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Knallharter Alltag. Dani Levy (r.) und Kameramann Filip Zumbrunn an der Sperrmauer in Ost-Jerusalem.
©  Lissy Kaufmann

Dani Levy dreht in Jerusalem: Lächeln im Schatten der Mauer

Glaube, Liebe, Hoffnung, Angst. Fürs Jüdische Museum Berlin dreht Dani Levy vier Kurzfilme in Jerusalem. Ein Besuch am Set.

Ist das schon Wahrheit oder ist das noch gespielt? Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen hier beim Dreh der vier Jerusalem-Geschichten von Filmemacher Dani Levy. Gleich sollen ein paar als israelische Soldaten verkleidete junge Männer eine Szene am Checkpoint spielen. Einer von ihnen wird eine junge Palästinenserin zum Verhör aus dem Linienbus ziehen, der vom Westjordanland aus die Grenze nach Israel passiert. Die Uniformierten kommen tatsächlich – doch verkleidet sind sie nicht. Die echten israelischen Grenzpolizisten wollen eine Drehgenehmigung sehen für die Arbeit im Ostjerusalemer Stadtteil Beit Hanina, direkt an der fünf Meter hohen Sperranlage aus Beton. Die Erlaubnis von der Stadtverwaltung liegt zwar vor. Doch den Grenzpolizisten reicht das nicht. Drehpause. Der palästinensische Line Producer, für die Abläufe vor Ort zuständig, muss mit auf die Station der Grenzpolizisten. Und für das Team heißt es erst mal: warten.

So schwer hatten sich Regisseur und Drehbuchautor Dani Levy („Alles auf Zucker“, „Die Welt der Wunderlichs“, „24h Jerusalem“) und seine Crew die Arbeit vor Ort nicht vorgestellt. Doch Levy hat, wie er selbst sagt, in ein Wespennest gestochen bei dem mutigen Versuch, in vier Geschichten die Komplexität dieser Stadt mit ihrem Konflikt zwischen Palästinensern und jüdischen Israelis abzubilden und beide Sichtweisen zu zeigen: „Jerusalem ist durchgedreht und extrem, es ist die Stadt der Kämpfe, der Disharmonie, der Verrückten und Fanatiker.“ Glaube, Liebe, Hoffnung, Angst lauten die Titel der Kurzfilme. Was Levy zeigen möchte, erlebt er nun bei dem Dreh selbst. Dabei lag die Herausforderung anfangs in der technischen Umsetzung. „Wir drehen pioniermäßig“, sagt Levy, der zum ersten Mal mit einer 360-Grad-Kamera in 3D arbeitet, in einer Einstellung, ohne Schnitt. Die Kamera ist, sagt er, ein brandneuer Prototyp aus China. Die Filme, je fünf bis acht Minuten lang, werden ab Mai 2018 im Rahmen der Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ im Jüdischen Museum Berlin, die am kommenden Montag eröffnet wird, mit speziellen Virtual-Reality-Brillen zu sehen sein.

Schwieriger Dreh im Konfliktgebiet

„Das ist ein völlig neues Konsumerlebnis. Du bist alleine mit Bildschirm und Kopfhörern, als ob du direkt nach Jerusalem gebeamt wirst.“ An vier Orten wird sich der Zuschauer wiederfinden, auf dem Zionsplatz im Zentrum von West-Jerusalem, über den Dächern der Altstadt, in einer Bauruine in Abu Dis, die einst das palästinensische Parlament werden sollte, und hier an der Mauer in Ostjerusalem. Kameramann Filip Zumbrunn hat aus einem Reithelm vom Flohmarkt eine Helmkamera gebastelt, mit Mikrofonen, die, an eine Kuchenbackform montiert, ebenfalls 360- Grad aufnehmen. Damit er auf Augenhöhe des Zuschauers filmt, muss er die Knie beugen – und hat sich auch dafür etwas einfallen lassen: eine Art einbeinigen Melkschemel, den er sich um die Hüften schnallt, um sich zwischendurch hinzusetzen. Doch auch die Technik muss an diesem Vormittag warten.

Levy nutzt die Zeit, um mit den vier Schauspielern – zwei Israelis, zwei Palästinenserinnen – die Szenen durchzugehen. Wieder erlebt er, wie schwierig so ein Dreh mitten im Konfliktgebiet ist. Die fünf sitzen im Zelt, in dem nachher einer der Israelis als Soldat verkleidet die Palästinenserin befragen soll. Es wird kein normales Verhör: Der Soldat kennt das Mädchen von der Uni, will sie zu seiner Party einladen. Doch das Mädchen wird ablehnen: Normale Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis sind unter der anhaltenden Besatzung nicht möglich. So denken viele Palästinenser – auch Schauspielerin Yara Jarar. Doch das reicht ihr nicht: Levy hat dem Mädchen im Drehbuch ein Lächeln ins Gesicht geschrieben, als sie sich vom Soldaten verabschiedet. Yara Jarar will aber nicht lächeln. „Wir haben hier eine Konfliktsituation, du bleibst aber sympathisch“, erklärt Levy. „Wie kann ich denn bei so was lächeln?“, fragt die Schauspielerin und zeigt auf die fünf Meter hohe Mauer, die die Israelis aufgrund zahlreicher blutiger Attentate während der zweiten Intifada vor einigen Jahren gebaut haben. Sie trennt de facto aber auch Palästinenser in Ostjerusalem von denen im Westjordanland und schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein. Levy und Jarar einigen sich, die Szene zunächst in verschiedenen Variationen auszuprobieren.

Kritik an den Filmen ist zu erwarten

„Du fühlst dich hier als Humanist schon ein bisschen lächerlich“, sagt Dani Levy. Man wünsche sich als Regisseur, dass Schauspieler eigene Erfahrungen mitbringen. „Hier geht es aber primär um Konfrontation und Aggression, auf beiden Seiten.“ Dann endlich kommt die Erlaubnis für den Dreh – einzige Bedingung: Der Bus darf nicht direkt entlang der Mauer fahren, weil die Straße für die echten Militärfahrzeuge frei bleiben soll. Nun muss sich das Team ranhalten: Es ist schon nach Mittag und die Arbeit muss bis zum Sonnenuntergang kurz nach 16 Uhr beendet sein. Der Regieassistent hat Mühe, die deutsche und die nahöstliche Arbeitsmoral zusammenzubringen, es wuselt wie im Ameisenhaufen, einen Statisten auf einer Position zu halten ist gar nicht so einfach.

Zur technischen und politischen Herausforderung kommt eine kulturelle. Kritik an den Filmen ist zu erwarten – von beiden Seiten. Die einen, die nicht verstehen, warum man sich mit der Sicht der Israelis beschäftigt, während Palästinenser unter Besatzung leben. Die anderen, die das Projekt zu pro-palästinensisch finden, erst recht weil in einem der Filme Jassir Arafat zum Leben erwacht. Viele Israelis sehen in ihm einen Terroristen. „So what“, findet Levy, der die Zuschauer bewusst in den knallharten Alltag dieser anstrengenden Stadt hineinkatapultieren möchte, dreidimensional und mit Rundumblick. „Ich bin schon froh, wenn sich die Menschen die Filme anschauen und nicht in völliger Überforderung die Brillen vom Kopf reißen.“

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