Preise für Stanišić und Handke: Literatur kann nicht unpolitisch sein
In seiner Rede zum Deutschen Buchpreis empört sich Saša Stanišić über Nobelpreisgewinner Peter Handke. Zu Recht! Ein Kommentar.
Schon länger versteht sich die Frankfurter Buchmesse, die am heutigen Dienstag eröffnet wird, als ein Ort für „Ideen, die die Welt bewegen“, wie es auf ihrer Website heißt, „als internationale Plattform für Kultur und Politik“. Dabei konnte man in den vergangenen Jahren beobachten, dass die Plattform für das Politische auch von Rechten genutzt wurde und die Frankfurter Buchmesse genau wie die Messe in Leipzig im Umgang mit diesen nicht die glücklichste, die souveränste Figur machte.
Fast ein Segen ist es da, dass in diesem Jahr das Politische direkt aus dem Innern der Literatur ins Messegeschehen herüberschwingt. Der Schriftsteller Saša Stanišić, der am Montagabend den Deutschen Buchpreis für sein Buch „Herkunft“ verliehen bekam, ließ seiner Empörung über den Literaturnobelpreis an Peter Handke freien Lauf.
Er hielt eine bewegende und eindeutig scharfe Rede gegen den Schriftsteller, der in den Neunzigern für den serbischen Menschenschlächter Milosevic Partei ergriff. Der auf dessen Beerdigung war, der die Aggression und das Morden der Serben in seinen Jugoslawien-Büchern weiträumig ausblendete.
Wer, wenn nicht Stanišić, der im Alter von 14 Jahren vor den Serben flüchten musste, der dem entkam, „was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt“, wie er am Montag sagte, ist prädestinierter dafür, als Handke zu kritisieren? Ihn in Bausch und Bogen zu verdammen für seine Haltung von damals, und damit auch die Literaturnobelpreis-Jury?
Als eminent politisch wurde diese Vergabe der Literaturnobelpreise an Olga Tokarczuk und Peter Handke vielerseits kommentiert, so wie jetzt auch die des Booker-Preises an gleich zwei Schriftstellerinnen, Margaret Atwood und Bernardine Evaristo, letztere gar die erste schwarze Frau, die überhaupt diesen Preis gewinnt. Naiv war es dabei gerade von der Literaturnobelpreis-Jury, ihre Entscheidung als werkimmanente verstehen zu wollen: Literatur kann gar nicht unpolitisch sein, bloß Kunst um der Kunst willen. Sie bewegt sich in Sprache und Form und erst recht in der Person ihres Verfassers, ihrer Verfasserin in einem politischen Raum.
Genug Autoren wären politisch weniger fragwürdig gewesen
Bei der aus Polen stammenden Olga Tokarczuk ist das exemplarisch: In ihren Büchern lassen sich direkte politische Bezüge nur über Umwege ausmachen. Als Kommentatorin und Essayistin hat sie in ihrer Heimat jedoch politisch Verantwortung übernommen und klar gegen die antidemokratischen Vorgänge in Polen Stellung bezogen.
Man muss nun jemand wie Peter Handke gerade wegen seiner Jugoslawien-Verfehlungen nicht den Literaturnobelpreis verleihen, es gibt genug andere Autoren und Autorinnen, die politisch weniger fragwürdig sind. Doch wie hält man es mit seinen restlichen Büchern, wie belastet sind diese durch den Einsatz damals für die Serben?
Die Literatur und die Kunst kennen viele solcher Werke, in denen noch das vermeintlich Unpolitischste darin beschädigt wurde durch zwiespältige politische Einstellungen und Parteinahmen ihrer Urheber und Urheberinnen. Man denke an die Bilder von Emil Nolde oder an die Bücher des französischen Schriftstellers Céline, beide heftige Antisemiten.
Es gibt keine unpolitische Literatur mehr
In politisch aufgeladenen Zeiten stellt sich die Frage nach der richtigen Lektüre verstärkt, auch der Preiswürdigkeit von Autoren. Wie ist jetzt mit den Büchern von Kamila Shamsie? Der pakistanisch-britischen Booker-Preisträgerin wurde gerade der Nelly-Sachs-Preis aberkannt, weil sie sich zum propalästinensischen, aber antisemitischen BDS bekennt.
Auch Norwegen, das Gastland der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr, tut sich schwer mit einem seiner drei Literaturnobelpreisträger, mit Knut Hamsun. Der war ein glühender Nazi, hatte noch einen flammenden Nachruf auf Adolf Hitler geschrieben, wird andererseits aber immer wieder aus berufenem Mund als der größte Schriftsteller bezeichnet, den Norwegen je hatte. Man liest ihn, mal offen begeistert, mal verschämt - ist aber weit davon entfernt, stolz auf ihn zu sein. Weder sind Plätze oder Straßen nach ihm benannt noch ist sein letztes Wohnhaus eine literarische Pilgerstätte.
Kunst und Politik lassen sich weniger denn je auseinanderdividieren. Eine unpolitische Kunst oder Literatur gibt es selbst dann nicht mehr, wenn sie das inhaltlich verweigert.