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Klangreise, Spurensuche. Installation mit Vogelhäuschen
© Wa Lehulere / Stevenson

Kemang Wa Lehulere in der DB-Kunsthalle: Lieder in Schwarz und Weiß

Erinnerungen an die Apartheid: Kemang Wa Lehuleres Installationen in der DB-Kunsthalle Unter den Linden erzählen sanft von der bitteren Vergangenheit Südafrikas.

Das Haar ist ab. Kemang Wa Lehulere brauchte seine schwarzen Locken für die Kunst. Mit den Haaren schrieb er Noten auf weißen Grund. Die Collage erinnert an die „Black Consciousness Bewegung“ in Südafrika, denn zum schwarzen Widerstand gehörte es, sich die Haare wachsen zu lassen. Der Song aus Haaren erzählt aber auch vom System der Rassentrennung während der Apartheid. Zur Unterscheidung zwischen Schwarz, Weiß und Farbig diente ein Stift. Blieb er im Haar stecken, war es kraus genug, um die Person als schwarz zu klassifizieren.

„Lefu La Ntate – das Erbe meines Vaters“ – der Künstler, inzwischen selbst Vater, hat sein Werk nach dem Lied bei einem Initiationsritual genannt. Das Erbe seines eigenen Vaters ist der rote Schimmer im Bart. Kemang Wa Lehulere ist der Sohn zweier Jazzmusiker. Weil seine Eltern von unterschiedlicher Hautfarbe waren, durften sie nach den perfiden Gesetzen der Rassentrennung nicht zusammenleben. Nach ihrem frühen Tod wuchs Wa Lehulere bei seiner Tante in Gugulethu auf, ein township vor den Toren Kapstadts, ein Labyrinth aus Häusern und Häuschen. Der Künstler war zehn Jahre alt, als die Apartheid endete.

Individuelle und kollektive Geschichte

In der mäandernden Erzählung seiner schwarz-weißen Ausstellung in der Deutsche Bank Kunsthalle verwebt Kemang Wa Lehulere individuelle und kollektive Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart und sucht nach seinen eigenen künstlerischen Wurzeln. Mit „Bird Song“ verbeugt sich der 33-Jährige vor der südafrikanischen Malerin Gladys Mgudlandlu, die in den 60ern als erste schwarze Künstlerin eine Einzelausstellung in einer privaten Galerie erhielt, später aber in Vergessenheit geriet.

Durch Zufall fand Kemang Wa Lehulere ihr früheres Haus. Weil sich seine Tante daran erinnerte, dass dort die Wände einst mit Malereien verziert waren, arbeitete er wie ein Archäologe. Unter sieben Schichten Farbe und zwei Schichten Putz fand er Vogelbilder von Gladys Mgudlandlu. In Tuschzeichnungen von Federn und Vogelflug reagiert der „Künstler des Jahres 2017“ der Deutschen Bank auf die Werke der Vorgängerin. In einem Film folgt er ihrem Lebensweg, glaubt in ihren Bildern die Landschaft rings um eine verlassene Siedlung wiederzuerkennen und vermutet, dass die Bird Lady, wie Gladys Mgudlandlu genannt wurde, zwangsweise nach Gugulethu umgesiedelt worden war. Wa Lehuleres schwingende Installationen erzählen sanft von der bitteren Vergangenheit Südafrikas.

Verdrehte, verrenkte, verschraubte Schulmöbel erinnern an die Deformation des Bewusstseins durch die Erziehungspolitik im Apartheidsstaat, die schwarze Schüler auf ihre Rolle als Untergebene vorbereiten sollte. Zwischen den Tischbeinen wachen weiße Schäferhunde aus Porzellan – Helfer der Schergen, zugleich Gefährten der Schüler und ihrer Eltern. Bei den Zwangsumsiedlungen mussten die Bewohner ihre Hunde zurücklassen. Die Tiere wurden getötet – Teil einer Strategie der Entmenschlichung, sagt Kemang Wa Lehulere mit scharfer Deutlichkeit. In den townships wurden Porzellanhunde populär als Ersatz für die verlorenen Hüter.

Improvisation wie im Jazz

Aus einer Geschichte entwickelt sich die nächste in dieser Ausstellung. Besucher werden labyrinthisch ins Innere gelockt. Man kann „Bird Song“ wie eine begehbare Plastik von Eduardo Chillida als Klangstruktur erleben, als Improvisation wie im Jazz. Der Titel zitiert ein Lied von Miriam Makeba. Oder man kann dem Gespräch zwischen Jung und Alt, Lebenden und Toten lauschen. Und man sieht den weißen Fleck, den das Schweigen über die dunkle Vergangenheit hinterlässt.

An die letzte schwarze Wand in der DB-Kunsthalle hat Wa Lehulere in Zeichensprache die Worte geschlagen: „Mother said every song knows its home“. Home – das Heim, die Heimat, die Zugehörigkeit liest sich in dieser poetischen wie politischen Ausstellung als eine Folge von Leerstellen.

Deutsche Bank Kunsthalle, Unter den Linden 13/15, bis 18.6.; tägl. 10 bis 20 Uhr.

Simone Reber

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