Humboldt Forum nicht scheitern. Denn es ist eine seiner Aufgaben, diesen Komplex zu erforschen, in offenem Prozess. Undenkbar, hinter der historisierenden Fassade die eigene Geschichte zu vernachlässigen.

Das Beste wäre, Christo den Schlossbau verpacken zu lassen

Die Berliner Schloss-Fassade ist nicht gottgegeben. Das Beste wäre ohnehin, Christo den Bau verpacken zu lassen, wie einst das Reichstagsgebäude. Da war einmal eine friedliche Aufbruchstimmung in der Stadt, Optimismus und Gemeinschaftsgefühl. So denken auch die Designer vom Hybrid Space Lab Berlin. Sie haben für den Humboldt-Kasten einen tropischen Garten entworfen, mit mächtig rankendem Grün und Wasserkaskaden. Sie nennen es „Humboldt Dschungel“ und „Humboldt Vulcano“ – eine Referenz an die Reisen Alexander von Humboldts in Lateinamerika. Alles fließt. Die Entwürfe erinnern an das grün umwucherte Musée du Quai Branly. Jean Nouvel ist der Architekt des 2006 eröffneten Komplexes für außereuropäische Kunst in Paris. Frankreich hatte den Mut zu einer zeitgenössischen Architektur.

Das Äußere, das zu misslingen droht, lässt sich verändern und auflockern. Das gilt auch für das Innere. Bei der Geschossplanung sind schlechte Kompromisse gemacht worden. Es fehlt am Platz. Die Neupräsentation der Dahlemer Sammlungen, ein großzügiger Eingangsbereich, Veranstaltungsräume, das Wissenschaftslabor der Humboldt-Universität und Raum für Sonder- und Wechselausstellungen, das alles drängt ins Forum. Dazu noch die Berliner Seite: 4000 Quadratmeter im ersten Obergeschoss stehen einer Darstellung der Geschichte der Stadt in ihrer Beziehung zur Welt zur Verfügung. Wozu?

Hat der Louvre ein Paris-Fenster, das British Museum eine London-Show?

Ursprünglich sollte auch noch die Zentrale Landesbibliothek mit hinein ins Humboldt-Forum. Von dieser Idee hat man sich klug verabschiedet. Jetzt müsste die Gründungsintendanz, die Kulturstaatsministerin und der Berliner Kultursenator den Mut haben, die Berlin-Repräsentanz im Humboldt Forum aufzugeben. Die Pläne dafür werden von der Stiftung Stadtmuseum und ihrem Direktor Paul Spies zusammen mit der Kulturprojekte GmbH entwickelt. Aber warum an diesem Ort?

Hat der Louvre ein Paris-Fenster, das British Museum eine London-Show? Nur in Berlin muss sich eine Weltstadt permanent selbst bewerben und sich ihrer selbst versichern. Als wäre das Humboldt-Projekt an sich nicht schon überzeugend genug.

Berlin sollte zugunsten des Museums Europäischer Kulturen verzichten

Die Designer vom Hybrid Space Lab haben für das Stadtschloss einen „Humboldt Vulkan“ entworfen.
Die Designer vom Hybrid Space Lab haben für das Stadtschloss einen „Humboldt Vulkan“ entworfen.
© Hybrid Space Lab

Berlins Kulturgeschichte im Humboldt Forum? Das könnte ja nur die Beschäftigung mit Alexander und Wilhelm von Humboldt und dem fortschrittlichen Preußen sein. So ist es aber nicht vorgesehen. Die Berlin-Schau will sich vage unter Begriffen wie „Revolution, Mode, Migration, Krieg, Freiräume, Grenzen, Vergnügen und Weltdenken“ darstellen, in einer „eigenen Erfahrungswelt“. So könnte es kommen, wenn nicht noch anders entschieden wird: Berlin hier, die Sammlungen dort. Keine durchgehende Präsentation und Ästhetik, keine einheitliche Verantwortlichkeit. Schon jetzt leidet das ganze Humboldt-Forumsprojekt an einem Wirrwarr von Kompetenzen – ein Riesentier mit vielen Köpfen und Füßen.

So muss man es aber nicht mehr machen, nur weil es einmal so geplant war. Mit dem zu renovierenden Märkischen Museum, der Nikolaikirche, dem Ephraimpalais und dem Knoblauchhaus besitzt die Stiftung Stadtmuseum bereits reichlich prominente Präsenz in der Mitte der Stadt. Das will alles bespielt und unterhalten sein, auf hohem Niveau.

Auf einen Schlag würden 4000 Quadratmeter frei

Man kann den Eindruck bekommen, dass der rot-rot-grüne Senat gar nicht so traurig wäre, käme es zu einer Umplanung ohne den Berliner Beitrag. Es ist darum sehr still geworden. Die von Präsident Hermann Parzinger – er gehört zugleich zur Humboldt-Gründungsintendanz – angeführte Stiftung Preußischer Kulturbesitz dürfte sich auf jeden Fall über eine solche Lösung freuen.

Wenn sich Berlin verabschiedet, müsste der Bund den Kostenanteil des Landes am Humboldt Forum übernehmen, wenigstens 32 von insgesamt rund 600 Millionen Euro. Auf einen Schlag würden 4000 Quadratmeter frei. Sie werden von der Preußenstiftung, die das Humboldt-Forum mit ihren Sammlungen bestückt, dringend benötigt. Hier kommt wieder die Legitimationsfrage. Das Humboldt-Forum könnte mit der dazugewonnenen Fläche flexibler werden, dort vielleicht auch eine Ausstellung zur Provenienz einrichten. Bénèdicte Savoy verlangt in der „Süddeutschen Zeitung“ Räume, „um die Verzahnung von Wissenschaft und Forschung zu fördern. Warum können Schulklassen dort nicht regulären Unterricht haben?“

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, den Berliner Platz sehr viel sinnvoller zu füllen als bisher vorgesehen. Dahlem zieht ins Humboldt Forum um. Nicht ganz. Das Museum Europäischer Kulturen bleibt zurück. Dafür ist in Mitte kein Platz vorgesehen. An die 280.000 Objekte umfasst diese Sammlung, in der deutsche und europäische Kulturgeschichte ethnologisch betrachtet werden. Naive Kunst, religiöse Artefakte, Alltagsgegenstände aus unseren Gegenden: Das ist der entscheidende Punkt.

Die Zeit nach der Einweihung hat schon begonnen

Mit dem Museum Europäischer Kulturen im Humboldt Forum, bei der Museumsinsel, würde sich der große Kreis der Kulturen schließen und erschließen. Der Besucher, wo immer er auch herkommt, aus Bamberg, Burkina Faso oder Brasilien, würde unsere Lebenswelt ähnlich betrachten wie ein „Amazonas-Modul“ oder afrikanische Sitzmöbel. Alexander von Humboldt wusste, dass die Dinge nicht vergleichbar sind, aber zusammenhängen. Was für ein gewaltiger Gewinn, wenn die ehemalige Kolonialmacht im Humboldt-Forum nach Riten und Gebräuchen untersucht würde, wie es bei den kolonialisierten Völkern im Museum üblich ist. Die traditionelle westliche Unterscheidung von Kunst und Gebrauchsgegenstand, heiligen und profanen Objekten ist sowieso fraglich. Auf Dauer werden sich auch die geographischen Grenzziehungen aus der Kolonialzeit nicht halten lassen. Sie widersprechen dem Humboldt’schen Denken.

Berlin verzichtet zugunsten des Museums für Europäische Kulturen: Dann kann aus einem Guss gearbeitet werden. Das ist wichtig für den künftigen Intendanten oder die künftige Intendantin des Humboldt Forums. Die Person wird bereits gesucht. Sie soll nach der Eröffnung die Geschäfte übernehmen, Neil MacGregor tritt dann ab. Doch die Zeit nach der Einweihung hat im Grunde schon begonnen. Jetzt werden die Weichen gestellt. Nur einen Haken hat die Sache: Die 4000 Quadratmeter Berlin-Fläche sind nicht für Museumsobjekte ausgelegt. Die Umwidmung erfordert bauliche Veränderungen und lässt die Kosten steigen. Wenn man das angehen will, dann jetzt. Irrtümer nachher zu korrigieren, wird noch viel teurer und bringt noch mehr Verdruss. Und den hatten wir schon.

Zur Startseite