Wenders inszeniert Oper in Berlin: Liebe aus der Jukebox
Die "Tosca"-Bar in San Francisco, die "Perlenfischer" aus der Jukebox: Filmemacher Wim Wenders debütiert in Berlin als Opernregisseur. Samstag ist Premiere.
„Ett kütt wie ett kütt“ steht auf dem Rucksack, den Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm dabeihat. Aus dem Rheinischen übersetzt heißt das so viel wie: Es kommt, wie es kommt. Und zwar meistens unverhofft. So wie der Ortswechsel für den Pressetermin zur „Perlenfischer“-Produktion mit Wim Wenders. Am Tag selber wird der Termin von der Probebühne im Schillertheater nach Mitte verlegt, in den Boulez Saal. Soll die Optik dieser aufgrund des Promifaktors auch für Magazine und Boulevardzeitungen interessanten Produktion unbedingt bis zur Premiere am 24. Juni geheim gehalten werden? Oder geht dem Musiktheaterdebütanten jetzt womöglich doch die Muffe?
Nein, schuld war dann wohl doch nur der übervolle Terminkalender von Wenders’ musikalischem Partner Daniel Barenboim. Denn der Filmemacher erzählt freimütig, dass ein Sandstrand die Bühne komplett füllen wird – und dass er nicht versuchen werde, die Story zu aktualisieren. Obwohl in dem Frühwerk des französischen Komponisten Georges Bizet explizit ein Flüchtling vorkommt.
Nein, er möchte ganz einfach nur die Dreiecksgeschichte erzählen, wie sie im Libretto von 1863 steht. Auf der Insel Ceylon im indischen Ozean, die wir heute als Sri Lanka kennen, sind zwei Männer in dieselbe Frau verliebt. Doch sie entsagen ihr gemeinsam, um ihre Freundschaft zu retten. Als sie sich Jahre später wiedertreffen, taucht plötzlich auch die Angebetete wieder auf. Weil sie sich für den Tenor entscheidet, sorgt der eifersüchtige Bariton dafür, dass beide zum Tode verurteilt werden – und lässt sie zum Happy End doch laufen.
Genauso will Wenders die „Perlenfischer“ auf die Bühne bringen. Was wiederum Barenboim gut gefällt: „Bei manchen Inszenierungen wundert man sich ja, was der Regisseur alles anstellt, nur um die originale Handlung nicht erzählen zu müssen.“
Barenboim bewundert Wenders - und bot ihm die Zusammenarbeit an
Dass die Wahl auf diese exotische Repertoire-Rarität fiel, hat übrigens sentimentale Gründe, beim Maestro wie beim Filmemacher. Für Wenders hängt alles mit der legendären „Tosca“-Bar an der Columbus Avenue in San Francisco zusammen. Dort nämlich gab es eine Jukebox, die ausschließlich Klassik-Titel spielte. In den zwei Jahren, die er Ende der siebziger Jahre an der Westküste verbrachte, habe er dort immer nur eine einzige Single hören wollen: nämlich die mit dem Duett aus den „Perlenfischern“ auf der A-Seite und der Tenorarie auf der B-Seite. Als er schließlich wieder nach Deutschland zurückging, schenkte die Besitzerin Wenders die Platte – die er, total zerkratzt, bis heute besitzt.
Die komplette Oper gesehen aber hat er noch nie. Im Gegensatz zu Barenboim, der sie als junger Mann in Tel Aviv erlebte, gesungen auf Hebräisch, mit dem 23-jährigen Placido Domingo in der Rolle des erfolgreichen Liebhabers.
Es war vor drei Jahren, als bei Wenders im Büro das Telefon klingelte und sich ein „Bewunderer seiner Kunst“ meldete. Der Staatsopern-Chefdirigent nämlich, der ihm eine Zusammenarbeit anbot. Woraufhin der Regisseur sofort zugriff. Obwohl er ja schon einmal schlechte Erfahrungen mit dem Musiktheaterbetrieb machen musste. In Bayreuth, wo 2011 ein „Ring“-Projekt nach längerer Vorbereitungsphase letztlich doch scheiterte.
Jetzt aber lief alles ganz und gar harmonisch ab, schwärmt Wenders: mit den Solisten, die das Werk auch alle zum ersten Mal machen, wie mit dem Chor, dessen Klangpracht ihm jedes Mal eine Gänsehaut beschere. Und überhaupt: „Man ist als Regisseur ja nicht die Hauptperson in der Oper. Was zählt, ist die Musik, nur die Musik!“ Als seine Aufgabe sieht er darum, „dienend zu helfen“, damit Daniel Barenboim alle Schönheiten der Partitur „freilegen“ könne.
Besonders beeindruckt, erzählt Wenders noch, habe ihn der Moment, als sich in der Diskussion um die Stückwahl Bizets Oper herauskristallisierte. Da bat der Maestro seine Assistentin, ihm schnell mal den Klavierauszug herbeizuschaffen. Um dann seine Augen übers Papier wandern zu lassen, wo für einen, der der Notenschrift unkundig ist wie Wenders, nur lauter schwarze Punkte verstreut sind: Barenboim aber konnte im Geiste die entsprechende Musik hören!
Jürgen Flimm, der Staatsopernintendant, sitzt neben den beiden Herren, die sich da so wortreich umschmeicheln, und lächelt in Gedanken an die Premiere still vor sich hin. Denn er weiß: Zu „Ett kütt wie ett kütt“ gehört noch eine weitere rheinische Weisheit: „Et hätt noch immer jot jejange“.
Premiere am 24. 6. im Schillertheater, weitere Aufführungen am 30. 6., 2. und 4. 7.