Echo, Literaturnobelpreis, Filmpreis: Kunstpreise stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise
Der Literaturnobelpreis ist entzaubert, der Echo abgeschafft – Ewigkeit für das künstlerische Preiswesen sieht anders aus.
Es könnte ein schwieriger, von Phantomschmerzen begleiteter Tag werden, dieser erste, zweite oder dritte Donnerstag im kommenden Oktober. Traditionell geht da eigentlich um Punkt 13 Uhr im Haus der Schwedischen Akademie eine Tür auf, tritt die oder der Juryvorsitzende vor die dort versammelten Medien und verkündet, wer den Literaturnobelpreis bekommt.
Doch nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen infolge eines Korruptions- und Belästigungsskandals, nach den Rücktritten mehrerer Jurymitglieder und auch der Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen wegen möglicher Wirtschaftsverbrechen diskutiert man in der Schwedischen Akademie, ob dieses Jahr die Preisvergabe ausgesetzt und erst 2019 wieder ein Literaturnobelpreis verliehen werden soll.
Das erscheint sinnvoll, weil die Jury gerade wirklich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist und nicht mit der Sichtung von Nobelpreis-Kandidaten und intensiver Lektüre, sie nach den Rücktritten nur schwer einen Beschluss treffen kann. Wer will von so einer zerrupften Jury einen Literaturnobelpreis, knapp Million Euro hin oder her?
Die Überlegung, den Preis auszusetzen, wirft überdies die Frage nach seiner Notwendigkeit auf, nach seinen Kriterien. Und ist es nicht überhaupt eine Anmaßung dieses 18-köpfiges Gremiums, das ja nur aus schwedischen Schriftstellern und Literaturwissenschaftlerinnen besteht, Literatur kanonisieren, gar den Kanon der Weltliteratur prägen zu wollen?
Tatsächlich hat der Literaturnobelpreis im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts, nachdem er 1901 das erste Mal von seinem Stifter Alfred Nobel verliehen worden war, eine ungemeine Aufladung erfahren. Es verstand sich immer von selbst, dass dieser Preis, die von ihm gewürdigte Literatur ultimativ sind, hier Weltliteratur ausgezeichnet wird. Die Streitereien innerhalb der Jury, ihre Neigung, die eigene Macht zu missbrauchen, sich ihrer Privilegien allzu bewusst zu sein, haben nun deutlich gezeigt, wie klein dieses Gremium letztendlich ist, wie beschränkt womöglich seine literarische Sicht, wie wenig erhaben es ist, um literarische Werke für die Ewigkeit zu bestimmen.
Natürlich hat es immer Kritik an den Akademie-Entscheidungen gegeben, daran, dass der Blick ein zu angloamerikanisch-eurozentrischer, manches Werk viel zu schmal, zu einseitig oder zu sehr auf einen einzigen Roman konzentriert sei – und doch wartete nicht nur die Kulturwelt Jahr für Jahr aufs Neue gespannt darauf, auf wen die Wahl der Schwedischen Akademie fallen würde.
War der Echo jemals bedeutend?
Nun hat es in den Tagen, da sich in Stockholm die Ereignisse rund um die Akademie zuspitzten, auch den Skandal bei der deutschen Echo–Preisverleihung gegeben, mit der Verleihung eines Echos an die homophoben, frauenfeindlichen und nicht zuletzt antisemitischen Rapper Farid Bang und Kollegah, mit der Folge, dass dieser Preis abgeschafft wird.
Aufschlussreich war die gegenläufige Entwicklung, die es im Zug der Debatten über die beiden Preise gegeben hat. Während der Literaturnobelpreis eine Art Entzauberung erfuhr, war im Fall des Echos unentwegt die Rede davon, dass es sich hierbei um den „bedeutendsten deutschen Musikpreis“ handele. Allein schon nach der Nominierung des berüchtigten Rap-Duos kam es zu einer seltsamen Aufwertung des Echos, und nach der Preisverleihung war er tagelang in den wichtigsten Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen ein Thema.
Wie war das in den vergangenen Jahren, ohne Skandal? Wurde da zur besten Sendezeit verkündet, wer den Echo in der Kategorie Rock oder Schlager national gewonnen hat oder überhaupt die meisten Echos einstreichen konnte, wie das zum Beispiel bei den US-Grammys der Fall ist? Und: Ist Campino nicht weiterhin der Sänger der Toten Hosen und Helene Fischer Helene Fischer – und nicht der soundsovielfache Echo-Preisträger, die, wie man jetzt immerhin weiß, 17-fache Echo-Preisträgerin?
Der Echo war ein reiner Branchenpreis, ohne große Außenwirkung (zumal er nur an sowieso schon erfolgreiche Musiker und Musikerinnen ging), ein Preis, der nie größer war als die, die mit ihm ausgezeichnet wurden. Was zum Beispiel der Literaturnobelpreis ist. Dieser vermag immer wieder mal unbekannte Autoren in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, etwa den Franzosen Jean Marie Gustave Le Clezio, den Chinesen Mo Yan, die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch.
Kunst kommt gut auch ohne Preise aus
Die Crux mit den Preisen ist, dass sie überproportional viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine Allgemeingültigkeit versprechen, die sie nicht halten können – gerade in einem nur schwer objektivierbaren Bereich wie der Kunst, in welchem ihrer Bereiche dann auch immer. Zumal allein die jeweilige Zusammensetzung von Jurys oft schon umstritten ist, jede Jury ihre eigenen Vorlieben hat und immer zu Kompromissen bereit sein muss.
Warum hat Philip Roth eigentlich nie den Literaturnobelpreis gewonnen? Warum macht das große Publikum immer andere Filme zu Kassenschlagern, als beim Deutschen oder Europäischen Filmpreis ausgezeichnet werden? Gibt es nicht bessere, kreativere deutsche Rockmusiker als Campino?
Im Fall des Echos konnte man immerhin von einer (demokratischen) Ehrlichkeit sprechen, da hatte das Publikum praktisch vorher abgestimmt. Nicht, dass es nicht auch was von Popmusik versteht! Wenn nun im deutschsprachigen Pop- und Musikbereich in Zukunft vor allem herausragende künstlerische Leistungen von Fachleuten prämiert werden sollen, ist das ehrenvoll – aber es wird Jahre brauchen, bis dieser neue Preis sich gleichfalls zum „bedeutendsten Musikpreis in Deutschland“ entwickelt, bis es ihm gelingt, Karrieren zu bahnen, Stars zu produzieren, die niemand auf dem Zettel hatte.
Der ideale Preis ist der, der das vermag, der bedeutender ist als die Künstler und Künstlerinnen, die dafür infrage kommen. Im Moment scheint es aber so, als würde das gesamte künstlerische Preiswesen in einer schweren Krise stecken, einer veritablen Glaubwürdigkeitskrise. Wie gut ist es, dass die Kunst auch ohne Preise auskommt, sie nie im Hinblick auf diese produziert wird.