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"The Key in the Hand", eine Installation der in Berlin lebenden Künstlerin Chiharu Shiota im japanischen Pavillon.
© AFP

Rundgang über die Biennale in Venedig: Kunstschau: Auf den Berliner Flüchtlingsfotos prallen Welten aufeinander

Tanzende Bäume, bare Münze und Flüchtlingsbilder vom Berliner Oranienplatz - Ein Rundgang durch die Länderpavillons auf der 56. Biennale di Venezia.

120 Jahre wird sie alt – und doch besteht kein Grund, das Jubiläum zu zelebrieren, denn die Biennale di Venezia mag noch viele runde Geburtstage feiern. Sie bleibt und bleibt, da können auf der ganzen Welt zahllose Sprösslinge aus dem Boden schießen und wieder verschwinden. Nur eine Kleinigkeit hat man sich bei der 56. Ausgabe als Verweis auf das Jubiläum erlaubt: die Verschiebung der Eröffnung auf den Jahrestag Anfang Mai, statt wie sonst im Juni kurz vor der Art Basel, wohin der Kunst-Jetset normalerweise weiterreist. Diese Abkopplung hat der Biennale gutgetan, sie verjüngt, gestrafft. Diesmal blinken nicht mehr allzu offensichtlich die Preiszahlen hinter den ausgestellten Arbeiten, die eine Woche später in der Schweiz käuflich zu erwerben sind.

Es ist eine nachdenkliche Biennale. In vielen Länderpavillons geht es eher ruhig zu, auch wenn insgesamt 89 Länder um Aufmerksamkeit buhlen. In den historischen Giardini schmiegen sich die 29 Pavillons zum Teil eng aneinander. Die architektonische Repräsentanz hat hier immer noch Bedeutung, wie am prachtvollen Neubau Australiens zu sehen ist, der seine Betonschachtel gegen einen coolen Kubus aus schwarzem Granit eingetauscht hat. Zu den anderen nationalen Repräsentationen, die sich über die ganze Stadt verteilen oder im Arsenale Unterschlupf finden, kommt die Hauptausstellung von Okwui Enwezor mit 136 Künstlern. Alles anzuschauen, wenn die Kunstschau in Venedig am Samstag eröffnet wird, das schafft keiner. Trotzdem versucht jeder Besucher, so viel wie möglich zu sehen. Eben deshalb entscheidet sich mancher Kurator doch für die große Geste, um zwei Pavillons weiter nicht schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein.

Das Problem besteht für die deutschen, französischen, britischen Präsentationen nicht. Sie bilden die Corona der Pavillons am Ende der großen Achse, die parallel zur Lagune verläuft. Herrschaftlich thronen die drei in prachtvollen Gehäusen, die den einst nationalen Machtanspruch im Kleinen verkörpern. Und jedes Mal stellt sich die Frage, wie sich die Kunst im deutschen Pavillon mit dessen faschistischer Architektur verträgt. Okay, würde vermutlich der Kurator Florian Ebner sagen, der sich nicht weiter darum scherte. Trotzdem versucht er den pompösen Bau zu brechen, indem er eine zweite Ebene einziehen ließ, welche die machtvolle Halle in der Horizontalen halbiert. Das Ergebnis: mehr Ausstellungsfläche, aber auch ein kompliziertes Auf- und Abgesteige.

Doch es lohnt sich. Hinter einer Pforte, bislang unbemerkt neben dem bombastischen Hauptportal, geht es zum neuen Geschoss. Tobias Zielony bespielt es mit einem Foto-Essay zur Flüchtlingsproblematik in Deutschland. Ein kluger, scharfer Blick, der Betroffene nicht als Opfer darstellt, sondern als selbstbewusste Aktivisten, die ihre Situation reflektieren und darüber schreiben, wie in aufgehängten Zeitungen zu lesen ist. Auch über Berlin, den Oranienplatz, die Kreuzberger Schule kurz vor der Räumung. Zielony zeigt, wie scharf Welten aufeinander prallen inmitten eines prosperierenden Landes. In Italien, erstes Ziel tausender Flüchtlinge in Europa, wird das noch deutlicher wahrgenommen. Mit den Reportagebildern gibt Deutschland den Betroffenen am schicksten Ort der Kunstwelt eine Stimme. Möge die Geste nicht wohlfeil sein.

Ballett der Bäume: "Revolutions" im französischen Pavillon.
Ballett der Bäume: "Revolutions" im französischen Pavillon.
© AFP

Tobias Zielony ist als „richtiger“ Fotograf die Ausnahme im Künstlerquartett des deutschen Pavillons. Von Ebner, der ansonsten als Fotokurator im Essener Folkwang-Museum arbeitet, wäre eine klassische Lichtbild-Ausstellung zu erwarten gewesen. Stattdessen erkundet die Präsentation, wie wir heute mit den massenhaft produzierten Bildern umgehen, wie sie uns deformieren und ein eigener Ausdruck zurückzugewinnen wäre. Und ob nicht auch die Bildlosigkeit eine Ressource sein kann.

Erfrischend, ergreifend die Arbeit der aus Ägypten stammenden Dokumentaristen Jasmina Mewaly und Philip Rizk. Sie baten Laienschauspieler, den Ausverkauf einer Fabrik und dessen soziale Folgen darzustellen. Das Skript ist grob: hier der kapitalistische Direktor, dort die armen Arbeiter. Doch es bildet recht genau die traurige Wirklichkeit ab, wie ein dazwischengeschnittener Handyfilm der realen Fabrikruinen zeigt. Was tun? Olaf Nicolai, der Vierte im Bunde, schaut in die Luft. Er ließ auf dem Dach eine Werkstatt für Bumerangs einrichten, die immer wieder weit weg geschleudert werden und doch zurückkehren. „Fabrik“ hat Florian Ebner den deutschen Pavillon genannt, ein Euphemismus für eine solch hochgestochene Produktionsstätte von Bildern und Ideen. Und doch versucht er, an den Ausgangspunkt zurückzukehren: Was ist heute Kunst, was kann noch Fotografie?

"All the World's Futures" ist das Motto dieses Jahr - und das ist keineswegs hoffnungsfroh gemeint

"The Key in the Hand", eine Installation der in Berlin lebenden Künstlerin Chiharu Shiota im japanischen Pavillon.
"The Key in the Hand", eine Installation der in Berlin lebenden Künstlerin Chiharu Shiota im japanischen Pavillon.
© AFP

Mit diesem Rüstzeug ist der BiennaleBesucher gut ausgestattet. Die Eitelkeiten und die Trouvaillen lassen sich schnell voneinander unterscheiden, die starken Stücke wie die Überheblichkeiten sind leicht sortiert. Im britischen Pavillon weint man Jeremy Dellers intelligenten Verspieltheiten von 2013 bittere Tränen nach angesichts der öden Wiederholung von Sarah Lucas’ einmaliger Idee: bombastisch aufgeblasene Ballons als Katzen mit hängenden Brüsten und weibliche Beton- Unterleiber, in deren Körperöffnungen Zigaretten stecken. Mit Charme versucht es Céleste Boursier-Mougenot im französischen Pavillon. Er lässt drei Pinien samt Wurzelballen geheimnisvoll durch die Gegend kurven, im zentralen Raum erklingen sphärische Töne, die den Elektrolyten des Baumsaftes entnommen sein sollen. Das kuriose Ballett spielt auf die Verrücktheiten romantischer Parks im 18. Jahrhundert an. Wie traurig: 300 Jahre später sind davon nur technische Trickserei und heiße Luft geblieben.

Die Powerplayer Großbritannien und Frankreich verlieren umso mehr angesichts des dazwischen liegenden Zwergenpavillons von Kanada. Das aus Quebec stammende Kollektiv BGL – Jasmin Bilodeau, Sébastien Giguère und Nicolas Laverdière – erklärt den bescheidenen Bau zur Bude und richtet darin einen Laden ein, wie er sich in den Weiten des Landes häufig findet: Kaugummis, Dosenbier, Tiefkühlkost, alles da. Nur kaufen kann man nichts. Der verschwommene Druck der Verpackungen flimmert vor den Augen, dem potenziellen Kunden wird schon schlecht, bevor er etwas erwirbt. Doch von ernsthafter Konsumkritik ist das Spaß- Trio mit seiner Installation „Canadissimo“ weit entfernt. Es will nur spielen und lädt auf das Dach ein, wo der Besucher über kurvige Miniaturbahnen Münzgeld in die Tiefe kullern lassen darf.

Okwui Enwezor hat als Direktor der Biennale dieses Jahr das Motto „All the World’s Futures“ ausgegeben und meint dies keineswegs zukunftsfroh. In einer Performance lässt er „Das Kapital“ von Karl Marx vorlesen und fragt sorgenvoll mit seiner Sonderausstellung nach dem Stand der Dinge. Die Pavillons greifen das Motto da und dort auf, wie die mit Geld klimpernden Kanadier. Oder wie Belgien, das seine koloniale Geschichte ausleuchtet und ein furioses Statement abgibt. Vincent Meese, der ausgewählte Künstler, tritt nicht allein auf, sondern hat afrikanische Kollegen eingeladen. Das erweitert den Blick, etwa mit Maryam Jafris Recherchen von ikonischen Pressebildern aus der Zeit der frühen Unabhängigkeit von Ghana, Mosambik, Kenia und Kongo. Heute streiten sich kommerzielle Archive um die Rechte der bei ihrer Reproduktion immer wieder leicht modifizierten Aufnahmen, die doch eigentlich dem kollektiven Gedächtnis gehören.

Hier scheint das verborgene Thema der 56. Biennale auf: Erinnerung. Ein hoch symbolisches Bild hat die in Berlin lebende Japanerin Chiharu Shiota dafür gefunden, indem sie zehntausende Schlüssel sammelte und in ein im gesamten Pavillon versponnenes Netz aus roten Wollfäden hängte. Darin ist ein Kahn gestrandet, der einmal nicht als Metapher für die benachbarte Lagune oder für Bootsflüchtlinge gilt, sondern auf eine Reise in die Vergangenheit mitnimmt. Ein starkes Bild, wenn auch nah am Kitsch angesiedelt. Die gleiche Gefahr droht dem holländischem Pavillon. Dort wird das Lebenswerk von Hermann de Vries gewürdigt, auch er ein großer Sammler. Der 84-jährige Zero-Pionier macht seine Funde im Wald: Pflanzen, Wurzeln, Steine, sogar Abfall. Für Venedig trug er ein Tableau mit Fundstücken aus der Lagune zusammen, mit strahlend blauen und roten Murano-Glasscherben darunter. Wer den Pavillon beseelt vom Duft der ausgebreiteten Rosenknospen verlässt, vernimmt die geflüsterten Worte: „Infinity, Infinity, Infinity.“ Das ist dann doch zu viel.

Dann lieber die Coolness eines Heimo Zobernig, der durch Einbauten im österreichischen Pavillon den Entwurf von Josef Hoffmann mit architektonischen Ideen von Mies van der Rohe verklammert, Skulpturengarten inklusive. Der Sommer der Kunst könnte auch von diesem Ende der Giardini seinen Ausgang nehmen. Hier ist Schatten, hier ist das Nichts, ein Echo-Raum für die überbordenden Bilder rundum.

Biennale di Venezia, 9. Mai bis 22. November, www.labiennale.org

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