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Ich als Neger darf das sagen. Marius Jung konnte als schwarzer Schauspieler immer zwischen drei Rollen wählen: Kleindealer, Kleindealer und Kleindealer. Deswegen hat er sich fürs Kabarett entschieden.
© Jenny Egerer

Politische Korrektheit: Leute, habt ihr sie noch alle?!?

Penner oder Wohnungssuchende, Negerlein oder maximalpigmentiert – wo politische Korrektheit herrscht, bleibt der Humor auf der Strecke.

Wissen Sie, was „SuS“ sind? Sie sollten das wissen – schließlich sind die SuS unsere Zukunft. Das Kurzwort SuS ist nämlich in Schul-und Behördenkreisen – sowohl schriftlich als auch mündlich – eine mittlerweile absolut gängige Bezeichnung für „Schülerinnen und Schüler“. Die Entstehung ist klar: Früher genügte das Wort „Schüler“, um die Gesamtheit der Personen zu bezeichnen, die sich zum Zwecke der Wissensaufnahme in einer Lehranstalt aufhielten.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Durchsage „Wegen eines Feueralarms werden alle Schüler gebeten, sich sofort auf den Schulhof zu begeben“ gelte nur für die Jungs. Irgendwann jedoch stellte jemand fest, dass die Mädchen bei dieser Durchsage von Rechts wegen hätten drinbleiben und notfalls eben verbrennen müssen. Also sagte und schrieb man ab jetzt emsig „Schülerinnen und Schüler“.

Aber da der Mensch nun mal faul ist, war ihm/ihr das irgendwann zu umständlich. Deshalb heißt der erreichte Fortschritt jetzt: Statt Schüler schreibt und sagt man SuS. (Übrigens: Sus ist das lateinische Wort für Schwein.) Tolle Sache, oder?

Der Penner, der Obdachlose und der Wohnungssuchende

„Diversity“ ist das Thema dieser Beilage – das heißt, es geht um Unterschiede. „Unterschied“ heißt auf Lateinisch „discrimen“. Und wenn wir heute Unterschiede zwischen Menschen benennen wollen, ist der Diskriminierungsvorwurf stets nur einen Wimpernschlag entfernt. Das liegt nicht daran, dass die Menschen heute gröber und rücksichtsloser miteinander umgingen – das Gegenteil ist der Fall. Aber gerade in den Gesellschaften und sozialen Milieus, in denen fast alle besten Willens sind, hat die politische Korrektheit den sozialen Raum so dicht mit Fettnäpfchen vollgestellt, dass fast jeder dauernd in eines reinlatscht. Leider bleibt dabei vieles auf der Strecke. Zum Beispiel der unbefangene Umgang miteinander; die Schönheit der Sprache; und natürlich der Humor. Und manchmal auch die Intelligenz.

Neulich durfte ich lernen, dass der Begriff „Obdachlose“ nicht mehr als korrekt gilt. Man soll jetzt sagen „Wohnungssuchende“. Dass dieser Begriff die Lebenssituation vieler Obdachloser nicht sehr genau trifft, spielt dabei keine Rolle. Uns soll ein korrekter Umgang miteinander anerzogen werden, indem man uns eine bestimmte Ausdrucksweise vorschreibt. Aber funktioniert das?

Früher sagte man „Penner“. Irgendwann stieß jemandem auf, dass dieser Begriff negative Assoziationen weckte: Wir dachten sofort an ungepflegte Besoffene, die bettelnd am Straßenrand sitzen. Deshalb wurde der bürokratische Begriff „Obdachlose“ eingeführt. Preisfrage: Was spielt sich vor Ihrem inneren Auge ab, wenn Sie das Wort „Obdachlose“ hören? Darf ich raten? Sie denken an ungepflegte Besoffene, die bettelnd am Straßenrand sitzen.

Die Diskussion über „das böse N-Wort“

Und genau so wird es auch bei „Wohnungssuchende“ laufen. Der Grund ist klar: Wenn wir an Wörtern herumdoktern, anstatt unsere Haltung gegenüber Menschen und Dingen zu verändern, ändert sich gar nichts. (Außer dass wir jetzt ein neues Wort für diejenigen erfinden müssen, die als Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt auftreten.)

Im letzten Jahr flammte die Diskussion über „das böse N-Wort“ mal wieder auf. In erster Linie ging es um Kinderbücher. Denn unsere Kinder sollen natürlich besonders geschützt werden. Und wer sollte dafür mehr Verständnis haben als ein frischgebackener Vater wie ich? Nicht nur unter dem Kinderbett schaue ich nach Monstern. Aber auf die Idee, im beliebten Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler danach zu suchen, wäre auch ich nicht gekommen.

In der Originalversion des 1957 erstmals erschienenen Buchs heißt es in der Faschingsszene: „Wie kamen die beiden Negerlein auf die verschneite Dorfstraße?“ Anfang 2013 kündigte der Thienemann-Verlag eine überarbeitete Version an, die in Abstimmung mit der Familie Preußler auf Wörter verzichten solle, die „nicht mehr im ursprünglichen Bedeutungsgehalt gebraucht oder verstanden werden“ – wie zum Beispiel „Zigeuner“, „wichsen“ und eben: „Negerlein“.

Unsere Kinder werden in einer guten Welt aufwachsen

Super! Jetzt ist alles gut! Der Rassismus, der sich durch das finstere Wirken von Autoren wie Otfried Preußler und Astrid Lindgren klammheimlich und über Generationen in deutschen Kinderzimmern und Stadtbüchereien eingenistet hatte, ist durch das Streichen dieses Worts besiegt, ausgerottet und verschwunden. Unsere Kinder werden in einer sauberen, guten Welt aufwachsen und niemals mit dem Phänomen des Rassismus oder bösen Wörtern in Berührung kommen. Ein großer Sieg für den Humanismus! Leute, ich als Neger freu mich!

Beziehungsweise frage ich mich: Habt ihr sie noch alle?!? Damit ich nicht missverstanden werde: Ich bin selbstverständlich dafür, dass Kindern der Kontext dessen erläutert wird, was man ihnen vorliest. Kinder denken nicht historisch. Dafür brauchen sie jemanden. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich fühle mich wohler, wenn ich dieser jemand bin – und nicht die Peer Group auf dem Schulhof. Gerade ein so hinreißendes, identifikationsstiftendes Buch wie die „Kleine Hexe“ wäre ein idealer Anlass, mit Kindern über Begriffe wie „Zigeuner“ und „Neger“ zu sprechen.(Und bei kleineren Kindern kann man ja auch während des Vorlesens mal ein Wort austauschen.)

Spannend war natürlich die Frage, was der Thienemann-Verlag statt „Negerlein“ schreiben würde. Ich stellte mir schon den kuscheligen Kinderzimmersatz „Wie kamen die beiden Maximalpigmentierten auf die verschneite Dorfstraße?“ vor. Aber sie waren viel kreativer: Sie ersetzten die „Negerlein“ durch „Messerwerfer“.

Was kommt als Nächstes?

Das ist doch eine gute Lösung für alle. Wenn Sie das nächste Mal in der Gefahr sind, das Wort „Neger“ zu benutzen, haben Sie jetzt ein Ersatzwort: „Bei mir nebenan ist gerade ein Messerwerfer eingezogen.“ Das ist unverfänglich und trotzdem weiß jeder: Sie schweben in höchster Gefahr.

Zum Glück ist es für das Verständnis und den Charme der „Kleinen Hexe“ nicht entscheidend, ob das Wort „Negerlein“ darin vorkommt. Anderen Klassikern geht es da schon existenzieller an den Kragen, wenn sie den Politisch Korrekten in die Hände fallen. Zum Beispiel Mark Twains Roman „Huckleberry Finn“. Ein Literaturwissenschaftler aus Alabama hat eine bereinigte Fassung erstellt, in der alle „Negros“ und „Nigger“ gestrichen waren. Vorteil: Aus einem dicken Schinken wurde ein Reclamheft. Nachteil: Keiner verstand mehr, worum es in dem Buch geht. Wenn Huckleberry Finn „Sklave“ statt „Neger“ sagt, wird die Geschichte von der Zeit getrennt, in der sie spielt.

In amerikanischen Schulen wird „Huckleberry Finn“ nicht mehr behandelt. Kann das das Ziel sein? Schüler sollen nicht mehr anschaulich erfahren, wie die Welt aussah, als sie noch nicht den Regeln der Political Correctness folgte? Was kommt als Nächstes? Welches Frauenbild hatte eigentlich Malcolm X? Darf man Mahatma Gandhi irgendwann nicht mehr erwähnen, weil sich herausstellt, dass er seinen Müll nicht getrennt hat? Und kann man Kindern die Erwähnung des Wortes „Krieg“ eigentlich zumuten? Es wäre doch viel schöner, wenn es nie Kriege gegeben hätte. Lasst uns das Wort und die Erinnerung daran streichen – und die Welt wird eine bessere sein.

In seinem Buch „Singen können die alle! Handbuch für Negerfreunde“ (Carlsen Verlag, 8,99 Euro) erklärt Marius Jung, wo die Fettnäpfchen im Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe stehen.

Marius Jung

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