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Martin-Gropius-Bau: Der Schwung des Jahrhunderts

Eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau feiert den Künstler-Architekten Le Corbusier.

Ein Jahrhundertkünstler wird ausgestellt: Das ist ein Prädikat, das nur wenigen gebührt. Am Werk von Le Corbusier lässt sich perfekt studieren, was solche ganze Zeitalter prägenden Figuren charakterisiert. Mit ihrem Schaffen überspannen sie Dezennien, und sie betätigen sich universal. Le Corbusiers Arbeiten erstrecken sich von den zehner Jahren, als der unbekannte Schweizer mit dem bürgerlichen Namen Charles-Édouard Jeanneret noch als Uhrenziseleur tätig war, bis in die jüngste Gegenwart. Erst vor drei Jahren wurde seine Kirche im französischen Firminy fertiggestellt, über deren Vollendung er Mitte der Sechziger verstarb.

Bis heute ist Le Corbusier die prägende Figur in der Architektur der Moderne. Vier Jahrzehnte nach seinem Tod erfährt er zudem neue Popularität, so umstritten viele seiner Entwürfe auch waren. Der Holländer Rem Kohlhaas oder das Schweizer Duo Herzog & de Meuron, bei denen ähnliche schwungvolle Formen und Materialien zu erkennen sind wie in Le Corbusiers Bauten, beziehen sich auf ihn. Wie kaum ein anderer drückte er dem Berufsbild des Architekten seinen Stempel auf, indem er die Selbststilisierung kultivierte und stets mit Fliege und schwarzer runder Brille auftrat – längst ein Markenzeichen der Zunft.

Le Corbusier warf auch als erster die Veröffentlichungsmaschinerie in eigener Sache an, indem er immer wieder über sein eigenes Werk schrieb (40 Bücher stammen von ihm) und damit auch deren künftige Wahrnehmung zu prägen suchte. Die Verbreitung des eigenen Werks und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit gehört seitdem zum Selbstverständnis jedes ambitionierten Architektenbüros. Wenn heute die Bautätigkeit einzelner Stars in Dubai bis Shenzen bewundert wird, so hat Le Corbusier auch dies vorgemacht. Als erster global player der Architektur brach er zu Vortragsreisen nach Südamerika und in die Vereinigten Staaten auf, legte im indischen Chandigarh ein ganzes Regierungsviertel an, erfand Algier städteplanerisch neu und entwarf in Moskau das Zentralgebäude der Konsumgenossenschaft für 30 000 Angestellte.

Nun wird Le Corbusier knapp zwanzig Jahre nach der letzten Retrospektive – damals im Pariser Centre Pompidou und in der Londoner Hayward Gallery – wieder eine große Ausstellung gewidmet, und noch immer sind neue Facetten zu entdecken. Jede Generation hat ihren eigenen Blick auf ihn, jeder Ort seine besondere Perspektive. An der fünften und letzten Station der Ausstellungstournee, die vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein über Rotterdam nach Berlin führte, werden die Bezüge zu Deutschland vorstellt, insbesondere zu Berlin selbst.

Was bisher wenig bekannt war und von dem bei Genf aufgewachsenen Schweizer, der seit seinem Umzug 1917 nach Paris sein romanisches Erbe betonte, auch gerne heruntergespielt: Le Corbusiers Laufbahn begann in Berlin. Hier arbeitete er für ein halbes Jahr im Winter 1910/11 im Büro von Peter Behrens, nachdem er während einer Studienreise zum Kennenlernen des Werkbunds bereits im Sommer zuvor in der Stadt geweilt hatte.

Ein Foto zeigt den jungen Mann im April 1911 in seinem möblierten Zimmer in Berlin-Neubabelsberg. Diese überbordende Fülle an Möbeln, Deckchen, Vorhängen wird man bei ihm fortan nicht mehr erleben. Am Ende des Berlin-Aufenthalts, der ihn auch in den Martin-Gropius-Bau, das damalige Kunstgewerbemuseum, geführt haben dürfte, entstand seine erste Publikation. Das nun von Ausstellungskurator Mateo Kries wieder aufgelegte Buch thematisiert die deutsche Kunstgewerbebewegung (Verlag Vitra Design Museum, 224 Seiten, 48,50 €).

Mehr noch wiegt die ästhetische Prägung. In Le Corbusiers Werk hielten die geraden Linien und die weiße Farbe Einzug, wie sich an den bald entstehenden Villen zeigt. In Berlin wurde durch die Begegnung mit Bruno Paul und Peter Behrens der Grundstein für die berühmten späteren „Wohnmaschinen“ gelegt, von denen auch in Berlin 1957 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung ein Exemplar errichtet wurde.

Obwohl der Architekt unzufrieden mit der Ausführung seiner Unité d’Habitation in Charlottenburg war – die vorgesehene Deckenhöhe von 2,26 Metern nach dem von ihm entwickelten Modulor-Maß wurde auf 2,50 Meter heraufgesetzt, die sozialen Einrichtungen wie Ladenpassage und Dachterrasse fielen dagegen aus Ersparnisgründen weg –, nahm er doch ein Jahr später auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt an einem städtebaulichen Wettbewerb teil. Der Senat wollte Ideen für den Fall der Wiedervereinigung.

Ein wenig erinnert Le Corbusiers Entwurf an den spektakulären „Plan Voisin“, bei dem er 1925 die Pariser Innenstadt mit 80 Hochhäusern bepflanzen wollte, durchquert von einer mehrspurigen Autotrasse – in Berlin die Straße des 17. Juni. In Paris hatte man mit einem Aufschrei reagiert, der radikale Schweizer war sofort ein bekannter Mann. Allein die Idee dieses Gewaltakts gegen die gewachsene Stadt trug ihm dauerhaft den Ruf des menschenverachtenden Rationalisten ein. Mit dem Abstand mehrerer Jahrzehnte, nicht zuletzt an der Berliner Variante, lässt sich jedoch auch die utopische Qualität ablesen.

Le Corbusier war stets seiner Zeit voraus, wie auch der für Philips erbaute Multimedia-Pavillon auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel zeigt. Der Gropius-Bau präsentiert ein kleinere Version, die durch ihre Kühnheit noch immer erstaunt. Die Wände sind zum Schwingen gebracht, zu steilen Spitzen hochgetrieben. Im Inneren rauscht ein Bilderreigen vorbei, klingt und singt es.

Wie naturverbunden der Architekt trotz seiner Technikbegeisterung und futuristischen Bauweise war, lassen die Gemälde und Skulpturen erahnen. Bislang war kaum bekannt, wie umfassend sich Le Corbusier selbst als Universalkünstler verstand, als Maler und Bildhauer wie als Baumeister. Animiert von Amédée Ozenfant, mit dem er den Purismus erfand, inspiriert von Picasso und Fernand Léger, dominieren in seiner freien Kunst vornehmlich organoide Formen.

Le Corbusier war ein leidenschaftlicher Sammler von Kunsthandwerk, davon zeugen seine von vielen Reisen mitgebrachten Krüge und Figurinen. Er holte sich bei seinen Fundstücken, bei Muscheln und Wurzelwerk, außerdem wichtige Anregungen, die auch im architektonischen Spätwerk wiederkehren.

So fern Le Corbusier mit seinen gewaltigen Bauten den Menschen scheint, so nahe wollte er ihnen doch sein, um deren Alltag lebenswerter zu machen. Auch dies zeichnet den Jahrhundertkünstler aus: Dass er nicht weniger als die Welt neu erfinden will und sich dieser Welt doch entzieht, durch die schiere Größe seiner Visionen.

Martin-Gropius-Bau, bis 5. Oktober; täglich 10 - 20 Uhr. Katalog 79,90 €. Podiumsdiskussion am 8. 7., 17 Uhr.

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