Herbert Grönemeyers Album "Tumult": Das Leben ist bretthart
Herbert Grönemeyer bezieht Stellung gegen die braune Wut: "Tumult“, sein 15. Studioalbum in vierzig Jahren, ist sein bislang politischstes.
Vor langer, langer Zeit lag einmal ein Lächeln über diesem Land. Und ein junger Mann mit zackigem Seitenscheitel und unüberhörbarem Ruhrpott-Zungenschlag besang die zwanghafte Heiterkeit, ein Grinsen, das „unerträglich ignorant“ war. Gemeint war Helmut Kohl, der ewige Kanzler der alten Bundesrepublik. Dreißig Jahre später ist das Lächeln weg, über dem neuen Deutschland liegen derzeit eher Hass, Verspannung und Angst. Nur der Sänger ist immer noch da, jetzt mit dünner gewordenem Haar und dicker Intellektuellenbrille.
„Die Frage ist: Wie rücken wir zusammen in so einer Phase, wie zeigen wir gegen die Rechten klare Kante?“, fragt Herbert Grönemeyer, 62, als er in der Nacht zum Mittwoch in der Bar eines Luxushotels am Rande des Berliner Tiergartens sein Album „Tumult“ vorstellt, das am Freitag herauskommt. Eine Antwort hat er auch: „Wir stehen fest zusammen, damit hat es sich. Egal, ob linksliberal oder wertkonservativ, jeder ist gefragt, sich zu engagieren.“ Und dann spricht er von den 240 000 Menschen, die bei der von ihm mitorganisierten „Unteilbar“-Demonstration in Berlin zusammengekommen waren. Wir sind mehr als die, so viel steht fest.
Selbstironie und Gelassenheit
Aber Grönemeyer wäre nicht der Herbert, Deutschlands erfolgreichster und beliebtester Popstar, wenn er bloß politisieren und nicht auch rumalbern würde. Selbstironisch war er schon immer, aber die Gelassenheit scheint mit den Jahren größer geworden zu sein. So erzählt der in Göttingen geborene und in Bochum aufgewachsene Musiker, der seinen Hauptwohnsitz vor neun Jahren von London nach Berlin verlegt hat, auch bereitwillig Dönekes in eigener Sache. Etwa über seine göttergleichen körperlichen Fähigkeiten. Die Leute würden schließlich nicht wegen seiner Songs oder seine Stimmer in die stets ausverkauften Konzerte strömen. Sondern, um ihn tanzen zu sehen. Demnächst will er im Ruhrgebiet mehrere Tanzschulen eröffnen, in Waltrop und in Bottrop, „also in den Tropen“.
Über seine nachlassende Sehkraft spricht er auch. Endlich darf er eine Brille tragen und sieht damit gleich viel klüger aus. Einmal hat der Optiker ihm sogar ein Modell aufgesetzt, das „Herbert“ heißt. „Das war aber leider nicht nach mir benannt.“ Grönemeyer grinst. Ein Lächeln liegt über diesem Saal.
„Tumult“, Grönemeyers 15. Studioalbum in vierzig Jahren, ist sein bisher politischstes. Hatte er auf der epochalen Platte „Mensch“ (2002), die mit mehr als drei Millionen verkauften Exemplaren sein bislang kommerziell erfolgreichstes ist, noch den Tod seiner Frau und seines Bruders verarbeitet und zuletzt mit „Dauernd Jetzt“ (2014) eine neue Liebe und ein neues Leben gefeiert, wendet er sich nun wieder den drängenden gesellschaftlichen Problemen zu. Heraus aus dem „Eitelturm aus Elfenbein“, wie es an einer Stelle heißt, und hinein in den Debattenkrieg der Gegenwart.
Lärmendes Durcheinander
„Tumult“ steht laut „Duden“ für ein „verwirrendes, lärmendes Durcheinander aufgeregter Menschen“. Grönemeyer will Orientierung geben und bezieht Stellung. „Bist du da, wenn zu viel Gestern droht / Wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen“, fragt er in „Bist du da“, einer elegisch beginnenden, zum Refrain hin wuchtig anschwellenden Synthierockhymne. Verrohung, das ist die Botschaft, lässt sich nur mit Hartnäckigkeit schlagen. Gegen die Rattenfängerei populistischer Parolen errichtet der Sänger „Herzensbarrikaden“.
Grönemeyer hängt Assoziationsketten aneinander, seine Metaphern wechseln zwischen poetischer Mehrdeutigkeit und beinahe tagesaktuellen Slogans. Manchmal wirkt er ratlos. In „Fall der Fälle“, einer der schönsten Balladen des Albums, beschreibt er zu Akustikgitarrenakkorden und einem dunkel bebender Herzschlagbass eine entgleisende Wirklichkeit, die einem Albtraum gleicht: „Es bräunt die Wut, es dünkelt / der kleine Mob macht rein / Es ist die Angst, die glaubt / sauber muss es sein.“
Es geht um die Rückkehr einer für überwunden gehaltenen Vergangenheit, einen Virus, „der sich in die Gehirne fräst“. Dagegen hilft nur Widerstand und die von einem Soulchor und Handclaps unterlegte Erkenntnis: „Verständnis ist nicht schlecht / aber keinen Millimeter nach rechts.“
Deutsch-türkisches Duett
Die aktuelle Singleauskopplung „Doppelherz / Iki Gönlüm“ fusioniert Dancehallbläser, orientalische Rhythmen und elektronische Breakbeats. Im deutsch-türkischen Duett mit dem Berliner Rapper Andac Berkan Akbiyik, der sich BRKN nennt, ruft Grönemeyer zu Toleranz und Offenheit auf: „In jedem schlägt ein Doppelherz / einmal hier und dann da zuhause / Der Kopf fliegt schon mal voraus / Der Atem bekommt seine Pause.“
Heimat braucht keine Grenzen. Ein Plädoyer für Tapetenwechsel und das Wegtanzen von Vorurteilen, bei dem das Tempo zwischendurch auf Scooter-haftes Techno-Tempo hochgepitcht wird. „La Bonifica“ erzählt in melancholischem Moll vom Schicksal einer Geflüchteten, die von der Freiheit in Europa geträumt hat und doch nur auf der „Strada di Amore“ landet, dem Straßenstrich irgendwo im italienischen Hinterland. Einige Kilometer östlich „fließt ganz seelenruhig die Adria“.
Grönemeyer zweifelt, auch an sich selbst. „Warum“ heißt der stillste Song der Platte, eine sanft anschwellende Introspektion zu sparsamen Gitarren- und Klavierakkorden. „Fragst du dich auch / Wenn dein Herz davonläuft / Fragst du dich auch, wenn der Boden sich verzieht / Ob du verkehrt bist?“ Du und ich fallen hier in eins, es ist eine Selbstbefragung. „Bretthart“ ist das Leben, das Glück bleibt „stets hinter Gittern“.
Retten kann einen nur die Liebe und das Leben. „Sekundenglück“, die erste, bereits im September erschienene Single, ist eine Ode auf die Momente, in denen das Herz „überschwappt“ und das Sentiment einen „überschwemmt“. Und „Mein Lebensstrahlen“, eine elektronische Ballade mit sanften Beats, handelt vom irrwitzigsten aller Gefühle, der Liebe: „Keine umarmt wie du / Du lässt mich endlos treiben.“
Fremde werden Freunde
„Lebensstrahlen“, sagt Grönemeyer, ist der Song aus dem Album, mit dem er sich schon am meisten angefreundet hat. Mit den anderen Stücken fremdelt er noch etwas, das hat er gemerkt, als er sie alle vor der Pressekonferenz noch einmal konzentriert gehört hat. Entspannt und mit etwas Abstand. Denn zufrieden mit einer Musik ist er nie sofort. „Man wird immer kritischer, wenn man älter wird“, weiß er. Was er vom Vorwurf hält, zu gefühlig, zu sentimental zu sein? „Meine Musik ist sehr gefühlsstark und sehr melodisch“, sagt der Sänger. „Die Texte müssen das brechen.“
Von „nervösen Zeiten“ spricht Grönemeyer und von rechten Populisten, die die Nervosität nutzen, um zu spalten und zu hetzen. Aber er bleibt zuversichtlich. Der letzte Song von „Tumult“ hat einen optimistischen Titel: „Mut“.
„Tumult“ von Herbert Grönemeyer erscheint am Freitag bei Universal. Die Tour beginnt im März 2019, die Berliner Konzerte finden am 7. März in der Mercedes-Benz-Arena sowie am 3. und 4. September in der Waldbühne statt.
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