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Leben auf dem Spreefeld bedeutet leben in einer Gemeinschaft. Hier die Küche einer Clusterwohnung, die die elf Bewohner je nach Laune nutzen.
© Mike Wolff

Architekturpreis 2016 - Berlins beste Bauten: Ein Haus für alle Lebenslagen

Das genossenschaftliche Bauprojekt Spreefeld in Mitte zeigt, wie gemeinschaftliches Wohnen aussehen kann.

Als Christian Schöninghs Kinder erwachsen waren, hatte er keine Lust, in einer Wohnung mit verwaisten Kinderzimmern zurückzubleiben. Der 54-Jährige und seine Frau beschlossen, noch einmal eine ganz neue Form des Wohnens zu erkunden. Schöningh, runde Brille, lockige Haare, ist einer von 125 Bewohnern, die in dem genossenschaftlichen Wohnprojekt Spreefeld im Bezirk Mitte eine neue Heimat gefunden haben; ein 7400 Quadratmeter großes Areal mit drei achtgeschossigen Wohnhäusern – direkt an der Spree und der Grenze zu Kreuzberg.

Nebenan liegt die zerfallene ehemalige Eisfabrik mit dem Teepeeland, einer Art Zeltcamp für Aussteiger. Auf dem anderen Grundstück wird gerade das frühere Kater-Holzig-Gebäude saniert. Und auf der anderen Spreeseite entsteht auf dem Holzmarkt-Areal ein Dorf für Kreative. Hier haben die Spreefeld-Bewohner ihre eigene Nische gefunden. 64 Wohneinheiten sind im Juni 2015 fertiggestellt worden; dazu gibt es Gewerbe- sowie nicht kommerziell genutzte Gemeinschaftsräume. Die Erdgeschosse mit hohen Glasfassaden sind für die öffentliche Nutzung bestimmt. Charakteristisch sind außerdem die vielen Balkone.

Clusterwohnungen als Alternative zur Vereinzelung

Schöningh ist nicht nur Bewohner und Genossenschaftsmitglied, sondern auch Ideengeber und Architekt. Sein Büro „die Zusammenarbeiter“ hat das Projekt angestoßen und gemeinsam mit den Carpaneto Architekten, Fatkoehl Architekten und BARarchitekten realisiert. Zwei Anliegen waren ihnen wichtig: „Das Erdgeschoss und der Uferbereich sollten öffentlich und frei zugänglich sein“, erklärt Schöningh. Alleine um die Bedenken der Mediaspree-Gegner ernst zu nehmen. Auf dem Grundstück befand sich vor Baubeginn die Bar „Kiki Blofeld“. Den Sandstrand und die Terrasse der ehemals beliebten Bar können Spaziergänger immer noch nutzen. Im Erdgeschoss befinden sich auch aus dem Grund keine Wohnräume. Hinter einer Fensterfront sieht man Kinder in einer Kita toben, es gibt mehrere Büros, ein Tonstudio und eine Galerie. Zu jedem Haus gehört ein „Optionsraum“, der nach Bedarf genutzt werden kann, zum Beispiel als Werkstatt, Versammlungs- oder Gymnastikraum.

Wohnen am Wasser. Die Dachterrassen und die vielen Balkone sind charakteristisch für das Wohnprojekt Spreefeld.
Wohnen am Wasser. Die Dachterrassen und die vielen Balkone sind charakteristisch für das Wohnprojekt Spreefeld.
© Mike Wolff

Der weitere Anspruch war, eine neue Form des gemeinschaftlichen Wohnens zu entwickeln, oder wie es Schöningh nennt: „der Vereinzelung in unserer Gesellschaft“, etwas entgegenzusetzen. Die Architekten des Spreefeld-Projekts wollten weg vom Küche-Zimmer-Bad- Schema hinter abgeschlossenen Türen. Daraus entstand die Idee für Clusterwohnungen: Sie verbinden mehrere unterschiedlich große Miniapartments. Jedes Apartment verfügt über eine kleine Küche und ein eigenes Bad. Zusätzlich aber gibt es eine etwa 150 Quadratmeter große Gemeinschaftsfläche – mit einem großen Koch-, Wohn- und Essbereich.

In einer solchen Clusterwohnung, von denen es drei gibt, lebt auch Christian Schöningh mit seiner Frau und neun weiteren Personen. Manche sind alleine eingezogen, ein Paar mit seinem 16-jährigen Sohn ist dabei, der Älteste ist 74. Die Wohnküche hat helle Fliesen und bodentiefe Fenster. In der Mitte ein Kochfeld, daneben ein langer Holztisch mit vielen Stühlen. An einer Wand aus Sichtbeton hängen Regale mit Geschirr und Kochbüchern. Die Möbel hätten sie gemeinsam zusammengetragen, sagt Schöningh. Man kann sich gut vorstellen, wie alle elf hier zu Abend essen, auf dem großen Sofa sitzen oder im Sommer ihre Liegestühle auf dem Balkon ausklappen.

Auch Personen ohne Eigenkapital konnten Anteilseigner werden

„Seid ihr eine Kommune?“, würden sie manchmal gefragt. Der Vergleich mit einer Wohngemeinschaft sei passender, findet Schöningh. Aber eine normale WG, wie man sie aus Studentenzeiten kennt, sei es eben nicht. Denn jeder Bewohner kann sich jederzeit in seinen privaten Bereich zurückziehen. Dort hat man dann zum Beispiel 36 oder 50 Quadratmeter ganz für sich alleine.

Das Modell sei gut geeignet für Singles, Alleinerziehende oder Menschen, die fürs Alter vorsorgen und dann nicht alleine sein möchten, sagt Schöningh. Doch es gab auch ganz andere Interessenten. Im Nebenhaus leben mehrere junge Familien mit Kindern zusammen. In einer anderen Wohnung zwei Rollstuhlfahrer mit einem Pfleger.

Im Erdgeschoss gibt es Gemeinschafts- und Hobbyräume, die jeder Bewohner nutzen darf.
Im Erdgeschoss gibt es Gemeinschafts- und Hobbyräume, die jeder Bewohner nutzen darf.
© Mike Wolff

Klar, man müsse sich gut verstehen und der Typ dafür sein. Schöningh und seine Mitbewohner kannten sich und wussten, worauf sie sich einlassen. Eine andere Wohngemeinschaft hat dagegen monatelang gecastet. „Die sind zusammen aufs Land gefahren, um sich wirklich sicher zu sein.“ Probleme mit Brotkrümeln oder schmutzigem Geschirr kennt Schöningh nicht – es kommt jemand zum Putzen. „Man lernt sich kennen und zu respektieren". Nur eine Bewohnerin habe so viel Nähe nicht ertragen und sei wieder ausgezogen.

Doch die Clusterwohnungen sind nur eine Möglichkeit. Es gibt auch ganz normale Wohnungen. Trotzdem bekommt man jede Menge Gemeinschafts-Feeling dazu. Als Ersatz für die fehlende Gartenfläche gibt es großzügige Balkone sowie gemeinsam genutzte Dachterrassen, dazu einen Waschsalon, Hobbyräume sowie die drei Optionsräume zum Werkeln, Essen und Sporttreiben. Im Bootshaus am Ufer können Partys gefeiert werden.

Ein Vorteil des genossenschaftlichen Bauens ist, dass auch Personen ohne Eigenkapital Anteilseigner werden konnten. Die Genossenschaft bürgt für die Privatdarlehen. Bezahlt werden muss auch eine monatliche Miete, die mit etwa vier bis sechs Euro pro Quadratmeter sehr niedrig ist. „Es gibt alle möglichen Alters- und Einkommensgruppen hier und keine Schublade, in die man uns stecken kann“, sagt Schöningh. Wie sich die Mischung aus Gemeinschaft und Privatheit künftig entwickeln wird, wird die Zukunft zeigen. Vieles ist eben ein Experiment, bei dem die Bewohner selbst gespannt sind, was alles noch kommt.

Weitere Kandidaten für den Architekturpreis Berlin 2016 finden Sie hier.

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