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Das 2016 mit dem Berliner Architekturpreis ausgezeichnete Bauprojekt Spreefeld gehört zu den Beispielen, die im Vitra Design Museum vorgestellt werden.
© Edmund Summer

Der neue Trend in der Architektur: Luxus-WG statt Wohnungsnot

Kollektiv und kuschelig: Das Vitra Design Museum präsentiert die Luxus-WG als mögliche Antwort auf die Wohnungsnot und den demografischen Wandel.

„Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht?“ An diesem Buch schrieb ein gewisser Maximilian Glanz schon in Helmut Dietls Fernsehserie „Der ganz normale Wahnsinn“ von 1979. Drei Jahrzehnte später diagnostiziert der Kunsthistoriker Mateo Kries in dem „diffusen Gefühl“ der „Vereinzelung“ einen maßgeblichen Antrieb zur „stillen Revolution“ in der Architektur. Das Vitra Design Museum, dessen Direktor Kries ist, dokumentiert sie in seiner Ausstellung „Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft“.

Im Unterschied zu Dietl meinen er und seine Kuratoren Mathias Müller, Daniel Niggli sowie Ilka und Andreas Ruby es nämlich ernst. Ironie und andere Formen kritischer Distanzierung sind ihnen fremd. Ihre Fragen sind rhetorischer Natur: „Warum für ein Hotelzimmer zahlen, wenn man auch couchsurfen oder kostenlos die Wohnung tauschen kann?“ Vielleicht weil namentlich Airbnb mit daran schuld ist, wenn sich immer weniger Venezianer den Wohnraum in ihrer Stadt noch leisten können? Weil so die „soziale Bewegung“ der Sharing Economy selbst ihren Teil dazu beiträgt, dass Wohnungen in den Städten immer teurer werden und der Begriff „Immobilienspekulation“ zu kurz greift, um dies zu begründen?

Es hat Gründe, dass Manifeste aus der Mode gekommen sind. Der arg programmatische Charakter von Ausstellung und Katalog fordert die Polemik geradezu heraus. Denn es stimmt: Ja, es geht uns gut. Dem Einzelnen ist das aber keine Hilfe, wenn er eine Stadtwohnung sucht. Und immer mehr Menschen suchen Wohnungen in Städten. Die Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten löst sich (wieder) auf. Die Menschen werden immer älter. Die Zahl an Ein- und Zweipersonenhaushalten steigt. Kleine Wohnungen kosten relativ mehr als große. Und der Wohnungsbau, den die Politik lange schon den privaten Bauträgern überlassen hat, hat an diesen Aspekten keinerlei Interesse – solange der Bedarf der Besserverdienenden nicht gedeckt ist.

Die Schau präsentiert 22 Projekte, die meisten aus Japan und der Schweiz

Die „Together!“-Ausstellung sieht nun die Lösung des Problems in – der Gemeinschaft. Es kann als sicher gelten, dass die Kuratoren Lukas Moodyssons schwedische Kommunen-Komödie „Zusammen!“ aus dem Jahr 2000 nicht gesehen haben. Tatsächlich geht es ihnen um nichts anderes als die gute alte Studenten-WG. Die Revolution besteht darin, dass man nicht erst in der Altbauwohnung zusammenfindet, sondern schon bei der Suche nach Baugrund und Architekt. Und sich jetzt die Putzfrau leisten kann. In der Bau- und Wohngemeinschaft, wie sie womöglich bald schon unsere Städte prägen wird, wenn es nach den Kuratoren geht. Im zweiten Teil der Ausstellung haben sie ihre 22 weltweit verstreuten Projekte, teilweise von bekannten Architekten wie Ryue Nishizawa, zu einer wunderbar rührigen Puppenstubenutopie aus großmaßstäblichen Schnittmodellen arrangiert.

Wie in der Studenten-WG stehen den auf ein Minimum beschränkten privaten Räumen die umso großzügiger bemessenen Gemeinschaftsräume gegenüber. Vor allem die Gemeinschaftsküche. Im dritten Teil hat der Besucher die Möglichkeit, sich durch eine fiktive Wohnung im Maßstab 1:1 zu bewegen. Der Ausblick in die Zukunft fühlt sich in den extrem engen Privaträumen mitunter an wie ein Rückblick auf die vertraute Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Apropos Rückblick: Die Ausstellungsmacher verwenden im ersten Teil ihrer Schau enorm viel Mühe darauf, die lange Traditionslinie des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens zu belegen: von Robert Owens frühsozialistischer Mustersiedlung New Harmony über Monte Verità, den ältesten Kibbuz Degania, die Berliner Hufeisensiedlung und die Kommune1 bis zur Freistadt Christiania. Damit werfen sie die Frage auf, was an der vorgestellten Architektur eigentlich so neu ist? Dass sie nicht allein den Zeitpunkt der Baufertigstellung meinen, stellt schon die Schreibweise im Ausstellungstitel klar: „Neu“ großgeschrieben.

Die Gemeinschaftsküche gab es schon früher. Jetzt ist sie wieder da

Vor allem die Gemeinschaftsküche. Nicht Walter Gropius hat sie mit seinem für die Werkbund-Ausstellung in Paris 1930 konzipierten Wohnhotel erfunden, das unter dem Motto stand: Wohnen wie auf einem Luxusdampfer. Die Gemeinschaftsküche gab es schon im 19. Jahrhundert, ganz real – in Städten wie New York, wo viele Wohnungen nicht mit Küchen ausgestattet waren. Das Verschwinden der Küchen trug zu kollektiven Einrichtungen bei und „förderte die soziale Interaktion zwischen den Bewohnern“, wie es im Katalog heißt.

Dass die sehr wohlhabenden, sehr teuren Länder Schweiz (insgesamt fünfmal) und Japan (sechsmal) bei den 22 vorgestellten Projekten so stark vertreten sind, überrascht nicht. Aus Berlin haben es die Agora Wohnen, die noch nicht gebaut ist, das R50 in der Ritterstraße und das Spreefeld Berlin in die Auswahl geschafft. Vor allem die Gemeinschaftsküche von Spreefeld Berlin fasziniert die Kuratoren, in der Grundnahrungsmittel vom Kollektiv eingekauft und aufgeteilt werden: „Grundlage der Berechnungen ist ein ,Küchenbuch‘, in dem jedes Gruppenmitglied protokolliert, was es konsumiert hat.“ Da wird der Haushalt zur Planwirtschaft.

Und schon sind wir wieder bei der Polemik, beim Spießer in seiner Vereinzelung. Der bei „Kollektiv“ an „Star Trek“ und an Assimilation durch die Borg denkt und vielleicht sogar gerne selber kocht – ja, möglicherweise sogar nur für sich alleine. Der seine WG-Erfahrungen schätzt – und heilfroh ist, sie hinter sich zu haben. Dem man die Angst vor der „Neuen Architektur“ nehmen könnte, wenn man ihm nur verriete, dass gemeinschaftliches Bauen (kostensparend, in der Baugruppe) auch ganz ohne gemeinschaftliches Wohnen möglich ist. Und dass die in den vorgestellten Projekten zu sehende merkwürdige Einheitsästhetik mit Gummibaumtopfarrangement auf Estrichboden, die in der Ausstellungsarchitektur auch noch reproduziert wird, keineswegs verbindlich ist.

Vitra Design Museum, Weil am Rhein, bis 10. September; Katalog 49,90 €.

Von Jens Müller

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