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Der Künstler Mathias Roloff (rechts) und Eitan Levin im Kupfersaal der Stasi.
© Kai-Uwe Heinrich

Ausstellung im Stasi-Kupferraum: Kunst im Sperrbezirk

Wo früher die Stasi Abhörtechnik herstellte, hat sich ein riesiges Atelier-Areal angesiedelt. Kreative entdecken den Osten der Stadt für sich.

Es ist still, dunkel und kühl in den endlosen und breiten Gängen. „Hier entlang“ ruft der Künstler Mathias Roloff. Vorbei an Türen, die schwer in der Wand sitzen. Den Lastenaufzug hoch, dritte Etage: Durch eine Schleusentür geht es in einen vollständig mit Kupfer verkleideten Raum ohne Fenster, 250 Quadratmeter. Hier hat die Stasi früher vermutlich Computerplatinen hergestellt. Das Gebäude gehörte zum „Operativ-Technischen Sektor“ der DDR in Alt-Hohenschönhausen, 1985 durch das Ministerium für Staatssicherheit zur Entwicklung von Spionagetechnik gebaut: Überwachungsanlagen, Tarnausrüstung, Wanzen und vieles mehr.

Heute arbeiten hier rund 300 internationale Künstler, Designer, Fotografen, Architekten und Bildhauer. Roloff ist einer von ihnen. Aus dem Fenster seines Ateliers in der vierten Etage kann er auf die Gedenkstätte Hohenschönhausen blicken, die einstige Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR. Eine Schulklasse hat sich im Innenhof versammelt, jemand steht vor ihnen und erzählt. Roloff schließt das Fenster.

Er arbeitet gern am Stadtrand. Er ist in Berlin-Lichtenberg aufgewachsen, hat Familie, ist hier etabliert. Andere kamen eher unfreiwillig her, weil sie aus ihren Ateliers in Kreuzberg oder Neukölln verdrängt wurden, sich die Miete nicht mehr leisten konnten. Von außen ist wenig zu sehen von der Kunstproduktion in der Genslerstraße 13a. 270 Ateliers verteilen sich auf zwei Gebäude mit 16000 und 8000 Quadratmetern.

2009 kaufte die „Immonen Group“ die Häuser, die Räume werden von „Studios ID“ vermietet, für rund sechs Euro pro Quadratmeter und zwei Euro Nebenkosten. Derzeit ist alles belegt, erzählt Eitan Levin, der für die Kommunikation im Haus zuständig ist. Früher war hier der „Sperrbezirk“ – ein hermetisch abgeriegeltes und streng bewachtes Gebiet, das auf Stadtplänen der DDR nicht auftauchte. „Damals wurde zerstört, auch Menschen. Heute wird kreiert“, erzählt Levin.

Von außen sieht man dem ehemaligen Stasi-Gebäude nicht an, dass im Inneren Kunst produziert wird.
Von außen sieht man dem ehemaligen Stasi-Gebäude nicht an, dass im Inneren Kunst produziert wird.
© Kai-Uwe Heinrich

Der „Kupferraum“ ist nicht frei zugänglich oder für Touristen geöffnet. Die Kunstschaffenden im Haus können ihn jedoch kostenfrei für Ausstellungen verwenden, sagt Levin. Doch dies werde bisher nur wenig genutzt. Am 6. September, anlässlich der „12. langen Nacht der Bilder“ im Bezirk Lichtenberg, werden auch im „Kupfersaal“ öffentlich Werke gezeigt. Die Nacht beginnt am Nachmittag und wird um 16 Uhr eröffnet durch Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke).

Ansonsten machen die Künstlerinnen und Künstler ihre Ausstellungen immer noch lieber in Kreuzberg, Neukölln, Mitte – obwohl sie dann Mieten zahlen müssen und den Transport der Objekte. Aber die Besucherzahlen sind höher im Westen der Stadt, im Innenstadtbereich, allein wegen des Laufpublikums. Der Kupfersaal sei zu weit weg, kaum jemand nehme den Weg auf sich, um Ausstellungen von relativ unbekannten Künstlern zu sehen, meinen Levin und Roloff.

700 Euro für eine Ausstellung in der Villa Heike

Aber das ehemalige Sperrgebiet entwickelt sich schnell. Ein chilenischer Imbiss hat bereits aufgemacht, einige leer stehende Gebäude neben den „Studios ID“ werden abgerissen – nächstes Jahr sollen mehr als 1000 Wohnungen und eine Schule gebaut werden. Am anderen Ende der Straße liegen ein Flüchtlingsheim und ein Hostel. Roloff kauft sich eine Club Mate beim Imbiss, Levin eine Cola. Sie setzen sich auf die Holzbänke.

Gegenüber von „Studios ID“ wurde gerade erst die „Villa Heike“ renoviert. Ein Vierteljahrhundert stand der frühere Firmen- und Wohnsitz des Maschinenfabrikanten Richard Heike leer. Dieser hatte die Villa 1910 bauen lassen. Bis 1945 war sie der Sitz der Fabrik für Fleischereimaschinen, in der zu Kriegszeiten auch sowjetische Zwangsarbeiter tätig waren. Nach dem Krieg wurde Hausherr Heike von sowjetischen Soldaten erschossen. Anfang der 1950er Jahre richtete die Stasi ihr Archiv für die Katalogisierung und Auswertung der NS-Akten hier ein.

Die Villa Heike in Hohenschönhausen ist ein Ort für Kultur. In dem ehemaligen Archivgebäude der Stasi in der Freienwalder Strasse 17 arbeiten verschiedenste Künstler und stellen dort auch aus.
Die Villa Heike in Hohenschönhausen ist ein Ort für Kultur. In dem ehemaligen Archivgebäude der Stasi in der Freienwalder Strasse 17 arbeiten verschiedenste Künstler und stellen dort auch aus.
© Kai-Uwe Heinrich

Vor vier Jahren kaufte eine Gruppe von fünf Künstlern die Villa – sie wurde auf Ebay angeboten. „Wir wollen die Villa mit Leben füllen“, sagt Michael Schäfer, einer aus der Gruppe, Fotograf. „Nein, danke“, keine Club Mate für ihn. Lieber ein Wasser. Schäfer begrüßt Roloff und Levin. Wie viel das Haus gekostet hat, will er nicht verraten. Es sei eine Ruine gewesen, die Renovierung aufwendig. Neun Ateliers sind entstanden. Und ein Saal mit großen Fenstern zur Straße für Ausstellungen. Hell, hohe Decken, neu verputzt und verziert. Das Gegenteil vom Kupferraum gegenüber. Für Ausstellungen – für 700 Euro Miete pro Tag.

Aus Ruinen wurden Ateliers

„Es ist schwierig, an diesem Ort etwas zu etablieren“, meint Schäfer. „Es ist weit draußen, es gibt keine Kneipen- und Clubszene drum herum, die Anbindung ist nicht so gut.“ Man muss mit der Tram oder dem Bus fahren, vom Alexanderplatz etwa 30 Minuten. Im Foyer soll es bald eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Villa geben, in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte.

Noch warten Schäfer und Co. auf die Unterstützung vom Bezirk, auf Fördergelder. „Sonst geht es nicht.“ Schäfer schweigt kurz nachdenklich und verabschiedet sich dann von Roloff und Levin, geht mit kurzen Schritten auf die Villa Heike zu. Dort wartet Pierre Granoux, „Künstler-Kurator“ und „Atelier-Nomade“ – er hat den ehemaligen Sperrbezirk für sich und seine Arbeit entdeckt.

Der chilenische Imbiss vor dem Atelierkoloss.
Der chilenische Imbiss vor dem Atelierkoloss.
© Kai-Uwe Heinrich

Granoux öffnet sich eine „Künstlerbrause“: So nennt er Club Mate. Es zischt durch den großen, leeren Raum. Granoux lebt im Bötzowviertel in Prenzlauer Berg, um die Jahrtausendwende ist er nach Berlin gekommen. 2016 hat er für sein Projekt „Lage Egal“ eine Auszeichnung für Projekträume vom Senat erhalten. Verliehen in der bei Künstlern beliebten Bar Babette in Mitte, die vor zwei Jahren schließen musste. Auch Granoux wurde 2017 mit seinem Atelier- und Ausstellungsraum aus Prenzlauer Berg verdrängt. Der Vermieter habe nach sieben Jahren plötzlich die Miete erhöht, erzählt Granoux. Doch er entdeckte den Osten der Stadt und zog ins HB55 in die Herzbergstraße in Lichtenberg.

Meisterschülerin von Ai Weiwei im Margarinewerk

In dem ehemaligen Margarinewerk gibt es rund 200 Atelierplätze. Einen davon belegt Karolin Schwab, Meisterschülerin von Ai Weiwei. Sie stellt international aus: China, USA, Schweiz – gern würde sie auch vor Ort in Lichtenberg ihre Kunst präsentieren. Doch das geht nicht so einfach, denn der Bezirk verbietet Ausstellungen in dem Gewerbegebiet, es gibt seit Langem einen Streit zwischen der zuständigen Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) und dem Kunstsammler-Ehepaar Barbara und Axel Haubrok. Diesen gehört ein Gelände neben dem HB55: die Fahrbereitschaft“.

Auch hier arbeiten zahlreiche Künstler in den ehemaligen Räumen der SED-Fahrbereitschaft, wo einst die Autos der Partei parkten und Fahrer auf Einsätze warteten, wenn ein Staatsgast abgeholt werden musste. Neben einer Sauna gab es auch eine Kegelbahn in der zweiten Etage – noch erhalten, aber nicht öffentlich zugänglich, sondern nur nach Terminabsprache zu besichtigen. Unter der liegt nun ein Tonstudio. Wenn die Haubroks Gästen die Bahn zeigen, sagen sie dort vorher Bescheid – um mögliche Aufnahmen nicht zu stören.

Sollte Kunst ausgestellt werden, droht Strafe

Aber die Haubroks sind frustriert: 2012 kamen sie vom Strausberger Platz in Friedrichshain nach Lichtenberg. Sie würden hier eine große Kunsthalle errichten, ihre Kunstsammlung zeigen. Doch Stadträtin Monteiro untersagte den Bau und hatte sogar mit einer Strafe von einer halben Million Euro gedroht, sollte in der Fahrbereitschaft noch einmal Kunst ausgestellt werden. Lediglich zur Art Week gibt es eine Ausnahmegenehmigung.

Für Monteiro ist es ein Kampf um den Erhalt des Gewerbes in dem Gebiet um die Herzbergstraße. Sie befürchtet, dass dieses verdrängt werden könnte, wenn das Areal für Ausstellungen geöffnet würde. Dadurch könnte die Gegend beliebt werden und weitere Kunstschaffende mit mehr Geld könnten den Gewerbetreibenden die Räume streitig machen.

Der Bezirk arbeitet derzeit an einem Rahmenplan, im kommenden Jahr soll sich einiges ändern und Ausstellungen in dem Gebiet sollen teilweise erlaubt sein. Anfang August hatten einige Künstler im HB55 eine Werkschau veranstaltet, ohne Konsequenzen. Die Haubroks allerdings haben die für Ausstellungen vorgesehenen Räume bereits zur anderweitigen Nutzung ausgeschrieben.

Der französische Künstler Pierre Granoux in der Villa Heike.
Der französische Künstler Pierre Granoux in der Villa Heike.
© Kai-Uwe Heinrich

Auch Granoux hat es zu lange gedauert, er kündigte 2018 beim HB55 und hat ein kleines Atelier bei sich zu Hause eingerichtet. Ausstellungen hat er in ganz Berlin, auch im Kupferraum und der Villa Heike. Er findet es super hier: „Hohenschönhausen wird immer mehr sexy.“ Die Mischung aus Touristenbussen, der Gedenkstätte und Ateliers fasziniert ihn. „Hier ist immer noch dieses Berlin-Gefühl von vor 20 Jahren – alles ist in Bewegung. Es ist ideal hier, weil es noch nicht vollständig entwickelt ist.“ Trotzdem sei es immer noch ein Risiko, hier eine Ausstellung zu machen. Im Innenstadtbereich könne man sicher sein, dass es voll wird, in Hohenschönhausen nicht. Viele Künstler würden dieses Risiko nicht eingehen wollen.

Die Kunst mit der Verdrängung

Granoux weiß, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, an einem Ort bleiben zu können. Er hat angefangen, mit der Verdrängung zu arbeiten, sie als Prozess in seine Kurator-Kunst einzubauen. In einem Text vor drei Jahren schrieb er, Berlin verfüge über eine weltweit einmalige Dichte an Projekträumen. Diese seien der Nährboden, auf dem sich eine vitale und kritische Kunstszene entfalte. Doch: „Räume entwickeln sich schnell, sind flüchtig und letztlich nicht einmal direkt an einen bestimmten Ort gebunden. Viele Projekträume besetzen temporär brachliegende Orte, verschwinden und tauchen plötzlich an anderer Stelle wieder auf“, sagt Granoux.

Noch ein Blick in den Kupfersaal.
Noch ein Blick in den Kupfersaal.
© Kai-Uwe Heinrich

Die Stadt Berlin und ihr Atelierbeauftragter Martin Schwegmann haben unterdessen ein „Arbeitsraumprogramm“ beschlossen. 700 Ateliers sollen entstehen und Atelierwohnungen bei Wohnungsneubau gefördert werden. Dazu will Schwegmann auch mit der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) zusammenarbeiten. Zudem sollen Künstler bei der Suche nach einem Atelier gefördert werden.

Schwegmann schrieb im Juli, „die Fähigkeiten der Künstler*innen als Raumpioniere“ sollten unterstützt werden. Granoux trinkt seine Künstlerbrause aus und grüßt Roloff und Levin, die gerade aus dem Kupfersaal kommen. Sie treffen sich gleich noch beim chilenischen Imbiss, ein Bier trinken im Stasi-Staub. Erschöpft und geduldig wie Pioniere.

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