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Der in Hamburg lebende Schriftsteller Saša Stanišić, 41
© Andreas Arnold/dpa

Deutscher Buchpreis für Saša Stanišić: Mit Geschichten der Wahrheit auf der Spur

Saša Stanišić gewinnt den Deutschen Buchpreis für sein Buch „Herkunft“ - und hält eine bewegende Rede gegen den Literaturnobelpreis für Peter Handke.

Es dürfte die einerseits politischste, andererseits bewegendste Rede gewesen sein, die ein Gewinner oder eine Gewinnerin des Deutschen Buchpreises je hielt, die längste darüber hinaus.

Saša Stanišić hat am Montagabend im Frankfurter Römer den Deutschen Buchpreis des Jahres 2019 für sein Buch „Herkunft“ bekommen, für ein Buch, in dem er von seiner jugoslawischen Herkunft, seiner Großmutter und von seiner Ankunft in Deutschland erzählt, wohin er 1992 aus seiner bosnischen Geburtsstadt Višegrad im Alter von 14 Jahren wegen der serbischen Aggression flüchten musste.

Und Saša Stanišić sagte nicht einfach nur „Danke“ an alle, die ihn unterstützt haben, wie das so üblich ist (auch das machte er, aber erst ganz am Ende), er beließ es nicht bei dem Hinweis, sich schon sehr zu freuen und dass er wegen einer Schilddrüsenentzündung unter höchsten Ibuprofen-Dosen stehe.

Saša Stanišić bezichtigte Peter Handke der Lüge

Sondern er öffnete den gleichermaßen literarischen wie politischen Raum und bezog sich auf die vor ein paar Tagen in Stockholm bekannt gegebene Entscheidung der Schwedischen Akademie, den Literaturnobelpreis des Jahres 2019 an Peter Handke zu verleihen, und sprach von seiner Erschütterung darüber.

Saša Stanišić hatte sich mit seiner Familie in Schutz bringen müssen vor den Serben, die von Handke wiederum in Schutz genommen worden waren, für die Handke Gerechtigkeit eingefordert hatte, nicht zuletzt in seinen Jugoslawienbüchern – und Saša Stanišić nutzte die Gelegenheit, Handke der Lüge zu bezichtigen, nicht die Wahrheit zu sagen, als er in einem seiner Bücher schrieb, „Milizen, die barfuß durch die Straßen laufen“, könnten keine Mörder sein.

„Dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht, das soll Literatur eigentlich nicht.“

Und er fügte unter anderem an, sich auf die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk beziehend, die am selben Tag wie Handke den ausgesetzten Literaturnobelpreis des Jahres 2018 zugesprochen bekommen hatte: „Ich feiere die anderen 50 Prozent Literatur, die nicht zynisch ist und uns Leser für dumm verkauft, in dem sie Lüge als Poesie verkauft.“

Es zeichnet Saša Stanišić aus, dass er in seiner Literatur, gerade in „Herkunft“, sehr wohl zu trennen weiß zwischen dem, wie es war, vor allem bezüglich seiner Ankunft in Deutschland und den damit verbundenen Erlebnissen, und dem, wie es sein könnte oder hätte sein können, was wiederum seine an Demenz erkrankte Großmutter anbetrifft.

„Herkunft“ zieht auch formal viele Register

Stanišić ist ein genuiner Geschichtenerzähler, er versucht, der Wahrheit mittels Geschichten auf die Spur zu kommen, und er ist, so hat es die Jury nach ihrer wohl besten aller bisherigen Entscheidungen nach den Longlist- und Shortlistnominierungen formuliert, „ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut.“ Und deshalb hat er in „Herkunft“ auch formal viele Register gezogen.

Mal fabuliert er, mal ist er ganz sachlich, dann gibt es essayistische Passagen, dann wieder einen kurzatmig-pointenreichen Twittersound. Und klar, das musste nach den Diskussionen um den Deutschen Buchpreis in den vergangenen Tagen sein: Stanišić nahm am Ende noch seinen Krankheitsfaden von Beginn auf und empfahl dem Publikum im Römer und im Netz, wo die Verleihung per Livestream übertragen wurde, „sich ruhig anstecken zu lassen von guter verkäuflicher und unverkäuflicher Literatur“.

Nein, gegen solche Viren, solche Bakterien hat nun wirklich niemand etwas.

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