Premiere am Maxim Gorki Theater: Lifestyle-Sarkasmus à la Sibylle Berg
Neues von Lifestyle-Sarkastikerin Sibylle Berg ist nun am Gorki Theater in Berlin zu sehen: In ihrem Theaterstück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ zelebriert sie den geistigen Komplett-Amok.
Am laufenden Band hat der Lifestyle-Streber schwierige Entscheidungen zu treffen: „Wie werde ich überflüssige Pfunde am schnellsten los? Einfach durch Kotzen oder mit Hormonpillen?“ Oder: „Welches Beauty-Produkt würde ich mit auf eine einsame Insel nehmen?“
Kaum zu überhören, dass das lustige Trend-Bashing aus der Feder von Sibylle Berg stammt. Mit ähnlichem Unterhaltungswert zieht die Lifestyle-Sarkastikerin die gesammelten Zeitgeist-Zumutungen in ihrer wöchentlichen „Spiegel-Online“-Kolumne durch den Kakao. In ihrem neuen Theaterstück „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ wird nun der geistige Komplett-Amok zelebriert. Es geht, unter anderem, gegen alte Männer („Sie tragen Chucks und denken, das lenke von ihren Gesichtern ab“) sowie gegen junge Männer: „Schräger Pony, verdeckt beginnende Geheimratsecken, enge Hose, korrekter BMI, Nerd-Brille ... und tschüss!“ Außerdem am Pranger: der Fitnesstrend Zumba („unbeholfene, aber intensiv ausgeführte Bewegungen, die mich an Prominente erinnern, die in Afrika mit Kindern tanzen“). Schlimmer ist nur noch das Gebot der Political Correctness: „Welche Randgruppe, zum Beispiel Frauen, könnte sich durch welchen heteronormativen Sprachgebrauch missachtet sehen?“, ruft Bergs Stückheldin angemessen bösartig ins Parkett – und schiebt in formvollendeter Aggressivität nach: „Heteronormativ ist das Wort der Saison. Letztes Jahr war es authentisch und im Jahr zuvor nachhaltig.“
Geschrieben ist die Trendhass-Suada als Monolog einer geschätzten Anfangzwanzigerin, deren Biografie an spätkapitalistischer Patchwork-Hipness nichts zu wünschen übrig lässt: Gemeinsam mit ihrer Halbschwester – einer Marketing-Studentin – und ein paar Altersgenossinnen, die in eher brotloseren akademischen Disziplinen reüssieren, hat sie ein Start-up gegründet: Die Mädels betreiben einen florierenden Handel mit Potenzmittel-Placebos und schlagen in ihrer Freizeit – Hauptsache, es ruiniert die Fingernägel nicht zu sehr – gern kleinere Jungs zusammen. Einen Adressaten hat die Erzählerin auch für ihre Aggro-Ergüsse: Im Keller hockt, gefesselt und geknebelt, ein gewisser Paul, dessen Identität erst am Schluss enthüllt wird. Aber, dies sei hier schon mal verraten: Verdient hat es Paul allemal, sich das alles anhören zu müssen!
Mit der Uraufführung des Berg-Textes gibt nun auch der dritte neue Hausregisseur des Maxim Gorki Theaters – Sebastian Nübling – seinen Einstand nach dem Intendanzwechsel. Es hätte besser nicht laufen können. Nübling hat die Textfläche, die beim Lesen – aller Scharfzüngigkeit und Pointensicherheit zum Trotz – manche Redundanz aufweist, klug auf 75 Minuten gestrafft und konsequent auf vier junge Schauspielerinnen verteilt. Denn beim Lesen deutet einiges darauf hin, dass aus der Anfangszwanzigerin durchaus eine Autorin mit der doppelten Lebenserfahrung und der potenzierten Trend- und Lifestyle-Idiosynkrasie spricht. Nübling steuert hier traumsicher dagegen.
Geboten wird: hochenergetisches Hüpfen, Hinfallen und Weltekel-Herausschreien.
Wenn das mit Hornbrillen, sackartigen Sweatshirts und garantiert über jeden Sexyness-Verdacht erhabenen Blümchenröcken ausgestattete Schauspielerinnen-Quartett (Kostüme: Ursula Leuenberger) auf die Bühne marschiert, erinnert das zunächst an das legendäre „Mariedl“ aus Werner Schwabs „Präsidentinnen“. Das griff ja als Putze vom Dienst nicht nur beherzt in jedes Klo, sondern war ebenfalls mit buchstäblicher Sprachgewalt gesegnet.
Je länger sich die Hochleistungs-Akteurinnen in hochenergetischem Hüpfen, Hinfallen und Weltekel-Herausschreien auf leerer Bühne üben, desto vielschichtiger werden – bei angemessen aggressivem Grundton – die Assoziationen: Mal versprühen Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Rahel Jankowski und Cynthia Micas den Charme altkluger Klassenbester, die ihr optisches Unglück exzessiv in geistigem Ehrgeiz kanalisieren. Dann wieder sammeln sie mit ihrer von Nübling genial inszenierten Hyperenergie – einer Art innerem Druck, der sich prinzipiell ständig und unbedingt unkontrolliert entladen kann – als zappelige ADHS-Patientinnen gewaltige Sympathiepunkte bei kollegialen Lifestyle-Hassern im Parkett. Und Tabea Martin hat den vier Akteurinnen dazu perfekte Bewegungen auf den Leib choreografiert.
Gekonnt switchen sie zwischen Chor- und Solopassagen, rennen gegen Wände, intonieren a capella stimmungsunterstützende Trend-Songs. Und unterstreichen dabei nachdrücklich, was sich schon in Yael Ronens Inszenierung „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ und in Hakan Savas Micans Studio-Eröffnung „Schwimmen lernen“ abzeichnete: Auf die neuen Gorki-Schauspieler/innen darf man sich sehr freuen!
Im Übrigen findet das Hochdruck-Quartett einen vergleichsweise versöhnlichen Ausweg aus der gesammelten Lifestyle-Misere: „Ich kann es manchmal nicht erwarten, älter zu werden“, tönt es sehnsüchtig von der Bühne. „Nicht mehr zu all diesen Scheißpartys gehen zu müssen, zu Gallery-Openings, den Gegenfestivals“ und, auch dieses, zu den „Tanztheater-Off-Produktionen“! Hier schien ein besonders starker Leidens-Identifikationsnerv getroffen: Es prasselte Szenenapplaus.
Wieder am 29. 11. sowie 6. und 7. 12., 19.30 Uhr, und 8.12., 21 Uhr
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