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Shareef Sarhan, Video Still aus “The Sea in Ramallah”, 2014
© Shareef Sarhan.

Palästinensische Kunstbiennale "Qalandiya": Kunst zwischen Checkpoints

Die Biennale Qalandiya zeigt palästinensische Kunst in Gaza, Jerusalem und Ramallah - und macht zugleich ihre eigene Unmöglichkeit zum Thema.

Der Namenspatron der Biennale ist ein Ausbund an Hässlichkeit. Der Qalandiya-Checkpoint zwischen Jerusalem und Ramallah könnte unschöner nicht sein: eine Mondlandschaft aus Staub, klobigen Betonklötzen und mehreren Tunneln aus Metallzaun. Mittendrin die sechs Meter hohe Trennmauer, Wachtürme, alles von Schutt und Müll umrandet.

Dass die insgesamt 13 Organisationen, die die Kunstbiennale „Qalandiya International“ ausrichten, gerade diesen Namen gewählt haben, mag signalisieren, dass die Kunst nicht von der tristen politischen Realität Palästinas absehen will. Qalandiya International, so hieß aber auch der Flughafen von Jerusalem zu britisch-kolonialen Mandatszeiten, unter jordanischer Verwaltung bis zur Eroberung durch die israelische Armee 1967. Er war damals ein Tor zur Welt.

So oder so ist die Biennale, die noch bis 15. November stattfindet, eine Kunstschau des „Und trotzdem!“, hier im Herzen des Nahostkonflikts, mit Ausstellungen in Gaza, Jerusalem, Ramallah, Bir Zeit und Haifa. Es ist eine unmögliche Biennale, die ihre eigene Unmöglichkeit zum Thema macht: Ein Gutteil der Künstler kann nicht kommen, schon weil die israelischen Behörden ihnen die Einreise verweigern (wegen eines falschen Passes, falschen Geburtsortes oder falschen Namens).

Manches Projekt scheitert an der Bürokratie der Besatzung

Ein absurdes Unterfangen: Die meisten Kuratoren der Ausstellungen in Ramallah oder in Gaza können die Ausstellungen in Jerusalem oder Haifa ebenfalls nicht besuchen, weil ihnen die dafür notwendigen Papiere fehlen. Nur selten, wie in einer Arbeit der kuwaitischen Kunstgruppe MinRASY, wird das selbst zum Thema: Die Kuratoren dokumentieren die Bemühungen, drei Künstler aus Kuwait einzuladen, sie listen Visa, Flugtickets, Hotelreservierungen, Ausreiseerlaubnisse, Anträge auf Einreisegenehmigungen auf, nur um am Ende ein Foto dreier leerer Flugzeugsitze zu zeigen. Ein Projekt, gescheitert an der Bürokratie der Besatzung.

Die Kunst selber reist freier, aber auch nicht uneingeschränkt. Werken etwa aus Gaza wird teilweise die Einreise verboten, manche bleiben im Zoll hängen. Verständlich, dass viele Teilnehmer am Ende auf Videoarbeiten, Fotografien, Montagen zurückgreifen, die – dem Internet sei Dank – von überallher gesendet und hier ausgedruckt und installiert werden können. Zum Beispiel Mohammed Abusals Arbeit „A Metro in Gaza“: Lange vor dem letzten Krieg hatte Abusal aus den Tunneln in Gaza ein U-Bahn-System entworfen, mit Metro-Schildern im Pariser Stil, Netzkarte, Haltestellen etc. Der Betrachter muss lauthals loslachen, so unvorstellbar ist das: eine U-Bahn im Gaza-Streifen.

Es ist eher eine Biennale der Ideen als der körperlichen Kunst

Jetzt, im Nachhall des jüngsten Krieges und der Rolle der „Terrortunnel“, wie die israelische Armee sie nennt, hätte er daran weiterarbeiten wollen, mit Installationen von echten Drehschranken, U-Bahn- Eingängen, mit surrealen Pfeilen zu nicht existenten Flughäfen. Aber das Arbeiten im öffentlichen Raum ist auch nach dem Ende der Kämpfe nicht möglich, es liegt nicht explodierte Munition herum, israelische Drohnen surren in der Luft. Also musste Abusal sich damit begnügen, ein Foto zu bearbeiten: Photoshop hilft aus, wo der Krieg der Kunst Schranken setzt.

Zu sehen ist das Ergebnis, zusammen mit anderen Arbeiten von Künstlern aus Gaza und kuratiert von Alia Rayyan, in der Jerusalemer al-Hoash Gallery. Eine Biennale der Ideen also, eher als der körperlichen Kunst. Ein zweiter dort gezeigter Künstler aus Gaza, Mohammed al-Hawajri, findet bereits bunte Farben in dem Einheitsgrau der Kriegstrümmer in Gaza, der Häuserruinen, dem Staub und Schutt. Dazwischen, daneben, blitzt der Überlebenswillen in bunten, poppigen Farben auf, ein geretteter Teppich, eine grelle Puppe, als Farbfleck des Neubeginns. So versucht die Kunst, dem Krieg Schranken zu setzen.

Das Thema "Archive" hält zwei Fallen bereit - die die Biennale aber souverän umgeht

Als Leitmotiv dient der zweiten Ausgabe der Qalandiya International das Thema „Archives, lived and shared“, also gelebte und geteilte Archive . Mehr als 100 palästinensische und internationale Künstler haben sich dem Thema auf unterschiedliche Weise genähert. Weshalb „die Archive“, mag man fragen, und warum gerade jetzt? Bedeutet die Beschäftigung mit dem Archivarischen nicht eine Abwendung von der Gegenwart hin zu einer Vergangenheit, die irgendwie besser, interessanter, jedenfalls hoffnungsvoller war, als es das triste Präsens ist?

Mit dem Thema Archiv öffnen sich unweigerlich zwei Nostalgie-Fallen, die es zu vermeiden gilt. Einerseits kann die Idee des Archivs deswegen interessant erscheinen, weil die neue palästinensische Mittelklasse von Ramallah, die Elite der Nach-Oslo-Bürokratie, mit Gusto in alten Fotos stöbert: „Oh wie schick waren wir damals, wie gut gekleidet, kaum ein Hidschab (Schleier für die Frauen) zu sehen, und diese Farben!“ Über diese Art der nostalgischen Reminiszenz an ein nobles, früheres Selbst der heute Regierenden kommen manche Arbeiten auch nicht hinaus, etwa die Beschwörung des Hilton Hotels in der Ausstellung des Bir Zeit Museums, dessen modernistischer Bau im einst noch unbesetzten Westjordanland Glamour verbreitete.

Noch verlockender aber ist die Falle der politischen Nostalgie: Wen würde es wundern, dass angesichts des real existierenden Palästinas der Gegenwart, das so bedrückend, so zerschnitten und ohnmächtig ist, das archivarische Palästina umso heiler und begehrenswerter erscheint: Im Archiv sind Haifa, Jerusalem, Gaza und Ramallah vereint, sind die politischen Gräben zwischen Fatah und Hamas verschlossen, und manchmal ist sogar von den Israelis noch keine Spur.

Die meisten Kunstwerke und Interventionen vermeiden aber beide Fallen und drehen den archivarischen Spieß um: Die „Intifada Prozession“-Performance durch Ramallah von Rula Khoury beschwört ja nicht eine Vergangenheit um ihrer selbst willen, sondern wendet sie sogleich gegen die triste Gegenwart, gegen die mediokre politische Führung und ihr fruchtloses diplomatisches Lavieren.

Oder Shareef Sarhans „The Sea in Ramallah“: Sein Video des Meeres in Gaza als Zufluchtsort, wo selbst während der jüngsten Kämpfe und israelischen Bombardements das immer gleiche Schauspiel der Natur so was wie Hoffnung spendete, hat in Ramallah, im Westjordanland, eine ganz andere Bedeutung. Hier ist das Meer für die meisten etwas Verlorenes, weit Entferntes. Obwohl man von den Hügeln an klaren Tagen den Strand von Tel Aviv sehen kann, macht die Trennmauer das Meer unerreichbar. Aber indem Sarhan sein Meeresvideo auf die Flatscreens in Ramallah projiziert, wo sie wie Werbung für ein neues Handy wirken müssen, entlarvt er am Ende auch noch den konsumistischen Kern des heutigen Ramallahs.

So wird deutlich, dass es eben nicht das „eine palästinensisches Archiv“ gibt, sondern dass hier so viele Archive wie Künstler entstehen. Die Klippe des politischen Klischees wird auf dieser Biennale fast stets umschifft.

Freche neue Kunst ist auch in den Beiträgen zum „Young Artist of Year Award“ (YAYA) der Qattan Stiftung in Ramallah zu sehen. Die von Viviana Checchia kuratierte Ausstellung der jungen ausgewählten Künstler unter dem Titel „Suspended Accounts“ zeigt Annäherungen an offene Wunden palästinensischer Geschichte (etwa Aya Abu Ghazalehs zeichnerische Meditation über die Straßenecke eines Flüchtlingslager in Jordanien oder die anonymen Gefallenen im „Friedhof der Zahlen“ von Mjadal Nateel) genauso wie ironische Wiederaneignungen von Episoden der Zeitgeschichte.

Pepe Egger

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