Grönemeyer in Berlin: Lustbetonter Widerstand
Keinen Millimeter nach rechts: Herbert Grönemeyers hübsch abwechslungsreicher Auftritt in der Berliner Benz-Arena.
Der Witz über den nie fertig werdenden Flughafen hat natürlich einen langen Bart. Doch an diesem Abend in der Benz-Arena darf der ewig lang sein, es ist egal, es spielt keine Rolle. Also kündigt Herbert Grönemeyer bei den Zugaben seinen Uralt-Hit „Flugzeuge im Bauch“ mit den Worten an, jetzt komme ein Lied über Schönefeld, „das spielen wir so lange, bis der Flughafen endlich fertig ist“, und die Halle jubelt und freut sich und singt Zeile für Zeile mit.
Grönemeyer hatte bereits vorher mehrmals darauf hingewiesen, dass er hier in Berlin ja ein Heimspiel habe, er schließlich schon fast ein Vierteljahrhundert in der Stadt lebe. Da zieht er dann die Vokale in „Berlin“ auseinander, um Dank für die Zuneigung seines Publikums auszudrücken, „Beeeeerliiiiin“, „Beeeerliiiiin“, „ihr seid einfach klasse“, klar. Oder er weist daraufhin, letztendlich doch nur "zugereist", Wahlberliner zu sein, um dann mit dem türkischstämmigen Rapper Berkan Akbiyik alias BRKN einen „waschechten“ Berliner an seine Seite zu holen und mit dem das Stück „Doppelherz/Iki Gönlum“ zu singen. Dieses ist mit ein paar orientalischen Soundsprengseln und Breakbeats sowie Zeilen wie „In jedem schlägt ein Doppelherz/einmal hier und dann da zuhause/Der Kopf fliegt schon mal voraus/Der Atem bekommt seine Pause.“ auf Grönemeyers im November des vergangenen Jahres veröffentlichten Album „Tumult“ eines der zentralen, einer multikulturellen Gesellschaft das Wort redenden Stücke.
Doch man kann davon ausgehen, dass Grönemeyer in jeder Stadt der Republik sein Publikum zu umgarnen weiß, ganz ohne Berlin-Bezüge, dafür dann mit Kiel- oder Bochum-Verweisen. Eigentlich muss er das sowieso nicht: Es kommt sowieso in großer Zahl, gut 17.000 sind es an diesem Abend, es kommt immer wieder, es liebt den 62-jährigen wie kaum einen zweiten Musiker oder eine zweite Musikerin aus Deutschland. Was daran liegt, dass Herbert Grönemeyer irgendwie immer da ist, „Dauernd jetzt“ gewissermaßen, wie sein 2015er-Album heißt, er eine Konstante bedeutet, gerade „in Zeiten wie diesen“, wie er ziemlich am Anfang seiner Show sagt, in Zeiten, in denen es heiße, „Haltung zu beziehen“.
Grönemeyer mischt alte Hits mit den neuen Songs von "Tumult"
Das tut Grönemeyer mehr denn je. Er ist inzwischen eine Art Gewissen der Nation, des liberalen Mittelschicht-Deutschlands geworden: der gute, wacker Stellung beziehende Popstar aus der Mitte des Landes. Auf „Tumult“ präsentiert er sich als Mahner und Warner, singt er gegen Populismus und das Kokettieren mit rechtem Gedankengut an: „Es bräunt die Wut, es dünkelt/der kleine Mob macht rein/Es ist die Angst, die glaubt/sauber muss es sein.“
Es zeichnet Herbert Grönmeyer aus, dass er aus seinen Konzerten keine politischen Demonstrationen macht. Seine Sendung bringt er wohl dosiert an sein Publikum. Ansonsten konzentriert er sich darauf, mit seiner achtköpfigen Band einen abwechslungsreichen Auftritt abzuliefern: mal ganz öde deutschrockig mit seinen beiden Gitarristen und dem Bassisten vorn auf dem Steg mitten im Publikum, mal allein am Klavier, dann wieder in einer Reihe mit der Keyboard-, Percussion- und Schlagzeug-Sektion.
Immer wieder geht es um "Haltung".
So geht es erstmal mit diversen Stücken von „Tumult“ los, mit „Sekundenglück“, das sofort alle von ihren Sitzen im weiten Rund erheben lässt , mit „Bist du da“ und „Und immer“. Danach kommt auch schon ein Block mit Gassenhauern. Mit Stücken, die Grönemeyer noch singen wird, wenn der Berliner Flughafen lange fertig ist: „Bochum“, „Männer“ und „Was soll das“, Songs, die er und seine Band in mal jazzigeren (mit nervigem Saxophon), mal rockigeren Versionen performen. Hatte er zu Beginn davon gesprochen, dass „der Widerstand lustbetont“ sein solle, was angesichts seiner Aufgezogenheit etwas Drolliges hat, hält er schließlich vor „Im Fall der Fälle“ eine kleine Ansprache.
Er fordert zum Nachdenken über eigene Positionen aus, mündend in dem Aufruf, nicht „einen Millimeter nach rechts“ zu rücken, so wie es auch in dem Stück heißt. Nicht anders vor „Roter Mond“, da weist Grönemeyer auf die täglichen Tragödien der aus Afrika Flüchtenden im Mittelmeer hin. Danach dann: „Alkohol“, auf dass die Stimmung bitte ja nicht zu trübe werde.
Grönemeyer kokettiert gern mit seinen Unzulänglichkeiten
Doch, Grönemeyer, ist ein Meister der Dramaturgie. Wenn gleich er ohne Unterlass zackig wie ein moderner Napoleon auf der Bühne herumturnt in seinem inzwischen auch schon notorischen schwarzen Outfit (Sakko, Jeans, T-Shirt) mit weißen Turnschuhen, dabei immer wieder mit den kurzen Armen wedelnd, sie in die Höhe streckend, das Publikum zum Mitmachen animierend. Das hat immer auch was Verdruckstes, so als käme er nicht richtig raus aus seinem Sakko.
Aber diese Verdruckstheit passt, sie macht ihn für viele so sympathisch, ganz nach dem Motto: Herbert kann nicht tanzen, macht es aber trotzdem, er ist eben einer von uns, ein guter Mensch, der singt und lacht und nachdenkt. Seine professionelle Selbstironie („Das machst du schon ganz gut für dein Alter“) kommt wie üblich gut an, das nervige Kokettieren mit den eigenen Unzulänglichkeiten. Auch sein tausendster Verweis „auf den schönsten Song, den ich je geschrieben“, auf „Meine Lebensstrahlen“, goutiert das Publikum, selbst mit gleichfalls überflüssigen Nachsätzen wie „Das Lied kann noch wachsen, das hat Potential“.
Am Ende, das Konzert dauert bereits weit über zwei Stunden, spielt er am Klavier „Der Weg“, das Requiem auf seine 1998 verstorbene Frau. Die Feuerzeuge gehen an, der Trennungsschmerz setzt ein. Aber für Berlin geht es am 3. und 4. September schon wieder in der Waldbühne weiter. Bei Herbert Grönemeyer ist schließlich immer dauernd jetzt.
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