Britische Deutschland-Ausstellung in Berlin: Deutschland - Aber wo ist es?
Willkommensgruß für Neil MacGregor, den britischen Intendanten des Humboldt-Forums: Der Martin-Gropius-Bau holt die Schau „Erinnerungen einer Nation“ nach Berlin.
Zu den Haupteigenschaften der Deutschen werden Fleiß, Gemütlichkeit und Pünktlichkeit gezählt. Außerdem trinken sie gerne Bier. Prototypische Deutsche sind Ingenieure, Untertanen, Forscher, Abenteurer. So weit das Klischee. Vielleicht stimmt aber dies: Am liebsten beschäftigen sich Deutsche mit sich selbst.
Die Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ stammt aus London, wo sie 2014/15 rund 114 000 Besucher gefunden hat. Deutschen Medien gefiel, dass ihr Land dort „ganz anders“ („FAZ“) präsentiert wurde, cool, nicht mehr kriegerisch und endlich aus dem Schatten des Nationalsozialismus herausgetreten. Initiiert worden war das Projekt vom Museumsdirektor Neil MacGregor, der über einige Ausstellungsstücke eine BBC-Hörfunkserie produzierte und ein Buch schrieb, das in Großbritannien wie in Deutschland zum Bestseller wurde. MacGregor lebt inzwischen in Berlin, er leitet als Intendant das im Aufbau befindliche Humboldt-Forum.
Mehr Kutsche als Limousine
Man kann es also auch als leicht verspätetes Willkommensgeschenk verstehen, dass die Deutschland-Ausstellung nun unter der Überschrift „Der britische Blick“ im Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Aufgeboten werden wie bereits in London rund 200 Exponate, allerdings sind 50 davon ausgetauscht worden, weil sie aus konservatorischen Gründen nicht wieder ausgeliehen werden konnten. Das macht aber nichts, denn die Ausstellungsdramaturgie hat sich dadurch nicht verändert. Die meisten Stücke besitzen eher illustrativen Charakter, sie fungieren als Teil einer fortlaufenden Erzählung.
Zunächst erscheint der britische Blick gar nicht so fremd, vieles ist vertraut. Deutsche Ingenieurskunst wird vertreten vom Patent-Motorwagen Nr. I, 1885 entwickelt von Carl Benz und noch eher Kutsche als Limousine. Für den Forscherdrang stehen ein staunenswertes astronomisches Instrument von 1596, das Geräte zur Zeitmessung enthält, aber auch der Weimarer Universalgelehrte Goethe mit seiner Farblehre.
Deutsche – zurück zum Klischee – sind ewige Romantiker, am liebsten träumen sie in freier Natur, wie sie Caspar David Friedrich mit seinem „Fichtendickicht im Schnee“ und Carl Gustav Carus mit den „Dreisteinen im Riesengebirge“ gemalt haben. Darüber prangt ein Goethezitat aus den Tagen nationaler Selbst(er)findung: „Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden.“
Die Antwort: Es steht in einer Vitrine, die einen wachsgolden schimmernden Bernsteinhumpen enthält, entstanden Mitte des 17. Jahrhunderts in Königsberg. „Deutsche und Engländer sind große Biertrinker, das verbindet uns“, sagt Barrie Cook, der sowohl die Londoner als auch die Berliner Ausstellung kuratierte. In Deutschland hat der Durst zuletzt jedoch nachgelassen.
Kant blieb in Königsberg
Königsberg und Ostpreußen gehören nicht mehr zum deutschen Territorium, kommen aber trotzdem in der Schau vor, die sechshundert Jahre zurückgreift. Genauso wie Kafkas Prag, Straßburg oder das Basel des dort gestorbenen Erasmus von Rotterdam. Selbstverständlich ist eine Ausgabe von Kants „Critik der practischen Vernunft“ zu sehen, gedruckt 1788 in Riga. Der Philosoph hat Königsberg und Umgebung niemals verlassen, das heutige deutsche Staatsgebiet nicht betreten. Deutschland, wo liegt es?
Einmal waren die Deutschen, man mag es kaum glauben, das glücklichste Volk der Welt. Die Ausstellung beginnt mit dem Euphoriemoment des 9. Novembers 1989, als mit dem Mauerfall der Kalte Krieg endete und eine neue Normalität begann. Zwei schwarz-rot-goldene Flaggen hängen nebeneinander, die eine zerschlissen und von einem zerzausten Bundesadler bedeckt auf einer Radierung von Georg Baselitz, die andere bunt und zukunftsfroh als landkartenartiges Papptransparent von einer Demonstration im Berliner Lustgarten. Die Parole lautet „Wir sind ein Volk“, und Berlin ist mit einem Herzen markiert. Die Ouvertüre setzt einen optimistischen Ton, herzig strahlend klingt die Grundmelodie der „Erinnerungen einer Nation“ auch weiterhin
{Deutschland-Schau im Gropius-Bau}
Mit seiner Überfülle in der engen Raumfolge erinnert das museale Unternehmen an eine Kunstkammer, mitunter auch an ein Kuriositätenkabinett. Wobei die Qualität der Ausstellungsstücke zwischen Heimatmuseum und Weltklasse schwankt. Tilmann Riemenschneiders Lindenholzrelief „Die Erscheinung Christi vor Maria Magdalena“, das seine Apostel aus London ersetzt, ist ein Höhepunkt deutscher Holzschnittkunst. Manchen Silberpokal oder einen Dreispitz, der Napoleon gehört haben soll, könnte man wohl auch in einem Provinzschloss entdecken.
Daneben leidet die Präsentation an der Überhitzung des musealen Leihverkehrs. Manches Exponat war bereits in einer der derzeit inflationären Ausstellungen zur Reformationsgeschichte zu sehen: Luther-Porträts von Cranach, eine Lutherbibel, Grafiken gegen den „geistlichen Rauffhandel“. Dürers wandfüllende „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.“, aus 195 Druckstöcken zusammengesetzt und handkoloriert, hing auch in der Ausstellung „Dürer & Kentridge“ im Berliner Kupferstichkabinett.
Wie Bilder aus einem Schulbuch
Das mindert nicht den Rang der Stücke, wohl aber das Vergnügen am Rundgang. „Ein paar von diesen Dingen, ein paar von jenen Ideen, das Beste aus Deutschlands Geschichte“, beschreibt Kurator Cook das Konzept. Jedes Ding ist ein Mosaiksteinchen im Nationalpanorama, einer solchen Didaktik unterworfen wirken die Exponate wie Bilder in einem Schulbuch. Überaus pädagogisch wird das Thema „Reich und Nation“ um eine Replik der alten Reichskrone nach Unterkapiteln wie „Das Heilige Römische Reich“, „Die Reichsfürsten“ und „Die Reichsstädte“ abgehandelt. Im Schweinsgalopp geht es zur Gründung des Zweiten Kaiserreichs, vorbei am Gipsabguss eines Pferdekopfes vom Brandenburger Tor und einem Modell des Hermannsdenkmals zum Nationalnippes eines die Einheit schmiedenden Schreibtisch-Bismarcks. Gleich daneben liegt das „Kapital“ von Karl Marx. Für britische Museumsgänger mag das neu, überraschend und spannend gewesen sein.
Interessanter sind Objekte, die gewissermaßen einen doppelten Boden besitzen. Die „Weltallschale“, 1589 in Nürnberg gefertigt, fasst die gesamte Erd- und Himmelsgeschichte in Pokalgröße zusammen. Sie steht aber auch für den frühen Versuch einer Emanzipation, denn sie wurde 1703 von der jüdischen Gemeinde von Halberstadt dem preußischen König geschenkt, als Dank für die Eröffnung einer höheren Schule. Großartig auch die Konfrontation des Goethe- und Bauhaus-Weimars mit einem Lagertor des KZs Buchenwald, das der Häftling Franz Ehrlich, ein Bauhaus-Schüler, mit einem eisernen Motto versah: „Jedem das Seine“. Doch insgesamt ist der Erkenntnisgewinn der Ausstellung gering. Mutiger wäre es gewesen, die Geschichte Großbritanniens nach Berlin zu holen.
Martin-Gropius-Bau, bis 9. 1. Mi–Mo 10 – 19 Uhr. „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ von Neil MacGregor als Begleitbuch (Beck, 2015) kostet 39,90 €.
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