Not in Gaza: „Die Menschen fühlen sich alleingelassen“
Vor vier Wochen versprach die Weltgemeinschaft Milliarden, um den Menschen in Gaza nach dem Krieg gegen Israel zu helfen. Doch der zugesagte Wiederaufbau lässt auf sich warten. Mehr als 900 000 Einwohner sind auf Unterstützung angewiesen.
Es war ein Hoffnungsschimmer für Gazas leidgeplagte Einwohner. Vor einem Monat trafen sich in Kairo Vertreter der Staatengemeinschaft zu einer Geberkonferenz. Fast fünf Milliarden Euro wurden versprochen, um den Küstenstreifen nach dem 50-Tage-Krieg zwischen Israel und der Hamas wiederaufzubauen.
Denn Gaza gleicht einem Trümmerfeld. Bis zu 80 000 Wohnungen und Häuser sind zerstört. Krankenhäuser, Wasserleitungen, Schulen – ein Großteil der Infrastruktur existiert nicht mehr. Doch die Erwartungen, die in Kairo geweckt wurden, haben sich bislang nicht erfüllt. Viele Menschen sind frustriert, weil sich weder wirtschaftlich noch politisch kaum etwas bewegt.
Jobs sind Mangelware
Nach Angaben des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) leben immer noch bis zu 50 000 Flüchtlinge in Schulen der UN. Fast 900 000 Menschen sind auf Hilfe angewiesen, zumeist in Form von Lebensmitteln. Das ist die Hälfte der Bevölkerung. Vielen Familien fehlt kurz vor Beginn des Winters ein Dach über dem Kopf. Jobs sind wie schon vor dem Ausbruch des Krieges Mangelware. „Die Menschen sind ratlos, fühlen sich alleingelassen“, sagt UNRWA-Direktor Matthias Burchard.
Dass der Wiederaufbau immer noch auf sich warten lässt, hat verschiedene Gründe. So ist beispielsweise die Einfuhr von dringend benötigten Waren – etwa Zement und Eisen – sehr kompliziert, weil zeitraubende bürokratische Hürden im Weg stehen. Das liegt an einem zwischen den UN, der Palästinenserführung und Israel vereinbarten Verfahren, mit dem sichergestellt werden soll, dass das Material nicht von der islamistischen Hamas etwa für den Bau von Tunneln missbraucht wird. Auf die Kontrollen legt Jerusalem größten Wert. Schließlich gehörte es zu den erklärten Kriegszielen, diese unterirdischen Anlagen zu zerstören.
Krisenmanager dringend gesucht
Beobachter machen allerdings auch die Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas für die schwierige Lage im Gazastreifen mitverantwortlich. Zum einen sei sie offenbar damit überfordert, Ordnung zu schaffen. Eigentlich braucht es einen Beamtenapparat, der den Wiederaufbau organisiert. Dazu am besten noch einen Krisenmanager, sagt ein Mitarbeiter einer großen Hilfsorganisation, der namentlich nicht genannt werden möchte. Bisher ist nichts dergleichen geschehen.
Es gibt zum anderen die These, dass es der Autonomiebehörde aus Kalkül an Engagement fehlt. 2007 war die gemäßigte Fatah von der islamistischen Hamas aus Gaza vertrieben worden. Zwar ist im Juni eine Einheitsregierung vereinbart worden, doch kommt es der Fatah nicht ungelegen, die Position der Hamas zu schwächen.
Dafür spricht, dass vor Kurzem zwar die Gehälter für zivile Angestellte in Gaza zumindest teilweise ausgezahlt wurden, aber Kämpfer und Ordnungskräfte der Islamisten bis heute vergeblich auf Sold warten. Das könnte auch der Grund für eine Anschlagsserie sein: Am vergangenen Freitag explodierten mehrere Sprengsätze vor Häusern von Fatah-Mitgliedern
Ohnehin ist die politische Lage einschließlich der Waffenruhe instabil. Vor Kurzem feuerten militante Palästinenser aus Gaza ein Geschoss auf Israel ab, das daraufhin für einige Tage die Übergänge Erez und Kerem Schalom schloss. Die Hamas polterte, dies sei inakzeptabel.
Doch in gleicher Weise könnten die Islamisten über Ägypten schimpfen. Kairo hat ebenfalls seinen Grenzübergang zum Gazastreifen dichtgemacht. In Rafah will die Armee eine 500 Meter breite und 14 Kilometer lange Pufferzone zu Gaza errichten. Mehr als 10 000 Menschen werden vertrieben. Viele Gebäude wurden bereits gesprengt. Kairo begründet die Maßnahmen mit dem Kampf gegen den Terror. Vor einigen Tagen starben 33 ägyptische Soldaten bei einem Anschlag auf dem Sinai. Die Führung macht die Hamas verantwortlich, den palästinensischen Ableger der in Ägypten verbotenen Muslimbruderschaft.
Die Leidtragenden des Anti-Terrorkampfs auf israelischer und ägyptischer Seite sind wieder einmal die Menschen in Gaza. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen aus Gaza Einwohner versuchen, dem Elend zu entkommen. Sie flüchten und machen sich mithilfe von kriminellen Schleuserbanden gen Europa auf. Aber für einige Bewohner gibt es jetzt Anlass für etwas Zuversicht. Erstmals seit dem Beginn der Blockade vor sieben Jahren hat Israel zugestimmt, dass Händler Fisch und Gurken auf Märkten im Westjordanland verkaufen können. Ein Zeichen der Hoffnung, immerhin.